Extremismusforschung: Ganz wehrhaft gegen links
Die staatlich finanzierte deutsche Extremismusforschung liefert dubioses Material für rechte Kampagnen.
Sie nennen es Wissenschaft und betreiben doch vor allem Ideologieproduktion zur Verteidigung des Bestehenden – und zur Markierung eines gefährlichen Feindes, der links steht. Mit penetranter Regelmässigkeit liefern die WortführerInnen der deutschen Extremismusforschung neue alarmistische Studien und begleiten deren Erscheinen mit den immer gleichen Klagen: Über die extreme Rechte wisse man alles, links aber fehlten Studien, weil die meisten SozialwissenschaftlerInnen um das «verminte Gelände» einen Bogen machen würden.
Der Trend nach rechts in vielen Teilen Europas begünstigt das Treiben dieser selbsternannten «Linksextremismus»-ExpertInnen: Zum einen werden rechte Aufmärsche als «rechtspopulistisch» und als nachvollziehbare Reaktionen auf Fehler des politischen Establishments verharmlost. Zum anderen bläst man die «linksextremistische» Bedrohung stark auf und lenkt so den Blick von rechts weg.
Zwei Neuerscheinungen zum Thema Extremismusforschung schüren diese Entwicklung gezielt – das von Klaus Schroeder und seiner Gattin Monika Deutz-Schroeder verfasste Traktat «Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt» und das von Eckhard Jesse und Tom Mannewitz herausgegebene «Handbuch für Wissenschaft und Praxis» mit dem schlichten Titel «Extremismusforschung». Unter Extremismus verstehen die dreizehn AutorInnen des Handbuchs «unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen», deren Gemeinsamkeit die «Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln» ist.
Linke Politik führe zu Diktatur
Trotz allgegenwärtiger Bedrohung lasse die Öffentlichkeit jede Wachsamkeit vermissen, beklagen die Herausgeber des Handbuchs. Sie monieren, dass die «Äquidistanz in der Auseinandersetzung mit Positionen von Rechts- und Linksaussen schwand», was zu einer «Schieflage» geführt habe: «Die Abgrenzung gegen linksaussen wurde und wird nicht im gleichen Masse praktiziert.» Eine Schieflage, die ihnen vor allem in den Medien auffällt, die sie aber auch bei Sicherheitsbehörden orten, mit denen sie sich in ständigem Austausch befinden.
Besonders pointiert darf im Handbuch ein Medienvertreter dagegenhalten: Jürgen P. Lang, leitender Redaktor des Bayerischen Rundfunks. Es ist nicht ohne Unterhaltungswert, wie er in seinem Beitrag versucht, Linke aller Schattierungen als schreckliche Bedrohung darzustellen, deren Politik im Erfolgsfall immer und überall zur Diktatur führe. Die Neuen Sozialen Bewegungen seien zwar «nicht in toto extremistisch», aber gefährlich, weil sie mit Mitgliedern «ultra-linker Gruppen» gemeinsame Sache machten. Dabei warnt Lang insbesondere vor dem «weichen Extremismus», wie er etwa in der deutschen Linkspartei zu Hause sei.
Um der eigenen Ideologieproduktion den Anschein geschichtswissenschaftlicher Unterfütterung zu verleihen, haben die Herausgeber auch einen Beitrag über die Weimarer Republik eingekauft. «Die erste Demokratie auf deutschem Boden wurde zwischen den politischen Extremen wie zwischen zwei ‹Mühlsteinen› zerrieben», heisst es darin. Menschen mit historischen Grundkenntnissen wissen: Die Nazis kamen durch die Unterstützung der Konservativen und der bürgerlichen «Mitte» an die Regierung – ihre angebliche Machtergreifung im Januar 1933 war eine Machtübertragung.
Über die bedeutendsten rechten AkteurInnen in Deutschland erfährt man hingegen so gut wie nichts. Gerade neuere Entwicklungen wie die AfD, Pegida und die Identitäre Bewegung fehlen, wie – in einer Fussnote – auch eingeräumt wird. So viel zum Gebrauchswert eines «Handbuchs für Wissenschaft und Praxis», das auch von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung vertrieben wird.
Achtung: Antifa!
Mit ihrem antilinken Pamphlet «Der Kampf ist nicht zu Ende» wollen Schroeder und Deutz-Schroeder einmal mehr die Lücken bei der Erforschung des «Linksextremismus» schliessen. Schon das Umschlagfoto von den Krawallen im Hamburger Schanzenviertel im Juli 2017 soll klarmachen, worauf es hinausläuft: Vermummte Gestalten vor Rauch und Flammen «zielen auf den Umsturz der bestehenden Verhältnisse und bedrohen dazu Leib, Leben und Besitz einer friedlichen Mehrheit», wie es auf der Rückseite heisst. Wer das Buch aufschlägt, findet darin einen länglichen Abriss zur Geschichte «linker Gewalt» seit 1789.
Das Hauptinteresse der beiden ForscherInnen gilt aber der «aktuellen linken Gewalt». Bei der Schilderung der Hamburger G20-Proteste halten sie auch an Schreckensmeldungen fest, die von der Polizei längst klammheimlich fallen gelassen wurden: haltlose Geschichten über angebliche Steinschleuderangriffe mit Stahlkugeln oder über von Dächern geworfene Gehwegplatten. So entstehen bei den Schroeders aus Falschmeldungen «Gewaltexzesse» und ein «kaum fassbares Ausmass an linker Gewalt», auf das die Polizei stets nur «reagiert» habe.
Zwar handelt es sich bei diesen staatlich finanzierten Beiträgen zur Extremismusforschung nicht um politische Auftragsarbeiten im engeren Sinn. Nützlich für die Regierenden sind sie dennoch: Sie legitimieren die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und damit den weiteren Ausbau eines starken Staates. Der AfD und rechten Medien dienen sie neben Geheimdienstberichten als willkommene «Erkenntnisquellen» für diffamierende Kampagnen oder inquisitorische Anfragen in deutschen Landesparlamenten, zuletzt etwa in Sachsen-Anhalt. Dort werden staatlich geförderte antirassistische Initiativen gezielt unter Druck gesetzt, auf dass sie sich von linken Gruppen und Publikationen distanzieren. Als jüngst umgekehrt über den Umgang mit AfD-Mitgliedern im Staatsdienst diskutiert wurde, stellte Innenminister Horst Seehofer (CSU) sogleich klar, er prüfe die Problematik «ganz generell, für Rechts- wie Linksradikale».
Die vermeintliche «linksextremistische» Steuerung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten ist auch für Teile des medialen Mainstreams willkommener Anlass zur Skandalisierung. Vor kurzem hetzte die «Bild»-Zeitung gegen «linke Gewalt-Propaganda an Hamburger Schule», der Norddeutsche Rundfunk ereiferte sich über dort entdeckte «linksextreme Aufkleber». Anlass war das antifaschistische und klimapolitische Engagement von SchülerInnen der Ida-Ehre-Schule – «Antifa» ist nicht nur für die AfD, sondern auch für Teile der bürgerlichen Mitte ein Reizwort und gleichbedeutend mit «Linksextremismus». Die SchülerInnen, die den geballten Hass aus Politik (von AfD bis SPD) und Medien zu spüren bekamen, liessen sich allerdings nicht einschüchtern. Sie gingen in die Gegenoffensive – und erfuhren viel Solidarität.
Eckhard Jesse (Hrsg.) und Tom Mannewitz (Hrsg.): Extremismusforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Nomos Verlag. Baden-Baden 2018. 672 Seiten. 149 Franken
Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder: Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt. Herder Verlag. Freiburg / Basel / Wien 2019. 304 Seiten. 39 Franken