Roboter in der Pflege: Aufstehen mit Lio, Yoga mit Nao
Der Einsatzbereich von Pflegerobotern ist trotz grosser Versprechen immer noch beschränkt. Doch bereits jetzt stellen uns die maschinellen Helfer vor grundlegende Fragen. Wie wollen wir gepflegt werden, und welche Rolle spielen dabei noch Menschen?
Es ist ein sonniger Frühlingstag in Luzern. An der Seepromenade flanieren die TouristInnen, während hoch oben auf dem Pilatus noch Schnee liegt. Auch im Betagtenzentrum Rosenberg machen viele BewohnerInnen einen Spaziergang im Freien. Gemächlich schieben sie ihren Rollator durch die Anlage, wo es nach frisch gemähtem Gras riecht.
Derweil liegt die Roboterrobbe Paro in einem Korb am Fenster – mit grossen Kulleraugen, einem schneeweissen, weichen Fell, feinen Barthaaren und zwei Flossen, die man einfach drücken will. Fast wie ein Plüschtier, wäre da nicht die komplexe Mechanik im Inneren. Damit bewegt sie sich, gibt Töne von sich, reagiert auf Berührungen und Geräusche. Seit etwa sechs Jahren wohnt dieser Therapieroboter aus Japan am Rosenberg und unterstützt die Pflegenden bei der Aktivierung der älteren Menschen. «Paro ist immer da», erklärt Monika Pfulg, Leiterin der Aktivierung. «Ein Therapiehund ist vielleicht einmal krank oder sehr müde. Dagegen steht ein Roboter Tag und Nacht zur Verfügung, wenn man ihn braucht. Das ist ein grosser Vorteil.» Doch Paro ersetze niemals ein echtes Tier, denn die Verbindung zwischen Mensch und Tier sei ganz speziell. Das kann auch der niedlichste Roboter nicht simulieren.
Warten auf die Roboterrevolution
Oder doch? In Science-Fiction-Filmen wie «I, Robot» aus dem Jahr 2004 übernehmen humanoide Roboter bereits einen Grossteil unserer Hausarbeit. Sie kochen für uns, kaufen ein, waschen die Wäsche. Und sie können uns im Alter pflegen und uns Gesellschaft leisten. Sie stützen uns beim Spaziergang durch die Nachbarschaft. Sie waschen unsere Körper. Und sie helfen uns, wenn wir stürzen oder wenn wir nicht mehr aus dem Bett aufstehen können.
Was vor fünfzehn Jahren noch blosse Science-Fiction war, wird immer mehr zur echten Möglichkeit, zur absehbaren Realität. So zeigt das US-amerikanische Robotikunternehmen Boston Dynamics, was autonome Roboter heute bereits können. Sie sprinten, steigen Treppen problemlos hoch und runter, machen Rückwärtssaltos und lassen sich auch nicht von Schubsern oder einem unebenen Untergrund aus dem Gleichgewicht bringen. Viele von uns kennen auch noch den Roboterhund Aibo – japanisch für «Partner». Das künstliche Haustier von Sony war zu Beginn des Jahrtausends einer der ersten kommerziellen Unterhaltungsroboter. In einer eigenen Fussballmeisterschaft spielten gar Aibos gegeneinander. Auch die omnipräsenten Rasenmähroboter gleiten mittlerweile in vielen Gärten ganz von allein hin und her.
In der Pflege sieht dagegen vieles noch aus wie immer. Auf den Gängen von Altersheimen kann man lange nach Robotern suchen. Hier wird das Essen immer noch von menschlichen KöchInnen zubereitet und von menschlichem Personal serviert. Auch die dreckige Wäsche wird von Hand gesammelt, mit Muskelkraft in die Wäscherei gebracht und wieder auf die Zimmer verteilt. Und vor allem haben die BewohnerInnen noch viel Kontakt mit Pflegern und Ärztinnen.
Trotzdem haben immer mehr Menschen Angst, bald nur noch von Robotern gepflegt zu werden. Erste Prototypen, die die Pflege erleichtern sollen, gibt es bereits. So zum Beispiel Hebemaschinen, die es einfacher machen, ältere Menschen aus der Badewanne oder dem Bett zu heben. Sie sparen Kraft und geben Sicherheit, denn Rückenprobleme plagen viele in der Pflege. Auch Waschroboter und intelligente Matratzen werden entwickelt. Serienreif ist jedoch noch wenig. Denn das Feld der Pflege ist unglaublich komplex und vielseitig. Es braucht nicht nur das handwerkliche Wissen, sondern vor allem auch viel emotionale Kompetenz. Eine anspruchsvolle Aufgabe, der auch viele Menschen nicht gewachsen sind. Warum sollten Roboter das besser können? Und wollen wir überhaupt, dass Roboter das alles können?
Während Monika Pfulg erzählt, streichelt sie den Kopf und den Rücken der schneeweissen Robbe. Diese gibt fiepende Töne von sich und bewegt den Kopf. Nur wenn man sie an den Barthaaren streichelt, wendet sie sich ab und wirkt irritiert. Hat dieser Roboter eine Persönlichkeit? «Irgendwie schon», antwortet Pfulg. «Zumindest in den Augen der Bewohner. Sie gehen zu ihr hin und fragen, ob sie wach sei. Obwohl ihnen durchaus bewusst ist, dass es sich um einen Roboter handelt. Das erklären wir immer. Paro löst eben schon etwas in uns aus.»
Manche lässt die Robbe kalt
Bereits seit über zwanzig Jahren wird in Japan an diesem Roboter getüftelt. Ursprünglich wurde er zur Therapie von Menschen mit Demenz entwickelt. Bei diesen ist der persönliche Zugang für Pflegende oft sehr schwierig. «Paro kann hier ein Türöffner sein», weiss Pfulg. «Man erreicht damit Menschen, die nicht so stark auf andere Menschen reagieren, aber dafür Tiere mögen. Oder auch solche, die sehr in sich versunken sind. Ihnen können wir mit Paro helfen, aus der eigenen Welt etwas herauszukommen und einen Kontakt herzustellen.» Doch das Spektrum an Reaktionen ist breit. Manche sprechen sehr gut auf den Roboter an, andere wiederum lässt er völlig kalt.
Ist Paro also ein Ersatz für die Pflege? Pfulg verneint vehement. Paro sei einfach ein Hilfsmittel, ein Werkzeug wie andere auch, die sie zur Aktivierung älterer Menschen verwenden. «Paro ersetzt die Pflege nicht. Wir kommen nie auf eine Abteilung und sagen, dass sich eine Bewohnerin jetzt mal eine Stunde mit der Roboterrobbe beschäftigen könne.» Der Zugang sei subtil, man müsse die Menschen beobachten und auf ihre Gefühle reagieren. Darum werde auch niemand mit Paro alleine gelassen. «Die Begegnung kann zum Beispiel Trauer auslösen, die wir als Pflegende dann auffangen müssen.»
Trotz des grossen Fachkräftemangels in der Pflege glaubt Pfulg nicht, dass Roboter Menschen in der Pflege ersetzen können. Ohnehin sind Roboter bisher oft für eine eng umrissene Aufgabe programmiert und entwickelt. So zum Beispiel der in der Schweiz gebaute Pflegeroboter Lio – ein orange-weisser Roboterarm auf Rädern. Er weckt BewohnerInnen am Morgen und bringt ihnen etwas zu trinken. Die Frage nach dem Wetter beantwortet er, indem die aktuelle Prognose auf dem eingebauten Tablet angezeigt wird. Wer möchte, kann sich von Lio eine Geschichte erzählen lassen oder sich auf dem Weg in die Kantine auf seinem starken und dennoch weichen Arm abstützen – sicherlich eine Hilfe für manche.
Der Sozialroboter Pepper und sein älterer, kniehoher Bruder Nao gehen da schon etwas weiter. Die beiden wurden wie Paro in Japan entwickelt und sollen mit ihrer quirligen Art und der humanoiden Form einen Eindruck von Nahbarkeit und Verbindung vermitteln. Eingebaute Sensoren merken, wenn man sie berührt und streichelt. Und wenn Nao durch die Gegend watschelt, erkennen die eingebauten Kameras am Boden liegende Objekte, die der Roboter dann selbstständig aufheben kann. Wer möchte, kann mit Nao sprechen oder sich Yogaübungen vorzeigen lassen. Zwar ist der Austausch ziemlich beschränkt und folgt programmierten Mustern, doch einen gewissen Charme – vielleicht gar eine Persönlichkeit – kann man Nao dennoch nicht absprechen.
Unterhaltungs- und Assistenzrobotern ist Pfulg nicht abgeneigt, aber der menschliche Kontakt könne nicht ersetzt werden. «Man muss die Würde der Menschen bewahren. Das braucht viel Einfühlungsvermögen.» Vor allem auch, weil viele von uns im Alter immer weniger Kontakt mit anderen Menschen haben. Sollen wir einfach dem Roboter unsere Lebensgeschichte erzählen? Und was sagt das über uns als Gesellschaft aus, wenn wir ältere Menschen von Robotern pflegen lassen, weil es günstiger ist?
Auch für die Medizinethikerin und Gerontologin Tenzin Wangmo ist der menschliche Kontakt eine Grundvoraussetzung für die Pflege im Alter. An der Universität Basel forscht sie zu den Auswirkungen digitaler Assistenzsysteme auf das Leben älterer Menschen. «Einsamkeit ist ein kritischer Punkt im Alter», erklärt sie. «Wir möchten herausfinden, ob Roboter oder digitale Technologien hier helfen können.»
Ohne Menschen geht es nicht
Wenn wir bloss nach technischen Lösungen suchen, besteht die Gefahr, dass dieser Austausch verloren geht. Wenige wünschen sich wohl einen Roboter als einzigen Gesprächs- und Austauschpartner. «Wir müssen uns fragen, was wir ersetzen müssen, weil uns die Ressourcen fehlen, und was wir auf keinen Fall ersetzen dürfen, weil es zu wertvoll ist», mahnt Wangmo. Es sei immer nötig, nach dem konkreten Nutzen einer Technologie zu fragen. Zum Beispiel: Was machen wir Nützliches mit der eingesparten Zeit und den frei gewordenen Ressourcen? «Technologie darf nie als bequeme Lösung verstanden werden. Als Gesellschaft sind wir von Empathie, Verbindung und Gemeinschaft abhängig. Das setzen wir aufs Spiel, wenn wir Technologie blindlings einsetzen.»
Darum ist auch für Tenzin Wangmo klar: «Menschlicher Kontakt, der Austausch miteinander und die gegenseitige Abhängigkeit dürfen nie ersetzt werden.» Natürlich können wir genauso wenig alle digitalen Technologien ablehnen und vermeiden. Bei manchen besteht durchaus ein wirklicher Nutzen. Zum Beispiel, wenn es um Routinearbeiten geht, die einfach automatisiert werden können. Dann bleibt mehr Zeit für Austausch und Empathie. Es gibt auch Systeme, die unsere Sicherheit und Selbstständigkeit im Alter unterstützen können. Nur müssen wir hier auf der Hut sein, dass wir wichtige Werte nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Es ist sicher nützlich, wenn die Tochter auf dem Handy einen Alarm erhält, falls der Vater zu Hause gestürzt ist. Nur darf es nicht dazu führen, dass sie deshalb noch seltener zu Besuch ist – schliesslich wäre sie im Notfall ja informiert. Ein Grund mehr, nicht dem Mythos der digital unterstützten Selbstbestimmtheit auf den Leim zu gehen. Menschen sind immer voneinander abhängig und aufeinander angewiesen.
Dieser Text erschien ursprünglich im Magazin «Doppelpunkt», Nr. 27/19.