Buch «Nächte in Amnesien»: Der kurze nackte Augenblick
Jürgen Ploogs «Nächte in Amnesien» erschien erstmals 1980 im Sphinx-Verlag zu Basel; damals brachte dieser Verlag – neben den Esoterika, auf die er sich später konzentrierte – Bücher von AutorInnen heraus, die den Zeitgeist des Umbruchs, der Suche nach neuen Wegen verkörperten, darunter William S. Burroughs, Ed Sanders, Timothy Leary oder Heathcote Williams. Ploogs Texte passten gut in dieses Umfeld; die Beatgeneration, Pop und Psychedelik prägten es.
Im Nachwort, das der Doyen des deutschen Undergrounds zur Neufassung seines Buchs beisteuerte, heisst es: «Amnesien, dieses nach dem Muster gefühlter Science Fiction in eine Raumstation projizierte Territorium, liefert genügend Voraussetzungen für Darstellungs- & Wahrnehmungsverschiebungen unter veränderten Lebensbedingungen ohne Erinnerung, wo Zeit in Diskontinuitäten zerbricht. Es geht dabei nicht um üblichen Erinnerungsverlust, sondern um den Verlust jeder Vergangenheit mit der Folge, dass in der Exterritorialität nur der kurze nackte Augenblick zwischen Tür & Angel der Wahrnehmung zählt.» Wenn nur «der kurze nackte Augenblick» – in der Wortwahl klingt Burroughs’ «Naked Lunch» an – zählt, tritt der Plot zugunsten gespenstischer Szenarien im amnesischen Irgendwo beziehungsweise im futuristischen Irgendwann völlig zurück. Wer Ploog liest, lässt sich auf einen Raum jenseits der Koordinaten dieser Erde ein, in dem Unklarheiten, Vages, Andeutungen eine knisternde Atmosphäre erzeugen.
Diese Prosa ist aus einem Schnittverfahren hervorgegangen, der Cut-up-Methode. Der technisch versierte Expilot Ploog wendet sie seit den frühen sechziger Jahren an – im Anschluss an ihre Erfindung durch Brion Gysin 1959. Cut-up oder die Durchquerung des Nullpunkts der Literatur. Was erscheint auf der anderen Seite? Welche Gestalten und Prozesse spielen sich jenseits des manipulierten Bewusstseinsstroms ein?
Hierauf stellt Ploogs Roman «Nächte in Amnesien», der in einer wohlfeilen Ausgabe rechtzeitig zu seinem 80. Geburtstag am 9. Januar 2015 erschienen ist, zweifellos eine stilsichere Antwort dar.
Jürgen Ploog: Nächte in Amnesien. Mit Illustrationen von Robert Schalinski. Moloko Print. Schönebeck 2014. 270 Seiten. Fr. 17.50