«Mank»: Fake News aus der Traumfabrik
Wer hat «Citizen Kane» geschrieben? Der neue Film von David Fincher wirft eine alte Streitfrage auf – erzählt dann aber zum Glück vor allem von politischem Opportunismus in Hollywood.
Wir wissen es, diese Wolkenkratzer sind nur Modelle. Der Affe im Film ist auch nicht wirklich so riesig, und vor allem ist er nicht echt. Und doch: Wenn es gut gemacht ist, suspendieren wir gerne unser besseres Wissen und ergeben uns der Angstlust, wenn der Riesenaffe in der Stadt sein Unwesen treibt.
Upton Sinclair ist nicht King Kong. Aber 1934, mitten in der Grossen Depression, wird der Journalist und Schriftsteller mit seinen Reformplänen zum Kampf gegen die Armut von Hollywood zur Schreckgestalt gemacht. Als Kandidat der Demokratischen Partei steigt der populäre Sozialist damals ins Rennen um den Gouverneursposten von Kalifornien, worauf die Studiobosse im Verbund mit dem Medienmagnaten William Randolph Hearst die geballte Macht ihrer Verführungskunst gegen ihn mobilisieren. Um Sinclair als Gouverneur zu verhindern, fabriziert die Illusionsmaschine das, was sie am besten kann: überzeugende Fiktionen. Von der Regie bis zum Schauspiel werden Fachkräfte aus allen Abteilungen aufgeboten, um mit propagandistischen Fakes die Wahl zu beeinflussen. In fingierten Newsreels und Radiofeatures malen vermeintlich einfache Leute den Sozialismus an die Wand.
Der Novize Welles
Auch daran erinnert jetzt «Mank», der neue Film von David Fincher, in dem die Kampagne gegen Sinclair eine zentrale Rolle spielt: Fake News sind nicht etwa eine Erfindung der Netzkultur – und Hollywood war nicht schon immer eine linksliberale Bastion. Als Sinclairs Niederlage besiegelt ist, klingt der Studioboss Louis B. Mayer im Film fast wie ein Prophet des Populismus, wenn er mit Freuden feststellt, dass die Propaganda offenbar verfing: «Wenn man nur auf die Emotionen der Leute zielt, machen sie schon das Richtige.»
Nun ist Fincher bislang nicht unbedingt damit aufgefallen, dass er als Regisseur ein besonderes Flair für explizit politische Geschichten hätte – einmal abgesehen von der konsumterroristischen Subkultur in «Fight Club». Vordergründig steht allerdings auch in «Mank» etwas anderes auf dem Spiel. Die Titelfigur, gespielt von Gary Oldman, das ist Herman J. Mankiewicz (1897–1953), scharfzüngiger Hollywood-Autor mit chronischem Alkoholproblem. Wobei man ihn zu Beginn gleich einmal trockenlegt: Das Bein nach einem Autounfall im Gips, wird er 1940 von seinem Auftraggeber in ein Landhaus am Rand der Wüste verfrachtet. Hier soll er, durch seine Verletzung ans Bett gefesselt, das Drehbuch für das Kinodebüt eines Radiomannes schreiben, der noch nie zuvor einen Film gedreht hat. Dieser Novize, zu der Zeit noch keine 25 Jahre alt, ist Orson Welles, der Film wird «Citizen Kane» heissen.
Die Frage nach der Autorschaft dieses Monuments der Filmgeschichte war seit jeher umstritten. Zum heiss diskutierten Politikum wurde sie spätestens mit der legendären Filmkritikerin Pauline Kael, die Mankiewicz in ihrem Essay «Raising Kane» (1971) zum wahren Urheber von «Citizen Kane» erklärte. Wer ist der Autor: der Regisseur oder der Mann, der das Drehbuch schrieb? Das sind filmhistorische Scharmützel, mit denen sich «Mank» gar nicht gross aufhält, obwohl die Konstellation zwischen Autor und Regisseur hier nochmals um eine zusätzliche Pointe erweitert wird: Denn Fincher hat das einzige Drehbuch seines Vaters verfilmt, des Journalisten Howard «Jack» Fincher (1930–2003).
Totaler Pastiche
Also eine postume Gefälligkeit für den Papa? Kein bisschen: «Mank» ist ein wahnsinnig kluges, ungemein dichtes Sittengemälde über die klassische Ära des Hollywood-Studiosystems, die Dialoge so horrend getaktet, dass man längst nicht immer alle Punchlines mitbekommt.
Für David Fincher dient die Vorlage seines Vaters zunächst einmal als Spielfeld für eine opulente Stilübung. «Mank» sieht nicht nur bis in die Lichtsetzung und einzelne Einstellungen so aus, als wäre der Film zu der Zeit gedreht worden, in der er spielt. Er tönt auch so: in dem hypernervös swingenden Jazz, der im Hintergrund oft mitläuft, vor allem aber im Klang der Stimmen, der dem metallisch schnarrenden Monosound des frühen Tonfilms nachempfunden ist. Logisch, dass Fincher sogar die typischen Überblendungszeichen einfügen liess – jene Markierungspunkte, die bei analoger Projektion jeweils vor dem Rollenwechsel rechts oben im Bild aufblinkten und denen er ja schon in «Fight Club» eine ironische kleine Hommage gewidmet hatte.
Ein totaler Pastiche also: Bis ins Detail imitiert Fincher die Stilmittel des Hollywood-Kinos jener Zeit, nur ohne jeden Staub oder Kratzer. Und doch hat das alles nichts Nostalgisches. «Mank» weckt keinerlei Sehnsucht nach dieser versunkenen Epoche des Kinos, dazu ist der Blick dieses Films politisch zu unbestechlich, in jeder Hinsicht. Etwa wenn wir die Drehbuchautoren in ihren Büros als lässigen Boys Club sehen und die einzige Frau im Raum eine Tippse ist, die barbusig in einer Ecke an der Schreibmaschine sitzt. Überhaupt die Frauenfiguren: Wenn sie nicht zufällig extrem reich sind, gibt es Frauen hier nur als Sekretärinnen oder Haushaltshilfen. Mankiewicz selber stehen gleich drei Assistentinnen zu Diensten, die sein Leben in Ordnung halten – eine von ihnen nennt er nur «arme Sara», mit ihr ist er verheiratet. Finchers Film führt den eklatanten Sexismus in diesem Milieu vor, nicht aber die Frauen selbst, von denen jede ihren eigenen Stolz behält.
Vor allem aber geht es in «Mank» gar nicht so sehr um das Verhältnis zwischen Mankiewicz und Orson Welles, also zwischen zwei künstlerischen Geistern. Viel entscheidender ist hier das Verhältnis zwischen Geld und Geist, namentlich Mankiewicz’ Beziehung zu dem Mann, der ihm unverkennbar als Folie für die Titelfigur in seinem Drehbuch zu «Citizen Kane» diente: dem schwerreichen Verleger William Randolph Hearst (1863–1951). Mit seinem schonungslosen Esprit war Mankiewicz eine Zeit lang gern gesehener Salongast auf dessen grotesk prunkvollem Anwesen in San Simeon gewesen (als «Hearst Castle» heute eine touristische Attraktion). Dann fiel er bei Hearst in Ungnade und wurde aus dem exklusiven Zirkel des Schlossherrn aussortiert.
Günstling des Tycoons
Seine kaum verschlüsselte Hearst-Demontage in «Citizen Kane» wurde dem Autor dann oft als persönliche Rache ausgelegt. Der Film der Finchers legt nun eine andere These nahe: Selbstekel. Es ist der Selbstekel des selbstgefälligen Zynikers, der lange nicht einsieht, dass er als Günstling des Tycoons auch nur die Rolle des Hofnarren der Macht gespielt hat. Auf Hearsts Empfängen ergreift Mankiewicz zwar so furchtlos wie geistreich Partei für den Sozialisten Sinclair, aber wo es um reale Arbeitskämpfe geht, hält er sich lieber heraus, wie auch sonst bei politischen Belangen – und redet sich mit Sprachwitz heraus, wenn etwa sein Bruder ihn für die neu gegründete Drehbuchgewerkschaft gewinnen will.
Politische Interessen waren in Hollywood ja nie sauber von kommerziellem Kalkül zu trennen. Das klingt in «Mank» an, wenn die Studiobosse Louis B. Mayer und Irving Thalberg rechtfertigen, dass sie nach 1933 weiter mit den Nazis geschäften: «Einem so grossen Markt wie Deutschland kann man nicht einfach den Rücken kehren.» Unerträglich für Mankiewicz. Der jüdische Lohnschreiber verachtet seine jüdischen Studiobosse für ihren politischen Opportunismus – bis er sich irgendwann eingestehen muss, dass er diesen Opportunismus längst selber verinnerlicht hat. Und als er sich schliesslich die Nennung als Autor von «Citizen Kane» erstreitet, obwohl er anfangs noch darauf verzichten wollte, entdeckt er etwas, was er sich in Hollywood längst abgewöhnt hatte: Berufsstolz.
Jetzt im Kino, ab 4. Dezember 2020 auf Netflix.
Mank. Regie: David Fincher. USA 2020