Ein Traum der Welt: Gefiedert und gewurmt
Annette Hug paukt in Genf tierische Wörter
«Genève accueille le monde!» Im Namen der Republik und der Universität begrüsst ein Direktor Paternostro 320 Leute aus 70 Nationen. Wir profitieren von schön subventionierten Preisen für einen dreiwöchigen Intensivkurs. Die französische Grammatik wird aufgelockert durch Chansons und Ausflüge – «Carouge et son ambiance de bohème».
Aber am Vormittag ist meine Klasse zu ernsthaften Fragen aufgelegt. Ob Studentin, Ehefrau eines Cern-Ingenieurs oder Uno-Mitarbeiterin – fast alle widmen ihren Einzelvortrag der Weltrettung. Wir sind elf Leute aus etwa achtzehn Ländern und irgendwie in derselben Alarmstimmung.
Neben dem Plastikteppich im Pazifik, dem Atommüll und dem verrückten Präsidenten ist auch die Schweiz Thema. Auf der Suche nach dem Homo alpinus findet ein russischer Jurist Philipp Etter, rechtskonservativer Bundesrat während des Zweiten Weltkriegs. Eine andere Spur führt zu Le Corbusier: Zur Vorbereitung seines Einbürgerungsexamens versucht ein sanfter Angelsachse, das Genie des Architekten zu ergründen. Und findet eine Formel für das Land, dessen Pass er hoffentlich bald in den Händen hält: «Là où naît l’ordre, naît le bien-être.»
«Wo Ordnung entsteht, entsteht Wohlbefinden», könnte man übersetzen, aber so fällt die Geburt weg. Leider wird man auf Deutsch immer passiv geboren, während Menschen französisch aktiv in die Welt kommen. Weitere Grundsätze der Natur stehen in diesem Kurs plötzlich infrage. Ein chinesischer Student bemerkt, dass das Körperhaar auf Deutsch und Englisch einfach Haar ist, aber auf Französisch und Chinesisch ein Pelz. Da wächst also etwas Tierisches aus der Menschenhaut. Wobei das philippinische Wort «balahibo» neben dem Körperhaar auch einen feinen Federflaum bezeichnet, wie ihn Küken tragen. Da wird der Mensch zum Jungvogel, der noch kaum fliegen kann.
Schwierig sind Wörter, die mit gleichem Laut etwas Menschliches und Tierisches benennen. Zum Beispiel heisst Wurm auf Französisch «le ver», aber «le vert» ist das Grün oder der Grüne. Mit diesem Gleichlaut spielt die welsche Version des SVP-Plakats, das gerade diskutiert wird. «Des vers pour notre pomme? Non merci!» Westlich der Saône gehts ausschliesslich gegen die Grünen, die bildlich und sprachlich als Gewürm dargestellt werden. Wobei der Slogan auch ganz anders verstanden werden kann: Die SVP mobilisiert gegen naturbelassene Äpfel.
In derselben Ausgabe von «Le Temps», in der die alemannische Debatte zum Würmerplakat als kleine Randnotiz vermerkt ist, springt die Abkürzung PIIGS ins Auge. Diese Länder seien wieder begehrte Kreditnehmer. In der Finanzwelt hält sich die unglaubliche Abkürzung für Portugal-Italien-Irland-Griechenland-Spanien. Da springe ich gern zu Spiderman, der nicht nur Mensch und Spinne ist, sondern plötzlich auch ein Huhn, das für Sony Pictures goldene Eier legt: «l’araignée des œufs d’or».
Leider ist der Sprachkurs schnell vorbei. Von Genf gehts in den Jura, wo ein Obstgarten fast fruchtlos bleibt. Die meisten Blüten sind im April verfroren, die wenigen Äpfel sind im August unreif vom Baum gefallen. Aber beim Mähen ist für einmal sehr viel Moos vom Boden gekommen, das lockert die Wiese auf. Ich grüsse eine ausgeliehene Landmaschine mit Fingermähbalken: «Vive le Rapid Mondo!»
Annette Hug ist Autorin in Zürich. Die Sommerkurse für französische Sprache an der Universität Genf kann sie sehr empfehlen.