Pop: Klopf, klopf, klopf
Mit selbstgebastelten Instrumenten gegen die Kirche und den Mainstream: Das Kollektiv Kokoko! aus Kinshasa gastiert mit seinem Debütalbum in der Schweiz.
Den Effekt kennen wir alle: Berührt man ein eingestecktes Audiokabel, brummen die Lautsprecher. Das kongolesisch-französische Kollektiv Kokoko! hat daraus einen Beat komponiert. Im Track «Azo Toke» tippt der Musiker das Kabel dreimal mit dem Finger an und lässt dann ein Taschenradio kurz rauschen. Eine helle Drum hopst herbei, der Gesang von Sänger Makara Bianko setzt ein, und schliesslich folgen mächtige Bässe und kalte Claps. Der Rhythmus entstammt dem Soukous, einem Musik- und Tanzstil aus dem Kongo. Bei Kokoko! klingt dieser direkter, elektrischer, roher und geht unmittelbar in die Beine.
«Klopf, klopf, klopf» lautet der Bandname übersetzt. Das sei ein Statement, erklärt der französische Produzent Xavier Thomas alias Débruit im Gespräch. Denn der Sound von Kokoko! würde nicht nur für europäisch-westliche Ohren neuartig klingen. Selbst in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo und Gründungsort des Kollektivs, seien Kokoko! Teil des Undergrounds.
Gewappnet gegen Stromausfälle
Seit vierzig Jahren dominieren in Kinshasa die musikalischen Traditionen von Rumba Lingala, Soukous und Ndombolo. Zudem wurden grosse Teile der Musikwelt der Zwölf-Millionen-Metropole von evangelikalen Kirchen gekapert. Zahlreiche MusikerInnen treten in deren Dienst und opfern dabei ihre musikalische Freiheit für ein geregeltes Einkommen. Das künstlerische Resultat war jahrzehntelang ein monotoner Mainstream. An die verrosteten Türen dieses Konsenses klopfen Kokoko! nun mit ihrem rauen, elektronischen Sound. Wobei die Elektronik nicht das herausragende Stilelement dieser Band ist.
Drei der Mitglieder von Kokoko! sind autodidaktische Ingenieure: Bom’s Liteli Bomolo, Love Amundala Lokombe und Dido Lokato Oweke. Aus Überbleibseln des täglichen Konsums basteln sie sich Instrumente, die sie mit liebevollen Namen versehen: Das «Sardinophone» ist eine Zither aus sechs Sardinenbüchsen und Töffli-Bremskabeln; die «Dactylo» ist eine Schreibmaschine, die beim Tippen Büchsen scheppern lässt, und «Jésus Crise» heisst der grollende Bass aus acht Milchpulverkisten in Kruzifixform.
Zur Do-it-yourself-Methode inspirierte sie ihr Nachbar, der Schlagzeuger Bebson de la Rue. Seit den neunziger Jahren ist dieser auch im Globalen Norden für seine selbstgebastelten Drumkits bekannt. Mit ihren Recycling-Instrumenten können sie zudem beim Proben auf Elektronik verzichten, was im von ständigen Stromausfällen gebeutelten Kinshasa von Vorteil ist.
Auf dem Debüt «Fongola» klingt das so: Im Opener «Likolo» scheppert eine zweisaitige Do-it-yourself-Stradivari in Repetition, eine gurgelnde Melodie setzt ein, und die gesungenen Fragen von Makara Bianko werden vom Chor der Restband beantwortet. «Malembe» klingt mit seiner elektronischen Kargheit wie ein entferntes Echo auf den elektronisch-minimalen Gqom aus Südafrika. Das Interesse ist gegenseitig: DJ Lag, TLC Fam und Citizen Boy – drei Pioniere des Gqom – haben kürzlich dunkle Remixes von Kokoko!-Tracks angefertigt.
Auf «Fongola» dominieren hingegen helle Klangfarben. So verteilen in «Buka Dansa» die Synthie-Hooks von Débruit Wärme. Derweil holpert der überstellige Karsumpel-Beat ungeniert fort. Ein Track, zu dem man gleichzeitig tanzen und sich umarmen möchte.
Verschlüsselte Botschaften
Der Hit auf dem Album ist eine wahnwitzige Paarung von Tierlauten, einem Kaugummibass und Blechglocken: «Tokoliana» schwillt bis zum letzten Takt an und trägt eine politische Botschaft. Das ist in der Demokratischen Republik Kongo gefährlich, zählte doch die Uno seit Beginn dieses Jahres 700 aussergerichtliche Hinrichtungen. Daher setzt Sänger Makara Bianko das harte Alltagsleben in der Metropole in verschlüsselte Bilder. In «Tokoliana» ist es ein Wald, dessen BewohnerInnen sich zu verschlingen drohen.
Teilweise singt Bianko Ausdrücke, die in ihrer Bedeutung ungefährlich sind, jedoch ihren Klang mit heiklen Ausdrücken teilen. Bei den Konzerten in der kongolesischen Hauptstadt füllt das Publikum die Lücke, es singt die eigentlich gemeinten Wörter und formuliert damit die politischen Botschaften aus. Auf ihrer Website zeichnet die Band eine Linie der europäischen Ausbeutung ihres Landes vom SklavInnenhandel über Kautschukplantagen bis zu den heutigen Kobalt- und Coltanminen für unsere Batterien und Handys. Dieses politische Selbstbewusstsein eint alle Tracks auf «Fongola», genauso wie ein Popverständnis fernab von bierernstem Agitprop: So sind manche der Texte in Lingala, Suaheli, Kikongo und Französisch Hommagen an die musikalischen Vorbilder oder Partyhymnen.
Selbst auf die komplexe Frage kultureller Aneignung hat der französische Produzent Débruit eine so unaufgeregte wie überzeugende Antwort: Natürlich sei ihm jederzeit klar, dass er sich nie so ausdrücken könne wie seine kongolesischen Kollegen. Darum gehe es auch gar nicht, sondern ums Zuhören und Austauschen. «Inzwischen schreiben wir unsere Songs mit mehreren Händen.» Eine respektvolle Unerschrockenheit, die man bei Kokoko! ständig spürt, am besten beim Tanzen.
Konzert: Kokoko! am Samstag, 24. August 2019, 21 Uhr, Theater Spektakel Zürich.