Kommentar zur Urheberrechts-Reform der EU: Wessen Freiheit eigentlich?
In der Debatte um die Reform des europäischen Urheberrechts heisst es ständig, die Freiheit des Internets sei in Gefahr. In Wirklichkeit geht es nur um die Freiheit der Techgiganten, mit fremdem Eigentum Geld zu verdienen.
Um das vorwegzunehmen: Ich bin kein Digital Native. Wie viele meiner AltersgenossInnen habe ich mir von TechsupporterInnen, die wahrscheinlich halb so alt waren wie ich, den Satz anhören müssen: «Haben Sie schon versucht, es aus- und wieder einzuschalten?» Aber ich behaupte, mich gut integriert zu haben – auch ich nutze Google und Facebook, und ich kann mir weder meinen beruflichen noch meinen privaten Alltag ohne Netz vorstellen.
Trotzdem kann ich die Panik nicht nachvollziehen, mit der derzeit die Revision des EU-Urheberrechts verhandelt wird. Ein «Aufbruch ins unfreie Internet» sei es, durfte ich in der «Zeit» lesen, «ein Anschlag der Eurokraten auf die Freiheit des Internets» bei Jakob Augsteins «Freitag». In europäischen Städten skandierten Tausende auf den Strassen «Macht unser Internet nicht kaputt», und sogar die deutschsprachige Wikipedia stellte aus Protest für einen Tag den Betrieb ein – obwohl sie von der Reform als Non-Profit-Organisation explizit nicht betroffen wäre.
Im Zentrum der Proteste steht das Leistungsschutzrecht, das eine Abgeltung einführen will, wenn die grossen Plattformen urheberrechtlich geschützte Inhalte (Musikvideos, Filme et cetera) verbreiten. Nota bene: Nicht die UserInnen, die die Inhalte teilen, sollen haftbar gemacht werden, sondern die Plattformen – weil sie mit den Werbeeinnahmen dicke Gewinne einstreichen.
Insbesondere haben sich die GegnerInnen darauf eingeschossen, dass diese Plattformen darauf gar nicht anders reagieren könnten, als automatisierte Uploadfilter einzusetzen, die potenziell geschütztes Material aussortieren. Was zu «Overblocking» führen würde und im Extremfall dazu, dass UrheberInnen ihre eigenen Inhalte nicht mehr verbreiten könnten. Diese Kritik ist nicht falsch, werden doch schon auf Youtube allein pro Minute mehrere Hundert Stunden Videomaterial hochgestellt. Sie zielt jedoch am Thema vorbei.
Selbstverständlich arbeiten die grossen Plattformen bereits heute mit Uploadfiltern – wäre dies nicht der Fall, würden sie wie der Rest des Internets mit pornografischen Inhalten geflutet. Beispiele wie jenes der Kampagne gegen Sexismus des Vereins Pinkstinks, die von Youtube gesperrt wurde, weil die Plattform einen Protestsong gegen die TV-Show «Germany’s Next Topmodel» als RTL-Eigentum einstufte, gibt es zuhauf.
Viel relevanter erscheint die Frage, wieso die Freiheit des Internets gleichzusetzen sei mit der Freiheit der Unternehmen Facebook und Google, die zusammen 190 Milliarden US-Dollar Umsatz pro Jahr machen. Dass deren Plattformen auch deswegen so attraktiv sind, weil sie die Hauptverbreitungskanäle von Popkultur, Musik und News geworden sind, kann niemand bestreiten. Um die Metapher eines Digital Non-Native zu verwenden: Sie haben Radio und Fernsehen abgelöst. Also sollen sie auch die Pflicht übernehmen, den SchöpferInnen der gespielten Werke einen Anteil zu bezahlen.
Die grösste Befürchtung der ReformgegnerInnen besteht darin, dass die Bezugskanäle verschwinden könnten – und die ist unberechtigt: Als Spanien ein Leistungsschutzrecht für Zeitungsartikel einführte, stoppte Google zwar die Verbreitung spanischer Texte über sein Nachrichtenangebot Google News. Und auch als die deutsche Rechteverwertungsgesellschaft Gema 2009 finanzielle Forderungen an die Google-Tochter Youtube stellte, sperrte die Plattform alle geschützten Inhalte. Nach sieben Jahren Rechtsstreit ging Youtube jedoch der Atem aus – aus Angst davor, UserInnen an Bezahldienste wie Spotify zu verlieren. Die Plattform einigte sich mit der Gema auf eine «freiwillige Abgabe» von knapp vierzig Millionen Euro pro Jahr.
Wenn ich also eine Prognose wagen darf: Wird das EU-Urheberrecht am 15. April vom Rat der EU-Mitgliedstaaten verabschiedet, kann es sein, dass als Folge davon Google News seinen Dienst in Europa einstellt. Und es kann auch sein, dass wir keine Musikvideos über Facebook mehr teilen können. Beides wird vorübergehend sein. Und wenn jemand in dieser Zeit das Gefühl hat, das Internet sei kaputt, hilft vielleicht der alte Ratschlag: «Haben Sie schon versucht, es aus- und wieder einzuschalten?»
Der WOZ-Autor, SP-Kantonsrat und Slampoet Etrit Hasler ist Vorstandsmitglied des Verbands der AutorInnen der Schweiz AdS.