Pop: Netflix als Fluchtstrategie

Nr. 39 –

Dass leider nicht alles so einfach ist, das wussten 2007 schon die Fantastischen Vier. Während die sich noch mit Liebesdramen und den Mühen der Arbeitswelt abrackerten, sehnt sich der Rapper Fatoni im tollen neuen Track «Nein Nein Nein Nein Nein Nein» nach dem Weltbild seines siebzehnjährigen Ichs: einfach, high, von Samy Deluxes krudem Politikverständnis beeinflusst: «Das Wort ‹Systemkritik› gab es damals noch nicht in negativ.» Ein altes Thema bei Fatoni, diese ärgerlichen verschwörungstheoretischen Abdrifter im deutschen Pop, über die er sich lustig macht. Und das sehr unterhaltsam, wie in «Tränen oder Pisse» von 2014: Wer schafft es sonst, zwölf sinnvolle Doppelreime auf «Xavier Naidoo» zu dichten?

Lyrisch ist Fatoni immer noch top, anständiges Storytelling und gut gebastelte Strophen gibts auch auf seinem neuen Album «Andorra». Musikalisch ist es breiter als das traplastige Mixtape «Im Modus» (2017), poppiger auch – immerhin hat sich Fatoni für das wunderbare «Alles zieht vorbei» mit Tocotronic-Sänger und -Gitarrist Dirk von Lowtzow zusammengetan. Dieser erste Track zeigt aber auch das etwas übermässig bearbeitete Thema des Albums an: älter werden, nicht mehr überall dabei sein wollen, Selbstzweifel, Netflix-Binge-Watching als Fluchtstrategie. «Gestern noch fresh, heute Auslaufmodell / Was hab ich hier verloren, also ausser mich selbst?», lautet die Zeile, die Fatonis Stimmung übers Album hinweg ziemlich gut ausdrückt. Das ist humoristisch gemacht, klug und ein wenig bittersüss, so wie man das von ihm kennt, aber es ist eben auch ein bisschen viel Wiederholung. Da hätte er sich zum Beispiel «Clint Eastwood» sparen können, die Kritik am momentanen Zeitgeist bleibt enttäuschend platt. Zum Glück ist dieser Song eher die Ausnahme. Denn ansonsten schafft Fatoni es einmal mehr, intellektuellen Rap zu machen und gleichzeitig cool zu sein und gesellschaftskritisch, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen: «Ich würde ja gerne glauben, die halten mich dumm. / Dass ich zu faul für Bücher bin, ist zwar die Wahrheit, aber nicht gerade der geilere Grund.»

Fatoni: Andorra. Urban. 2019