Waldökologie: «So etwas habe ich noch nie erlebt»
Die extrem trockenen Jahre 2018 und 2019 haben dem Wald zugesetzt. Unterwegs mit einer Biologin und einem Förster im Mittelland und in den Voralpen, wo die beiden häufigsten Baumarten der Schweiz leiden: Fichten und Buchen.
Der Förster reisst ein Stück Rinde vom Stamm. Es geht ganz locker, nur ein luftiges Knirschen ist zu hören. Die Innenseite gleicht einem fein gezeichneten Labyrinth. Auch auf dem freigelegten Holz sind die Wege des Borkenkäfers zu sehen. Im Abstand von einigen Millimetern überziehen Kerben den Stamm der Fichte. Der empfindlichste Teil des Baumorganismus liegt wenige Zentimeter unter der Rinde. Durch die Bast genannte Schicht fliessen die im Wasser gelösten Nährstoffe von der Krone zur Wurzel. Wenn der Käfer dieses Gewebe zerstört, stirbt der Baum.
Thomas Jurt, ein drahtiger junger Mann, der bergauf gleich schnell marschiert wie im Flachen, ist Revierförster im Murgtal oberhalb des Walensees. Neben einer Beige gefällter Fichten hat er seinen anthrazitfarbenen Skoda abgestellt. Wie fast immer in diesem September scheint die Sonne, es riecht nach geschnittenem Holz. Der Förster zeigt auf die andere Seite des Tals, wo der dunkelgrüne Wald von grossen grauen Flecken durchsetzt ist. «Das sind alles Käfernester.»
Das Murgtal liegt im St. Galler Teil der Glarner Alpen. In den Wäldern dominieren Fichten und Arven. Milde Temperaturen, viel Niederschlag, steile Hänge und Lawinen prägen den Waldstandort. Auf der Fahrt talaufwärts ziehen Felsformationen aus rötlichem Verrucano und von Steinschlägen gefüllte Bachbetten am Autofenster vorbei, auf den Alpweiden stehen Bergahorne neben mächtigen Findlingen.
Und immer wieder gestapelte Fichten am Strassenrand. Bei einem dieser Holzlager sind Bagger dabei, das Tobel unterhalb der Strasse aufzuschütten. Anstatt das Käferholz billig zu verkaufen, bauen die Forstwarte hier einen Holzschopf daraus. Vor 2018 haben Jurt und seine Forstwarte praktisch kein Käferholz geerntet, jetzt sind es zwischen 5000 und 10 000 Kubikmeter pro Jahr. Normalerweise beläuft sich der Hiebsatz eines Jahres, also das zur Ernte veranschlagte Holz, in seinem Revier auf 2500 Kubikmeter.
In den letzten zwei Jahren hat sich der Buchdrucker, eine Borkenkäferart, im Murgtal epidemisch ausgebreitet. Im Januar 2018 fegte der Sturm Burglind über die Schweiz und verursachte insgesamt 1,3 Millionen Kubikmeter Fallholz. Im Vergleich zum Orkan Lothar im Dezember 1999, bei dem die Bäume zu Tausenden auf fussballfeldgrossen Flächen liegen blieben, hat «Burglind» in Jurts Revier mehr Streuschäden verursacht. Einzelne Bäume oder kleinere Baumgruppen, die umknicken, sind schwieriger zu entfernen und machen den Kampf gegen die Ausbreitung der Borkenkäfer nahezu aussichtslos. Die Forstwarte kommen mit Aufräumen kaum nach.
Die extrem trockenen Jahre 2018 und 2019 haben die Fichten geschwächt. Der Harzfluss, mit dem sich die Bäume gegen Borkenkäfer wehren, war eingeschränkt, sodass der Schädling leichtes Spiel hatte, vom Sturmholz auf lebende Fichten überzugreifen. Doch die Fichten sind nicht die einzigen Bäume, die in Jurts Revier sterben. Immer wieder kommen faulig aussehende oder gänzlich kahle Eschen in Sicht. Die Eschenwelke, eine durch einen Pilz verursachte Krankheit, breitet sich aus; beim zweithäufigsten Laubbaum der Schweiz droht im Murgtal gemäss dem Förster ein Totalausfall: «Ich habe keine einzige gesunde Esche mehr.»
So viele tote Bäume wie noch nie
Aus ökologischer Sicht hat der Borkenkäfer auch sein Gutes. Abgestorbene Bäume werden zu wertvollem Lebensraum für Pilze, Moose, Flechten und Insekten. Zudem holt der Borkenkäfer auch seine Gegenspieler in den Wald, zum Beispiel die Schlupfwespe, die ihre Eier auf den Käfern ablegt, aber auch Spechte, deren Zahl in Jurts Revier markant gestiegen ist. Und wenn auf den entstehenden Lichtungen Bäume nachwachsen, hilft das, den Wald zu verjüngen.
Trotzdem gibt die Situation dem Förster zu denken: «So etwas habe ich noch nie erlebt. Flächen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, sind in zwei Jahren einfach weggestorben.» Jurt, vom Temperament her alles andere als zum Alarmismus neigend, sagt: «Wer in den letzten Jahren im Wald tätig war und mitbekommen hat, wie sich Stürme, Trockenjahre und Krankheiten häufen, fragt sich, wo das hinführt. Es passiert etwas da draussen.»
Auch Harald Bugmann, Professor für Waldökologie an der ETH Zürich, spricht von einer Zäsur: «So viele tote Bäume habe ich in der Schweiz noch nie gesehen. Man fährt mit dem Zug von Bern nach Zürich und sieht überall Gruppen abgestorbener Fichten, Buchen mit extrem schütterem Laub. Das erinnert mich stark an die Bilder, die wir in den Rocky Mountains vor zwanzig Jahren sahen.»
Im Westen der USA sind seit der Jahrtausendwende Millionen von Bäumen, vor allem Föhren und Fichten, an den Folgen von Dürren und Käferbefall eingegangen. 2014, als Bugmann das letzte Mal dort war, waren bereits grossflächig Wälder abgestorben. Zwar ist das Klima in den Rocky Mountains generell trockener als in der Schweiz, Phasen mit hoher Baummortalität kommen daher eher vor. Trotzdem beunruhigten ihn die Parallelen, sagt Bugmann. «Das räumliche Ausmass, das wir zurzeit erleben, ist beispiellos. Wenn sich aufeinanderfolgende extrem trockene Jahre häufen, kann es gut sein, dass in zwanzig Jahren im Mittelland keine Fichte mehr steht.» Ein so extremes Trockenheitsereignis wie in den letzten drei Jahren habe es in der Schweiz zuletzt in den vierziger Jahren gegeben. Auch damals starben grosse Fichtenbestände ab.
Ganze Wälder gefährdet das Baumsterben hierzulande zwar nicht. Monokulturen aus Fichten, wie sie in Tschechien oder Deutschland derzeit grossflächig zusammenbrechen, gibt es in der Schweiz zumindest im Mittelland kaum. Andere Bäume werden die Lücke schliessen. Und in höheren Lagen haben die Fichten weniger Mühe.
Die Probleme liegen anderswo: Mit dem vielen überschüssigen Holz kommt die durch den seit Jahren tiefen Holzpreis gebeutelte Forstwirtschaft weiter unter Druck. Borkenkäfer übertragen einen Pilz, der die äusseren Schichten der Baumstämme blau färbt. Als Baustoff für sichtbare Teile wie Fensterrahmen ist ihr Holz daher ungeeignet. Dazu kommt, dass viele grosse Abnehmer wie Sägereien in Italien im Zuge der Covid-19-Pandemie geschlossen wurden.
Fast ein Drittel der Stammholzmenge, die Sägereien in der Schweiz verarbeiten, wird exportiert, etwa nach Italien, Deutschland oder Österreich. Für Käferholz jedoch zahlen die Sägereien viel weniger, auch wenn das Kernholz des Stamms immer noch als Bauholz taugt. Nur dieses können sie dann zu normalen Preisen weiterverkaufen. Das Fichtensterben trifft also die Forstwirtschaft besonders hart. Doch um den Wald an das immer wärmere Klima anzupassen, sind funktionierende Forstbetriebe zentral.
Einen Kubikmeter Holz ernten ForstwartInnen in der Schweiz für fünfzig Franken, in der EU für dreissig und in der Ukraine für fünf Franken. Das Gefälle bei den Produktionskosten, der hohe Exportanteil und die im Vergleich zur EU tieferen Förderbeiträge führen dazu, dass in der Schweiz kaum kostendeckend Waldwirtschaft betrieben werden kann. In über der Hälfte der Kantone waren die Forstbetriebe im Jahr 2018 defizitär. Um sie profitabel zu machen, gäbe es theoretisch zwei Wege: Entweder die Forstwirtschaft wird stärker subventioniert oder das Holz zu höheren Preisen verstärkt im Binnenmarkt gehandelt. Beide Varianten beissen sich mit den Bestimmungen internationaler Freihandelsabkommen und den Normen der Welthandelsorganisation.
Wo man ihn lässt, wächst der Wald von sich aus nach. Auch Jurt und seine Forstwarte setzen, wo es geht, auf natürliche Verjüngung durch die umliegenden Baumarten: «Diese stehen schon seit Hunderten Jahren hier und haben die Genetik für den Standort.» Doch unsere Ansprüche an den Wald verlangen, dass es schneller geht: Dem Walensee entlang führen Zuggleise, Autobahn und Stromleitungen, die den Raum Zürich und die Zentralschweiz mit Graubünden verbinden. Thomas Jurt blickt talabwärts. Unten glitzert der See. «Der Wald hier schützt einen neuralgischen Punkt der Infrastruktur vor Lawinen und Murgängen.» Achtzig Prozent der Waldfläche in Jurts Revier sind Schutzwald. Auf gut 140 Millionen Franken beliefen sich die Bundesbeiträge an die Waldwirtschaft im Jahr 2018, rund die Hälfte davon wurde für den Schutzwald eingesetzt.
Ein schroffer Felsweg führt in die oberen Regionen des Murgtals, wo sich das Arvenreservat befindet. Ein Senn auf einem Quad nimmt uns das letzte Steilstück mit. Mit rundlichen Nadelbäumen besteckte Bergkuppen kommen in Sicht, ein Wasserfall verbindet den oberen mit dem unteren Murgsee – die beiden Seen schliessen das Tal spektakulär ab. Eine Wasseramsel spritzt aus dem Murgbach und verschwindet im Lawinenholz, das an dieser Stelle eine Uferseite bedeckt. Das Naturwaldreservat erstreckt sich über 1800 Hektaren, 460 davon sind Wald. Mit dem Ziel, die genetische Substanz der wildwüchsigen Arve zu schützen und ihre Verbreitung zu fördern, wird hier in den nächsten vierzig Jahren auf waldbauliche Eingriffe verzichtet.
Naturwaldreservate als ökologische Schaukästen
Bei einem Baum mit schlankem Stamm, dessen Alter er auf 200 Jahre schätzt, bleibt Jurt stehen. In der Krone hat sich ein braun gesprenkelter Vogel niedergelassen, ein Tannenhäher. Zu ihm unterhält die Arve eine symbiotische Beziehung: Der Vogel legt unterirdische Futterdepots aus Arvenzapfen an. Jeder Tannenhäher sammelt bis zu 100 000 Arvennüsse pro Jahr. Weil er rund einen Fünftel davon nicht mehr findet, sorgt er fast im Alleingang für die Verjüngung des Arvenbestands.
Waldreservate sind ökologische Schaukästen. «In Nutzwäldern werden die natürlichen Prozesse überdeckt. In Reservaten können wir die Auswirkungen des Klimawandels sehen, bevor sie im Wirtschaftswald zutage treten», sagt Waldökologe Bugmann. Er macht ein Beispiel: Während die Robinie in Schweizer Wirtschaftswäldern als invasiver Neophyt bekämpft wird, lässt man sie im Naturwaldreservat Pfynwald im Wallis seit dreissig Jahren gewähren. «So können wir sehen, ob sie überhandnimmt oder sich in die Waldgesellschaft einfügt.» Das ist auch waldbaulich interessant: Manchen ExpertInnen gilt die schnell wachsende Robinie mit ihrer hohen Holzproduktionsleistung auch als möglicher Wirtschaftbaum.
Grösser als zwischen der Idylle im Waldreservat Murgtal und dem havarierten Hardwald zwischen Basel und Pratteln könnte der Kontrast kaum sein. Im Sommer 2019 waren zwanzig Prozent der Bäume im Hardwald tot. Bis in den Coronafrühling hinein blieb der als Naherholungsgebiet beliebte Wald gesperrt, weil die Gefahr durch fallende Äste zu gross war.
Die Biologin Sabine Braun ist Mitgründerin des Instituts für Angewandte Pflanzenbiologie (IAP). Seit 1984 verfolgt das IAP die Entwicklung von Bäumen auf Beobachtungsflächen in der ganzen Schweiz. Seit Anfang September ist der Hardwald zwar wieder begehbar, doch den Bäumen geht es kaum besser. Kurz nach der Kantonsgrenze parkiert Braun ihren silbrigen Subaru. Auf der anderen Seite der Strasse klafft eine riesige Lichtung. «Vor einem Jahr war hier noch Vollwald», sagt Braun.
Nach wenigen Metern auf dem Waldweg sind die ersten Baumskelette sichtbar. In einer abgestorbenen Eiche hängen abgebrochene Äste aus der kahlen Krone. Die Buche daneben sieht nicht viel besser aus, ihre fast laublose Krone hängt voller Nüsse. Letzteres ist laut der Biologin typisch für einen warmen Juni im Vorjahr.
Dass die Fichte das veränderte Klima schlecht erträgt, ist nicht neu. Die grossen Bestände im Mittelland wurden vor allem zwischen 1880 und 1940 gepflanzt, als die Steinkohle als Energieträger zunehmend das Holz ersetzte und gerodete Flächen wieder aufgeforstet wurden. Da sie sich nach wie vor gut als Heiz- und Bauholz eignete, liess sich mit der Fichte profitabel wirtschaften. Doch damals war es in Städten wie Zürich und Basel im Schnitt ungefähr so warm wie heute auf 700 Metern über Meer.
Auch wenn ihr Anteil in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat, ist die Fichte auch im Mittelland immer noch die häufigste Baumart. «Schon vor vierzig Jahren gab es Leute, die prophezeiten, dass sie dort dereinst nicht mehr standortgerecht sein wird», sagt Bugmann. Lange seien diese Stimmen nicht ernst genommen worden. Heute lassen in niederen Lagen kaum noch WaldbesitzerInnen Fichten pflanzen.
Neu sind hingegen die flächendeckenden Schäden an Buchen, wie sie nun vor allem in der Nordwestschweiz auftreten, die zu den trockensten Gebieten der Schweiz gehört. Im Hardwald hat das Baumsterben auch geologische Gründe: Der durchlässige Boden besteht zu einem grossen Teil aus Rheinkies, das Wasser versickert hier schneller als anderswo. Noch schlimmer ist die Situation in der Ajoie im Kanton Jura, wo 2019 auf manchen Flächen achtzig Prozent der Buchen stark geschädigt waren.
Braun zieht eine Statistik aus der Tasche. Über achtzig Prozent der Buchen im Hardwald wiesen letzten Sommer eine Kronenverlichtung von über 25 Prozent auf. Diese «leicht geschädigten» Bäume können sich erholen. Bei mehr als jeder fünften Buche im Hardwald lag die Kronenverlichtung aber bei über 60 Prozent. Bei diesen Bäumen ist die Gefahr gross, dass sie in den nächsten Jahren absterben.
Der schnurgerade Waldweg verliert sich im sonnendurchfluteten Grün und Grau. «Letztes Jahr war deprimierend», sagt Braun. «Nach früheren extrem trockenen Sommern wie 2003 haben die Buchen, die früh das Laub abwarfen, im Frühling wieder ausgetrieben. Diesmal nicht.» Ein Extremjahr stecken die robusten Buchen eigentlich gut weg. Folgen mehrere aufeinander, steigt die Mortalität. Gemäss den aktuellen Szenarien des Nationalen Zentrums für Klimadienstleistungen ist es absehbar, dass trockene Sommer noch häufiger auftreten werden.
Eine Untersuchung des IAP zeigt, warum Buchen verdursten. Bei 145 Buchenzweigen färbten die ForscherInnen die aktiven Wasserleitgefässe mit dem Farbstoff Safranin rot ein. Der rot gefärbte Anteil im Querschnitt des Astes war im Folgejahr deutlich kleiner. Mit jedem Trockensommer, der auf den anderen folgt, reissen mehr Leitgefässe. Die Wasserleitfähigkeit im aktuellen Jahr hängt also davon ab, wie das Klima im Vorjahr war.
In einigen Baumkronen hängen farbige Plastikbänder als Markierungen für die Helikopter, aus denen Gipfeltriebe der Bäume für Untersuchungen geerntet werden. Alle vier Jahre führt das Institut an Ästen Nährstoffanalysen durch. Die letzten legen nahe, dass der Einfluss hoher Stickstoffeinträge die Effekte der Trockenheit noch verstärkt. «Zwei Drittel des über die Blätter aufgenommenen Stickstoffs sind auf Ammoniak zurückzuführen, das unter anderem bei der Gülledüngung verdunstet», sagt Braun. 2019 nahmen die Wälder in weiten Teilen des Mittellands allein über die Luft zwischen dreissig und fünfzig Kilogramm Stickstoff pro Hektare auf. Das ist einer der höchsten Werte weltweit und entspricht gemäss Braun ungefähr der Menge, die im 19. Jahrhundert bei Volldüngung auf einer Hektare Landwirtschaftsfläche ausgebracht wurde.
Dem IAP ging es um die Frage, wie die Menge des Stickstoffs mit dem Gehalt von Kalium und Phosphor im Laub zusammenhängt. Gemäss den Analysen nimmt der Gehalt beider Nährstoffe ab, je mehr Stickstoff ein Baum aufnimmt. Kaliummangel führt dazu, dass die Bäume über die Spaltöffnungen in den Blättern den Wasserhaushalt nicht mehr ausreichend regulieren können. Wurzelpilze helfen den Buchen, Phosphor aufzunehmen; ein hoher Stickstoffeintrag wirkt sich jedoch negativ auf diesen Prozess aus. Und Phosphormangel steigert die Buchenmortalität bei Trockenheit.
Der Wald der Zukunft
«Wald- und Landwirtschaftspolitik müssen unbedingt verknüpft werden», sagt Braun. Im Kanton Luzern etwa könnten die Ammoniakemissionen um elf Prozent reduziert werden, wenn offene Güllenlager abgedeckt würden. Seit einigen Jahren subventioniert der Bund zudem das Güllen per Schleppschlauch. Dabei läuft die Gülle durch kleine Schläuche direkt auf die Wiese, sodass kaum Ammoniak verdunstet. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Viehbestände kleiner werden müssen, wenn der Stickstoffeintrag vermindert werden soll.
Die Eiche, nach der Buche und der Esche der dritthäufigste Laubbaum in den Wäldern der Schweiz, gilt wegen ihrer Trockenheitstoleranz als besonders zukunftstauglich. Doch auch hier sind Fragen offen. Vierzig Prozent der jungen Eichen werden vom Wild verbissen, der mit Abstand höchste Wert aller Bäume. Zudem sei «das Tempo, mit dem über den weltweiten Verkehr Pathogene eingeschleppt werden, enorm», sagt Braun. «Was, wenn Bäume hier in ein paar Jahrzehnten von Phytophthora ramorum befallen werden?» In Kalifornien und Grossbritannien liess der Auslöser des «sudden oak death» (plötzlicher Eichentod), ein Pilz, in kurzer Zeit grosse Bestände von Eichen und Lärchen verschwinden. «Es braucht eine Vielzahl an Baumsorten», sagt Braun.
Bis September 2018 lief das Forschungsprogramm «Wald und Klimawandel» der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Als Resultat davon ist eine App entstanden, die FörsterInnen zukunftstaugliche Bäume vorschlägt, zugeschnitten auf den Standort. Ab diesem Herbst pflanzt die WSL zudem auf 57 Flächen landesweit mögliche Bäume der Zukunft. Insgesamt achtzehn Baumarten werden getestet, von heimisch bis exotisch, vom Bergahorn bis zur Atlaszeder.
Bäume sind gemacht, um alt zu werden. Bis die Bäume der Zukunft ihre stabilisierende Wirkung auf den Wald entfalten, dauert es Jahrzehnte. Die knifflige Frage, die sich den ForscherInnen stellt, lautet: Welche Bäume, die dem immer wärmeren Klima standhalten, wachsen heute schon gut?
Weltweit unter Druck
Trockenheit, zu viel Stickstoff, Stürme, Waldbrände: Gemäss Frank Hagedorn von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft ist das Ausmass der Schäden in ganz Europa noch nicht abschätzbar. Allein in Deutschland gingen seit 2018 bereits 285 000 Hektaren Wald verloren, mehr als die Fläche Luxemburgs. Länder mit grossen Monokulturen verlieren derzeit grosse Flächen Wald. Im Nordosten Deutschlands häufen sich die Waldbrände, in Schweden brannten 2018 Zehntausende Hektaren ab. In Tschechien, wo bislang die Hälfte aller Bäume Fichten sind, bringen Borkenkäfer riesige Waldflächen in Gefahr.
In Wechselwirkung mit der Klimaerwärmung stehen Rodungen für Plantagen, Viehzucht und Siedlungsraum im Globalen Süden. Auf Borneo, in Brasilien oder im Kongobecken dezimiert der Raubbau den Regenwald in atemberaubendem Tempo.