Auf allen Kanälen : Unehrliche Übernahme der «Berliner»

Nr.  48 –

Ein branchenfremdes Paar hat die geschwächte «Berliner Zeitung» übernommen. Angeblich wollen sie das Blatt retten. Nun jagt ein Skandal den anderen. Kann das noch gut gehen?

Da ist sie wieder, die hochtrabende Idee einer deutschen «Washington Post». Michael Maier lässt sie aufleben, der neue Geschäftsführer des Berliner Verlags und Herausgeber der dort erscheinenden «Berliner Zeitung»: eine Zeitung mit Wirkmacht, mit investigativer Kraft aus der deutschen Bundeshauptstadt? Der Vergleich mit der «Washington Post» kommt derzeit oft: Der neue Eigentümer der «Berliner», Holger Friedrich, ist wie Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die «Post» übernommen hat, mit IT zu einem Vermögen gekommen. Friedrich hatte einst ein Softwareunternehmen aufgebaut, es dann verkauft und ist so an «viel zu viel Geld» gekommen, wie er selbst sagt. Seitdem führe seine Familie ein «sehr interessantes Leben».

Dunkle Vergangenheit

Nun versucht dieser Friedrich zusammen mit seiner Frau Silke, eine Zeitung zu retten, wie er vorgibt. Der Zugriff erfolgte im Moment der maximalen Schwäche: Nachdem die «Berliner», die mit ihren politischen Analysen und exklusiven Interviews bis in die nuller Jahre noch bundesweit Beachtung gefunden hatte, von einem britischen Finanzinvestor klein geschlagen und dann vom Kölner Verlagshaus DuMont mit – durchaus notwendigen – Sparprogrammen an den Rand der Bedeutungslosigkeit getrieben worden war, langten die Friedrichs zu. Die «Berliner Zeitung» war einst ein Kind der DDR. Die Friedrichs auch. Es schien zu passen.

Die Anekdote zu – so Holger Friedrich – «Zonengabis Rache» geht so: Er sei von den bisherigen Eigentümern für einen Vortrag gebucht gewesen, Thema: Technik in Verlagen, damit hatte er sich schon mal beschäftigt. Als sich dann die Honorarfrage stellte, schlug Friedrich nach eigenem Bekunden vor, doch lieber über den Verkauf des Berliner Verlags zu reden, zu dem auch der Boulevardtitel «Berliner Kurier», Onlinedienste und eine Druckerei gehören. So ist es gekommen. Seitdem wird gerätselt: Was wollen die neuen VerlegerInnen eigentlich?

Das Entsetzen in der Redaktion und darüber hinaus ist jedenfalls gross. In einer «Berliner Botschaft», mit der sich die Friedrichs in ihrer eigenen Zeitung zum 30. Jubiläum des Mauerfalls gleich selbst vorstellten, liessen sie gegenüber der Politik ihre Ungeduld und Technikverliebtheit durchblicken, die sie auch im persönlichen Kontakt auszeichnet. Die Friedrichs regten etwa Wahlen alle zwei Jahre an, bequem per Smartphone.

Vor allem aber priesen sie Egon Krenz, den letzten «zweiten Mann» des DDR-Regimes, der für Mauertote mitverantwortlich war und rechtskräftig verurteilt wurde. Ihm seien sie dankbar. Die Zeitung druckte auch ein Interview mit Krenz und bewarb es auf Instagram mit der Bemerkung, es werde «bis heute wenig gewürdigt, dass der friedliche Verlauf der Wende in erheblichem Masse mit seinen Entscheidungen zusammenhängt». Der Aufschrei folgte prompt: Verklärung?

In Anspielung auf einen lange zurückliegenden Vortrag des russischen Präsidenten im Bundestag fragen sie wiederum: «Warum haben wir 2001 die ausgestreckte Hand von Herrn Putin nicht ergriffen?» Holger Friedrich sagte zudem in einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, nach dem Kauf der Zeitung hätten ihn viele Angebote erreicht – auch aus Russland. Schon in ihren ersten Tagen als VerlegerInnen sorgten die Friedrichs nicht nur dafür, dass die «Berliner Zeitung» im Netz wieder einen flotten Auftritt hat, sondern auch, dass Texte auf Russisch erscheinen. Das heizt Verschwörungstheorien an.

Brisant ist die Enthüllung der «Welt am Sonntag»: Holger Friedrich spitzelte für die Stasi. Als sogenannter Inoffizieller Mitarbeiter berichtete er während seines Wehrdiensts über Kameraden. Friedrich selbst spricht von einer «Notsituation». Er sei erpresst worden: Knast oder Konspiration. Seine Akte bestätigt dies. Was bislang nur seine Behauptung ist: Er habe diejenigen eingeweiht, die er ausspionieren sollte.

Der Redaktion hat er diese dunkle Facette seiner Vergangenheit verschwiegen – ausgerechnet bei der «Berliner», die einst selbst publizistisches Organ des DDR-Regimes war und sich nach der Wende unter erheblichen Schmerzen von vielen Stasi-MitarbeiterInnen aus den eigenen Reihen trennte. Die Friedrichs sagen nun, sie würden sich ihrer Vergangenheit stellen. Sie früher zu offenbaren, wäre nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, sagten sie der FAZ: «Vor dem Kauf des Verlags? Dann würden wir nicht hier sitzen.» Damit sagen sie nichts anderes als: Sie waren bei der Übernahme der «Berliner Zeitung» bewusst nicht ehrlich.

Fehlende Transparenz

Und nun? Die in den vergangenen Jahren ohnehin ausgedünnte Redaktion stellt fünf Leute ab, um die Stasi-Vergangenheit ihres Verlegers aufzuarbeiten, mit den Bespitzelten zu reden und die Ergebnisse mit externen ExpertInnen zu bewerten. Geplant ist auch ein Redaktionsstatut. Es soll klären, wann die NeuverlegerInnen überhaupt mitreden dürfen, wenn es um die inhaltliche Arbeit geht. Da kam es nämlich gleich zu mehreren Vorkommnissen, etwa einem Bericht über ein Unternehmen, bei dem sich nachträglich herausstellte: Holger Friedrich ist daran beteiligt. Der Tipp, darüber zu berichten, kam von ihm. Transparenz allerdings nicht.

Michael Maier, der neue Herausgeber, der in den Neunzigern selbst mal Chefredaktor der «Berliner Zeitung» war, bietet sich nun als «Brandmauer» zwischen Redaktion und Neuverlegerpaar an. Womöglich kann die Redaktion ja dann an seinem Plan weiterarbeiten: an einer Art «Washington Post» aus Berlin. Auch wenn das reichlich ambitioniert erscheint. Das Blatt bedient längst kaum mehr als die regionale Nische.