#digi: Ferien von der Welt

Nr. 20 –

Eine unberührte Insel und freie Hand, sie ins Paradies zu verwandeln. Das ist das Spielprinzip von «Animal Crossing: New Horizons». Seit der Veröffentlichung im März ist es wohl das beliebteste Spiel der Coronakrise und wurde in einem Monat fünf Millionen Mal gekauft – so oft wie bisher kein anderes Konsolenspiel in derselben Zeitspanne. Das Bedürfnis nach einer kleinen, heilen Welt scheint gross zu sein.

Die Spiele der «Animal Crossing»-Reihe bauen auf vier Pfeilern: in einer Fabelwelt Dinge sammeln und die Umgebung personalisieren, Gemeinschaft pflegen sowie Freiheit von Konflikten und Zwängen. So kann ich in der neusten Version nun eine Insel mit Blumen, Hecken, Gehwegen oder sonstigem Zeug nach meinem Gusto gestalten und Schmetterlinge fangen, ein bisschen am Fluss fischen oder mit meinen NachbarInnen plaudern. Die innere Uhr des Spiels tickt dabei wie unsere. Wer nachts um drei noch auf ist, findet Glühwürmchen, und wer ein verschneites Dorf will, muss sich noch einige Monate gedulden. Es ist eine Flucht aus dem täglichen Leben – ein bisschen Eskapismus im tragbaren Format. Gerade wenn in der echten Welt Unsicherheit und Angst herrschen, finden wir im Fiktiven Trost. So erstaunt es nicht, dass die erste Ausgabe 2001 nach einer zehnjährigen Rezession in Japan erschien. Die Simulation einer Idylle kam gerade recht.

Nicht zuletzt, weil das Spiel auch als Allegorie einer Welt ohne VerliererInnen gelesen werden kann. Hier wird jede Beschäftigung belohnt. Egal ob sie ökonomisch Sinn ergibt oder nicht. Sogar Tom Nook, der magische Waschbär und einzige waschechte Kapitalist auf der Insel, schert sich nicht darum, ob wir Blumen giessen, Fossilien ausbuddeln oder am Strand entlangwatscheln. Wer kein Geld hat, muss keine Konsequenzen fürchten – die zinslosen Darlehen von Tom Nook für den Ausbau des eigenen Hauses können irgendwann oder nie zurückbezahlt werden.

Es ist viel zu einfach, das als furchtbar naiv zu belächeln. Denn der Erfolg zeigt, dass gerade wenn Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Zwangsmassnahmen um sich greifen, die Imagination einer Welt ohne Leistungsdruck eine besänftigende Wirkung erzeugt.

«Animal Crossing: New Horizons» gibt es für 59 Franken auf der Nintendo Switch.