Jürgen Ploog (1935–2020): Lebenslang Underground
Wenn es eine Literatur gibt, die im deutschsprachigen Betrieb niemals Konjunktur hatte, dann die US-amerikanische Beatliteratur in ihrer radikaleren Spielart. Also nicht die Storys aus dem Säufer- und Drogenalltag à la Charles Bukowski, sondern die Cut-up-Literatur eines William S. Burroughs, die sich vornimmt, die Linearität der Erzählungen aufzubrechen und nach Formen zu suchen, die unserem Denken und unserer Wahrnehmung angemessener sind. Ihre Widerborstigkeit hat diese Methode bis heute nicht eingebüsst, und so hat Jürgen Ploog, Burroughs’ deutscher Schüler, sein ganzes Leben im literarischen Underground zugebracht.
Die Publikationsliste des 1935 in München geborenen Ploog spiegelt eine Odyssee durch Kleinverlage wieder – vom Darmstädter Melzer-Verlag, wo 1969 das Debüt «Cola-Hinterland» erschien, über Nachtmaschine (Basel), Paria (Frankfurt) und Druckhaus Galrev (Berlin) bis hin zu Peter Engstler (Ostheim/Rhön) und Moloko-Print (Schönebeck), wo 2019 «Dillinger in Dahlem» herausgekommen ist. Man kann nicht sagen, dass Ploog darüber nur glücklich war. Mit der literarischen Subkultur der kleinen Verlage fremdelte der dandyhaft und nicht selten etwas grossspurig auftretende Autor. Ploog, dem seine Berufstätigkeit als Lufthansa-Pilot Unabhängigkeit garantierte, blickte nicht ohne Spott auf die vermeintlich freien AutorInnen, die jedem Brosamen nachlaufen müssen, der im Kulturbetrieb für sie abfällt. Das heisst freilich nicht, dass er nicht auch selbst tatkräftig am Aufbau einer literarischen Gegenöffentlichkeit mitgearbeitet hätte – so mit «Gasolin 23», der legendären «Zeitschrift für zeitgemässe Literatur», die er zwischen 1972 und 1986 gemeinsam mit Carl Weissner, Jörg Fauser und Walter Hartmann edierte.
Cut-up verstand Ploog als «manifeste Kritik an der Schriftsprache», er sah das Zukunftsweisende des 1959 von Brion Gysin «entdeckten» Verfahrens, wie er in seinem Buch «Die letzte Dimension» schreibt: «Ich wollte herausfinden, was Worte in unwahrscheinlicher Kombination mit meinem Vorstellungsraum anstellen.» Was abstrakt klingen mag, führte in der Schreibpraxis zu üppigen Bildwelten und stets überraschenden Schnitten. Die Verwandtschaft mit den Montagetechniken der Avantgarden sah Ploog durchaus.
Am 19. Mai ist Jürgen Ploog im Alter von 85 Jahren in Frankfurt am Main gestorben. Wer sich für Literatur interessiert, die vor der Komplexität des zeitgenössischen Lebens nicht die Waffen streckt, wird an diesem Werk in Zukunft nicht vorbeikommen. Denn: «Fragmentierung ist Dechiffrierung.»