Die spanische Fotografin Judith Prat liebte die Pyrenäen – bis sie von den Hexenverfolgungen erfuhr, die hier stattgefunden hatten. In einer Fotoarbeit dokumentiert sie die Orte der Verbrechen und porträtiert Frauen, die vielleicht heute als Hexen gälten.
Von Judith Prat (Fotos)
Mireia Cabrera Salvadó lebt in Laspaúles und arbeitet mit Therapiepferden. 1592 wurden 24 Frauen aus Laspaúles gehängt. Man warf ihnen vor, Nachbar:innen vergiftet, Kinder entführt und ermordet sowie verbotene Salben hergestellt zu haben. Es ist das grösste bekannte Massaker an Frauen in der Region, das auf einen einzigen Hexenprozess zurückging.
Ein irrationaler Ausbruch von archaischer Gewalt: So werden die Hexenverfolgungen oft dargestellt. Feministische Forschung zeigt allerdings: Sie waren weder irrational noch archaisch. Silvia Federici, emeritierte Professorin für politische Philosophie in New York, sieht die Hexenjagden als Vorbereitung auf die kapitalistische Gesellschaft: Mächtige Männer liessen eigenwillige Frauen verfolgen, foltern und töten, um deren wirtschaftliche Unabhängigkeit zu zerstören. Hebammen und Heilkundige, die ihr Wissen unabhängig von der männerdominierten Medizin anwendeten, waren besonders verdächtig. Und die meisten «Hexen» wurden nicht im «finsteren» Mittelalter, sondern in der Frühen Neuzeit verfolgt, im Übergang zu einer marktorientierten Gesellschaft (siehe WOZ Nr. 41/23). Natürlich war das für lokale Machthaber, gierige oder eifersüchtige Nachbar:innen auch einfach eine gute Gelegenheit, unbequeme Frauen loszuwerden und sich deren Besitz unter den Nagel zu reissen.
Die Fotografin Judith Prat ist in der spanischen Provinz Huesca aufgewachsen. «Die Pyrenäen sind ein Teil von mir», schreibt sie in einer Dokumentation zu ihren Fotos. Doch das vertraute Bild ihrer wunderschönen Heimat begann zu bröckeln, als sie entdeckte, wie heftig die Hexenverfolgungen gerade in den Pyrenäen gewesen waren. Sie begann zu recherchieren, suchte historische Dokumente und Berichte aus Spanien und Frankreich. «Ich bin entschlossen, diesen Raum zurückzufordern – jetzt, wo ich von seinen Widersprüchen weiss –, um eine Geschichte zu erzählen: die Geschichte dieser Menschen, die nie Hexen waren, einfach Frauen.»
Wer wäre heute eine «Hexe»? Prat suchte Frauen, auf die dieser Verdacht vielleicht fallen würde, und die dort leben, wo historische Hexenverfolgungen dokumentiert sind. Sie fotografierte diese Frauen, aber auch Landschaften, Tiere wie Ziegenböcke und Katzen, die mit Hexerei in Verbindung gebracht wurden, und Symbole, die Schutz vor Hexerei versprachen – und heute manchmal als Folklore weiterleben, weil niemand mehr das Grauen dahinter erkennt.
Diese Kirche beim Dorf Mediano wurde beim Bau eines Stausees unter Wasser gesetzt. Das kleine Häuschen daneben, der «esconjuradero», ist nur bei tiefem Wasserstand sichtbar. Priester beteten in den «esconjuraderos» für den Schutz von Tieren, Menschen und Feldern. Der Glaube, dass Hexen Seuchen, Stürme, Dürren und Überschwemmungen verursachten, war weitverbreitet. Die Golddistel an Türen und Fenstern soll vor Hexen schützen.Emilia Puyuelo Grasa ist Saatguthüterin. Sie lebt mit ihrer Familie in der alten Getreidemühle von Guaso. Die Familie hat die Mühle in ein Kleinkraftwerk umgebaut und produziert eigenen Strom. Puyuelo Grasa hat ein Projekt zur Wiedergewinnung einheimischen Saatguts in der Region Sobrarbe ins Leben gerufen. Sobrarbe ist eine der Regionen Spaniens, die am stärksten von Hexenverfolgung betroffen waren. Yolanda Palomo Arrabal, Direktorin der Höhle Güixas de Villanúa, barfuss in der Höhle, die heute eine Attraktion für Tourist:innen ist. Im 15. Jahrhundert hiess es, Hexen und Heiler:innen träfen sich hier zum Tanzen und Zaubern. Fünfzehn Frauen aus Villanúa wurden wegen Hexerei verurteilt: Sieben Männer hatten ihnen vorgeworfen, Menschen zu vergiften und krank zu machen. Pilar Amorós Muzas hat mit ihrem Partner die Gruppe Titiriteros de Binéfar gegründet. In Abizanda, einem kleinen Dorf der Region Sobrarbe, haben sie ein Marionettentheater und -museum eröffnet. Amorós Muzas steht seit vierzig Jahren auf der Bühne und ist in mehr als 45 Ländern aufgetreten. Im Volksglauben hat der Teufel Bocksfüsse, nimmt manchmal auch vollständig die Form eines Ziegenbocks an und macht am Hexensabbat mit. Marina Rivas Puyuelo ist Schmiedin mit eigener Werkstatt in Boltaña. Sie arbeitet täglich mit Feuer und Eisen, benutzt in ihrer altmodischen Schmiede moderne Werkzeuge. Gemäss Legenden trafen sich die Hexen im Schloss Boltaña, um Hexensabbat zu feiern.Ein phallischer Türklopfer an der Tür des Klosters Santa Bárbara in Ansó. Solche Türklopfer sind erstaunlicherweise oft an Kirchentüren zu finden, obwohl sie auf magisches Denken zurückgehen: Sie sollen die Fruchtbarkeit fördern. Eine trächtige Stute auf dem Pla de Beret, einer Hochebene in den katalanischen Pyrenäen, die als Hexentreffpunkt gedient haben soll.
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