Feminismus: Die Welt verweiblichen

Nr. 22 –

Mit ihrem «Hexen»-Buch hat Mona Chollet in Frankreich einen Bestseller gelandet. Taugt die Figur der Hexe aber heute noch als feministische Ikone?

Liefert ein süffiges Gebräu aus Referenzen und Analysen: Autorin Mona Chollet. Foto: Mathieu Zazzo

Hexen, das sind für Mona Chollet nicht bloss einsame Katzenliebhaberinnen oder neoheidnische Westcoast-Queers. Hexen sind Frauen, die sich der Fremdbestimmung über ihren Körper widersetzen. Insbesondere solche, die «etwas anderes hervorbringen als Kinder».

Die Schweizer Journalistin, die für «Le Monde diplomatique» in Paris arbeitet, zeigt in ihrem nun auf Deutsch erschienenen Buch «Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen», wie die Hexenverfolgungen bis in die Gegenwart nachhallen: in Ressentiments gegen selbstbewusste Frauen, die sich nicht vor dem Verlust ihrer Jugend fürchten. Gegen Frauen, die die vermeintlich unantastbare Autorität der Wissenschaft kritisch prüfen, deren Methoden sie jahrhundertelang nicht mitentwickeln durften. Gegen Frauen, die dem Kult einer kalten Rationalität etwas entgegenzusetzen haben.

Denn, so lehnt sich Chollet an Autorinnen wie Silvia Federici an, nicht zuletzt die neuzeitliche Etablierung eines mechanistischen Weltbilds ermöglichte es, die Erde aufs Äusserste auszubeuten – ein Prozess, der mit einer tödlichen Disziplinierungskampagne gegen Frauen einherging. So wie die Bergwerke als «Mutter Erdes Vagina» angesehen wurden, deren Reichtümer grenzenlos zur Verfügung stehen, so sollte auch der weibliche Körper gefügig gemacht werden.

Allerdings: Wäre es nicht an der Zeit, die sogenannten Hexen von ebendieser Bezeichnung zu befreien, anstatt sie weiterhin zu Ikonen weiblicher Autonomie zu stilisieren? Sogar das von Chollet zitierte feministische Kollektiv WITCH (Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell) aus den Sechzigern bezeichnete rückblickend seine Satansanbetung vor der New Yorker Börse als naiven Fauxpas: Hexen, die den Teufel anbeten – das ist eine patriarchale Erfindung!

Die Motive der Verfolger

Blauäugig verwendet Chollet die Hexenmetapher jedoch nicht. Sie benennt die Gefahr der Essenzialisierung: Frauen wurden und werden immer wieder mit angeblich natürlichen Eigenschaften wie Empfindsamkeit assoziiert, womit ihnen zugleich Rationalität abgesprochen wird. Trotzdem ist Chollets Buch auch ein Plädoyer für eine «weiblichere» Welt, womit sie aber keine starre Essenz meint, sondern aufzuwertende Zuschreibungen. Es sei eine Gratwanderung, einen «Bezug zur Natur herzustellen, mit der man zwangsweise oder negativ assoziiert wurde».

Chollets persönliche Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, gründet jedenfalls nicht nur in Selbstverwirklichungsansprüchen, sondern hat mit ebendieser Natur zu tun: «Ich für meinen Teil könnte (…) der Gesellschaft kein weiteres Mitglied zumuten, während sie so spektakulär daran gescheitert ist, eine harmonische Beziehung zu ihrer Umwelt herzustellen, und auf dem besten Weg scheint, sie völlig zu zerstören», schreibt sie. «Manchmal mag einen sogar grosse Empathie für Kinder davon abhalten, welche in die Welt zu setzen.»

Mit welcher Herablassung Frauen begegnet wird, die auf Nachwuchs lieber verzichten, beschreibt Chollet fast schon zu ausführlich. Womöglich braucht es aber genau solche mantrahaften Aneinanderreihungen, um vorzuführen, wie wenig Anerkennung die Option Kinderlosigkeit heute noch geniesst und welche sozialen Zwänge dies mit sich bringt. Abtreibungen, Verhütung, Kindsmord – das waren schon die Hauptmotive derer, die einst Hexen verfolgten. Chollet hat sehr recht damit, dass der Welt viel Leid erspart bliebe, gäbe es mehr Platz für vielfältige Lebensentwürfe.

Eher aber florieren heute archaische Vorstellungen über kinderlose und überhaupt ältere Frauen: innerlich ausgedörrt und mit einer Gebärmutter als «mit Spinnennetzen durchzogenem Hohlraum». Dem Älterwerden widmet Chollet ein weiteres langes Kapitel. Männer «sind autorisiert zu altern»; dagegen sei die Menopause bei Frauen etwas, worüber man nicht spreche. Ohne zu moralisieren und ohne das komplexe Feld des Begehrens allzu sehr zu vereinfachen, stellt sie bei Liebhabern jüngerer Frauen «geistige Bequemlichkeit» fest, die sich aus der Angst vor weiblichem Selbstbewusstsein speist. Ein Relikt der Hexenverfolgungen? Angebliche «Arroganz» sei häufig ein Vorwand für die Verurteilung von Frauen fortgeschrittenen Alters gewesen, so Chollet.

Operationen ohne Betäubungen

Der spannendste Teil ihres Buchs widmet sich dem Berufsstand der ÄrztInnen, in dem männlich-autoritäres Gebaren bis heute vorherrscht. Die moderne Medizin entwickelte sich nicht nur auf dem Rücken von kolonisiertem oder zerstörtem Wissen der Heilerinnen und Hebammen, sie ist auch besonders rassistisch geprägt. An ein und derselben versklavten Frau – Anarcha Westcott – etwa führte der Arzt James Marion Sims, der als «Vater der modernen Gynäkologie» gilt, über dreissig Operationen ohne Betäubung durch. Wie aktuell eine solche Abwertung bestimmter Körper ist, zeigte kürzlich der Vorschlag zweier französischer Ärzte, Covid-19-Impfungen in Afrika zu testen.

Chollets Hexenbuch mag den Feminismus nicht neu erfinden, es ist aber ein süffiges Gebräu aus Referenzen und Analysen durch Zeiten, Disziplinen, Widerstands- und Popkulturen hindurch. Wer auf die Identifikation mit Archetypen verzichten kann – schön. Allen anderen führt Chollet vor, warum eine Existenz als elegante, alte, schlaue Hexe sicher nicht den allerschlechtesten Lebensentwurf darstellt.

Mona Chollet: Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen. Edition Nautilus. Hamburg 2020. 288 Seiten. 29 Franken