Portraits Schwarzer Frauen: Drei Realitäten

Nr. 24 –

Nicole Vögelin, Tina Azigbo und Lina Rasheed

Nicole Vögelin : Wiedergutmachung!

«Aufgewachsen bin ich in Martinique, seit über dreissig Jahren lebe ich in der Schweiz und bin mit einem Schweizer verheiratet. Auch Alfred Escher war ein Schweizer, und er hat viel für sein Land getan: Er hat den Gotthardtunnel gebaut, die Credit Suisse und die Eidgenössische Technische Hochschule gegründet – man könnte sagen: Er katapultierte die Schweiz in die Moderne. Dieses Engagement für seine Heimat wie auch sein Charisma bewundere ich sehr.

Leider wird noch immer vernebelt, dass ein Teil des Reichtums seiner Familie aus einer kubanischen Kaffeeplantage stammt, auf der Sklaven gehalten wurden. Auch auf Martinique hielt mit der Französischen Ostindienkompanie die Sklaverei Einzug. Als eine Nachfahrin dieser Sklaven sehe ich es als meine Aufgabe, die Menschen, die Länder und Nationen damit zu konfrontieren, dass ihre Vorfahren direkt oder indirekt in die Sklaverei verwickelt waren – sei es durch die Finanzierung von Dreieckshandelsexpeditionen, sei es durch den Besitz von Sklaven und Plantagen.

Es ist Zeit für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit. Noch immer denken viele weder an eine Entschuldigung noch an Wiedergutmachung. Wie eine solche aussehen könnte, habe ich von meiner Tochter erfahren, die in die USA ausgewandert ist: Dort vergibt die Bank of America Stipendien für Nachfahren von Sklaven.»

Aufgezeichnet von Katharina Rusch

Tina Azigbo : Frisur ohne Desaster!

«Ich bin halb Nigerianerin und halb Schweizerin, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern. Ausserdem bin ich Mitgründerin von Curlish, einem Haarsalon. Wir sind Expertinnen für wellige, lockige und ‹kinky› Haare. Ich bin eine Macherin. Ich mag das Gefühl, meine Ziele zu erreichen. Es war aber eine grosse Herausforderung, neben Lohnarbeit und familiären Verpflichtungen den Fokus auf dem Weg in die Selbstständigkeit nicht zu verlieren.

Ins Leben gerufen haben wir Curlish, weil es zu wenige Haarsalons gibt, die sich mit Locken, egal welcher Art, auskennen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie schwierig es ist, einen Salon zu finden, bei dem man sich verstanden fühlt und nicht befürchten muss, dass der Besuch in einem Desaster endet. Diese Haare haben nämlich ihre ganz eigene Dynamik. Um in voller Pracht glänzen zu können, müssen sie anders gepflegt werden als gerade Haare.

Es ist herzerwärmend zu sehen, wie immer mehr junge Frauen ihre Haare natürlich tragen, den Mut haben, zu sich selbst und ihren Locken zu stehen – und ihre Haare dementsprechend nicht mehr strecken. Auf diesem Weg möchten wir Menschen in unserem Salon begleiten. Nicht zu unterschätzen sind diese Orte auch als soziale Treffpunkte, wo Frauen miteinander in Kontakt kommen und Zeit haben, sich auszutauschen.»

Aufgezeichnet von Mandy Abou Shoak

Lina Rasheed : Identität entdecken!

«Für mich als Schwarze Frau, die in mehreren Kulturen beheimatet ist, war die Frage der Identität stets präsent: Eine eigene Identität, die ständig entdeckt, gestaltet, verloren und wiedergefunden wird, muss auch gepflegt werden – bis frau in sich selbst existiert. Doch diese Seinsform, geerdet und öffentlich ausgelebt, ist nicht überall gestattet oder akzeptiert.

Ich bin sozial, politisch und seelisch sowohl global als auch lokal engagiert und habe mit meinen Kindern in verschiedenen Ländern gelebt. Durch sie habe ich gelernt, was ich ihnen eigentlich beibringen soll und wie dies gelebt werden kann. Als junge Schwarze Menschen sollen sie sich nicht nur durch die Aberkennung ihrer selbst, die Ausgrenzung und den Hass anderer definieren lassen, sondern ihren eigenen Erfahrungen den Raum geben, den ihre Identität als dynamischer Prozess benötigt. Das erfordert einen interaktiven Austausch mit der Umgebung, den Menschen und ihren Normen, ein stetiges Aushandeln.

Aktuell bin ich als Beraterin für Betroffene bei der Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration in Zürich tätig. Insofern ist es für mich sehr wichtig, dass ich die verschiedenen Kämpfe aktiv mitgestalte – hier beim Frauenstreik ebenso wie bei der aktuellen Revolution im Sudan. Um zu zeigen, dass diese Kämpfe nicht isoliert voneinander stattfinden, sondern in einem globalen Zusammenhang stehen.»

Aufgezeichnet von Katharina Rusch