LeserInnenbriefe

Nr. 44 –

Kreative Lösung

«Waldökologie: ‹So etwas habe ich noch nie erlebt›», WOZ Nr. 41/2020

Für den rundum gelungenen und informativen Beitrag möchte ich allen Beteiligten danken, dem Schreiber, dem Illustrator – und allen für den Mut, so eine kreative Lösung zu wählen. Merci fürs Lese- und Lernvergnügen. Wenn ihr so weitermacht, könnt ihr hoffentlich bald weitere Tonnen Schweizer Fichtenholz (in Papierform) unter die Leute bringen.

Urs Walter, per E-Mail

Wichtiges Buch vergessen

«Ruth Klüger (1931–2020): Die Unversöhnte», WOZ Nr. 42/2020

Dass beim NZZ-Nachruf auf Ruth Klüger ein eminent wichtiges Buch nicht vorkam, «Frauen lesen anders» (dtv, 1996), kann ich ja verstehen. Dass aber auch die WOZ dieses Buch «vergisst», ist enttäuschend, gerade weil sich Klüger nicht hauptsächlich als Überlebende definierte.

Im erwähnten Buch liest Ruth Klüger Schriftsteller von Goethe über Schiller bis zu Kästner gegen den Strich. Grundlegend für sie ist aber vor allem Folgendes: «Zwar lernen lesefreudige Frauen wie Minderheiten früh und schnell, die Distanz zu überbrücken, die ihre eigene Lebenserfahrung von der des weissen, christlichen, männlichen Autors trennt; doch bleibt es immer ein Sprung, ein Energieaufwand, den Männer so nicht machen müssen.»

Und zu sehr guter Letzt enthält das Buch unter dem Titel «Gegenströmung: Schreibende Frauen» den «Entwurf einer alternativen Literaturgeschichte» – immer noch erhellend und sehr zu empfehlen!

Barbara Rudolf, Bremgarten

Auf einem Auge blind

«Kampf um Bergkarabach: ‹Ich wünsche mir eine kaukasische Union›», WOZ Nr. 42/2020

Der georgische Politologe Paata Zakareishvili mag ein Kenner der Konflikte in seinem Heimatland sein, aber hinsichtlich des Konfliktes um Bergkarabach ist er auf mehr als einem Auge blind. Seine Aussage, dass die EU und die OSZE «leider in den Hintergrund gedrängt wurden» und man nun insbesondere von Russland fordern müsste, keine Waffen in die Kaukasusregion zu liefern, ist ein Hohn, zumal er nur nebenher die Rolle der Türkei erwähnt. Dabei ist es eine offensichtliche Tatsache, dass die Türkei mit militärischen Beratern und ihren Waffensystemen direkt am Krieg beteiligt ist und darüber hinaus im von ihr besetzten Nordsyrien Söldner anheuert, um den aserbaidschanischen Angriffskrieg zu unterstützen.

Nichts gegen die wohlklingenden Visionen dieses Herrn Zakareishvili; wer möchte nicht Friedensverhandlungen und eine kaukasische Union, eine solche hatte es übrigens nach dem Ersten Weltkrieg für kurze Zeit gegeben, bevor die Sowjetunion sich alles einverleibte. Der WOZ würde es aber wohl anstehen, etwas vertieft zu recherchieren, was tatsächlich vor Ort passiert und was die wirtschaftlichen Verflechtungen gerade auch der Schweiz in diesem Krieg sind. Aserbaidschans staatliche Ölgesellschaft Socar wickelt über ihre hiesige Tochterfirma Socar Energy Switzerland das weltweite Ölgeschäft ab und war in den letzten Jahren wiederholt in Bestechungsskandale verwickelt, die auch tief in die hiesige Politlandschaft reichten (Stichwort Kaviar-Diplomatie).

Generell bin ich konsterniert über die Ignoranz der hiesigen Linken, welche das Thema bisher kaum zur Kenntnis nimmt. Es handelt sich nicht um einen Religionskrieg, sondern um einen Territorialkonflikt, der durch eine willkürliche Gebietszuteilung unter Stalin seither latent schwelt. Die innenpolitische Situation der beiden Exsowjetrepubliken hat sich in den letzten Jahren sehr unterschiedlich entwickelt. Während Aserbaidschan hinsichtlich Menschenrechten und Pressefreiheit knapp vor Nordkorea liegt, hat Armenien seit 2018 eine demokratisch legitimierte Regierung.

Der ebenfalls meist nur beiläufig beziehungsweise im Interview gar nicht erwähnte Genozid an den Armeniern, den die Türkei hartnäckig leugnet, ist dann wohl der entscheidende Unterschied zur Situation in Europa, wo man nach dem Zweiten Weltkrieg, wie Herr Zakareishvili richtig sagt, einen Vertrag unterschrieb, welcher dann die Grundlage für ein Zusammenrücken Europas bildete. Wenn Deutschland den Holocaust bis heute hartnäckig leugnen würde (wie es die Türkei tut), wäre die Situation in Europa wohl auch anders.

Recht hat Herr Zakareishvili im letzten Abschnitt, wo er bedauert, dass die georgische Regierung gar nicht mehr mit den «abtrünnigen» Abchasen und Südosseten verhandelt. Karabach möchte seit dreissig Jahren mit Aserbaidschan direkt verhandeln, was jedoch vom dortigen Aliev-Clan immer abgelehnt wurde. Gegenwärtig wird das Land mit Streumunition und Killerdrohnen einfach mal zugebombt, ohne dass die westliche Welt gross reagiert …

Marcel Mayer, per E-Mail

Steiner und Theosophie

«Verschwörungsdemos: Das braune Erbe der Esoterik», WOZ Nr. 41/2020 , und LeserInnenbrief «Esoterik?», WOZ Nr. 42/2020

Es ist doch interessant. Nachdem ich den Artikel von Sarah Schmalz zum ersten Mal gelesen hatte, war ich überzeugt, dass es der erste schlechte Artikel der WOZ sei: Ich, ein rabiat links, wissenschaftlich und kritisch denkender ehemaliger Steiner-Schüler war schlichtweg empört, Steiner und Blavatsky in denselben Topf geworfen zu sehen. Bevor ich zur Abo-Abbestellung schritt, verbrachte ich aber zirka fünf Minuten mit einer Internetsuche über Steiner und Blavatsky …

Mir war schon bewusst, dass Steiner Esoteriker war, hab mich aber während meiner Schulzeit nicht daran gestossen. Und auch jetzt denke ich, alles in allem hat die Waldorfpädagogik durchaus gute Seiten, und Hokuspokus hin oder her, wer je einen biologisch-dynamischen Wein trank, weiss, dass er dem Wein nicht geschadet hat. Aber: Ich habe Steiners Rolle in der Theosophie all die Jahre nicht wahrgenommen. Das ist durchaus problematisch.

Dass ich in einer Steiner-Schule zwei Jahre lang den Unterricht eines Bernhard Schaub [des bekannten Holocaustleugners, Anmerkung der Redaktion] «geniessen» konnte und sogar noch ein gutes Zeugnis von ihm bekam (womit ich immer noch nicht umzugehen weiss!), habe ich bisher immer der Naivität des betreffenden Lehrerkollegiums angelastet. Und dass ich trotzdem keine rechtsextremen Tendenzen aufweise, verdanke ich möglicherweise einem querdenkenden Lehrer, der vom selben Kollegium rausgeekelt wurde …

Der WOZ-Artikel regte mich aber an, genauer hinzuschauen, und machte mir bewusst, dass der gemeinsame Nenner der Esoterik und des Rechtsextremismus wirklich existiert und der Grund ist, wieso ein rechtsextremer Geschichtslehrer an einer Steiner-Schule arbeiten will: Das Problem ist systemisch, auch wenn ihm an einer anderen Steiner-Schule eine spätere Anstellung gekündigt wurde.

So habe ich mich nach der Reaktion von Matthias Wiesmann entschlossen, nachzudoppeln. Die Anthroposophie beruht halt wirklich auf dem Prinzip der Theosophie, nach dem «eine höhere Einsicht in den Sinn aller Dinge nur in der mystischen Schau Gottes gewonnen werden kann». Das verhindert natürlich nicht, dass auch rational erkennbare Fakten theosophisch «belegt» werden können, aber auf falschen Prämissen: Das Problem ist eben, dass man mit Steiner, wie mit allen Denkern, die sich als «Seher» verstehen, über ein Gedankengut verfügt, mit dem man schlussendlich alles oder gar nichts belegen kann, da die Argumentation durch die zwingende Logik der Theosophie für «Nichtsehende» undurchsichtig bleibt.

So bereitet eben die Theosophie, und also auch die Anthroposophie, die Zutaten für eine Suppe, die Rechtsextreme und Antikapitalisten zusammen köcheln können. Für das Aufatmen von Generationen kritisch denkender Steiner-SchülerInnen wäre es an der Zeit, die Pädagogik an Steiner-Schulen klar von der theosophischen Anthroposophie zu trennen. Da die Anthroposophie ursprünglich eklektisch aus allen möglichen Prinzipien zusammengeschustert wurde, ist das nicht unmöglich. (Falls das gelingt, darf sogar die Eurythmie bleiben.)

Dominik Schlienger-Tuomi, Dalsbruk, Finnland