Agrarproteste in Indien: «Mit den Landwirten, gegen Repression!»
Seit es letzte Woche zu gewaltsamen Zusammenstössen in Delhi kam, scheint sich die öffentliche Wahrnehmung der protestierenden LandwirtInnen zu wandeln. Doch es gibt weiterhin viel Solidarität – und der Widerstand gegen die Agrarreform hält an.
An den Grenzen zwischen dem Stadtterritorium von Delhi und den anliegenden Bundesstaaten haben sich am Dienstag letzter Woche Sicherheitskräfte postiert und Barrikaden errichtet. Es war der 26. Januar, der Tag der Republik, und es zeichnete sich ab, dass es turbulent werden könnte. Zehntausende BäuerInnen, die seit zwei Monaten vor den Toren der indischen Metropole campieren, hatten angekündigt, an einer Parade in der Stadt teilzunehmen.
Der Marsch zum Nationalfeiertag mit Traktoren und Pferden sollte einmal mehr unterstreichen, dass die LandwirtInnen keine der drei geplanten Agrarreformen der nationalkonservativen und hindunationalistischen Regierung von Narendra Modi akzeptieren werden. Und nach vielen Wochen des friedlichen Protests kam es diesmal zur Konfrontation mit Polizei und Paramilitärs. Videos auf den sozialen Medien zeigen den Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas. Ein Demonstrant kam an diesem Tag zu Tode, es gab Dutzende verletzte Protestierende wie Polizisten, 200 Menschen wurden verhaftet.
Beim Roten Fort, einer berühmten Palastanlage aus dem 17. Jahrhundert mitten in der Stadt, entstanden Bilder, die das ganze Land bewegten. Auf einer der Palastkuppeln befestigte ein euphorisierter Demonstrant neben der indischen Flagge jene der religiösen Sikh-Minderheit, was KommentatorInnen später als Sturm auf das Rote Fort darstellten.
Ein Rückschlag
Überhaupt hat sich in Delhi die öffentliche Wahrnehmung der protestierenden BäuerInnen seither spürbar verändert. Symbolisch steht dafür eine behelfsmässige, mit Stacheldraht versehene Zementmauer, die mittlerweile zwischen der Stadtgrenze und den Camps der BäuerInnen errichtet wurde. Und vor allem herrscht auch medial ein neues Narrativ vor: Aus «unzufriedenen Bauern» sind jetzt «Randalierer» geworden. Derweil haben wichtige Köpfe der BäuerInnenbewegung die Gewalteskalation verurteilt, wie etwa Yogendra Yadav, der einräumte, dass sich manche beteiligte Organisationen und Einzelpersonen verwerflich verhalten hätten.
Die Behörden reagierten auf die Ereignisse vom 26. Januar, indem sie Strassen im Umland von Delhi blockierten und die Lebensmittel- und Wasserversorgung der Protestcamps unterbrachen. Im angrenzenden Bundesstaat Haryana wurde die Internetverbindung gekappt. AktivistInnen vermuten, dass damit gezielt versucht wurde, die Kommunikation der Demonstrierenden via Social Media mit der Aussenwelt zu unterbinden. Manche wechselten deshalb zum Offlinedienst Bridgefy, andere pendeln zwischen den Camps, um zu berichten, was wo passiert.
Zu diesen gehört die 32-jährige Jassi Sangha aus dem Punjab, die sich mit Vater, Bruder und Ehemann an den Protesten beteiligt. Sie hat sich schon im Dezember darauf eingestellt, dass sich die Proteste lange hinziehen würden – und deshalb die Campzeitung «Trolley Times» mitbegründet. Damit will sie gezielter Desinformation durch die Regierung begegnen sowie jene BäuerInnen, die an drei Strassenübergängen vor Delhi ausharren, mit den wichtigsten Informationen aus den Camps versorgen. Sangha ist betrübt. Sie vermutet, dass die Gewalt letzte Woche gezielt inszeniert wurde, um die Bewegung zu verunglimpfen. «Was am 26. Januar geschah, war ein grosser Rückschlag für uns», sagt Sangha, «doch das machte den Landwirten klar, wie die Regierung einen behandelt, wenn man nach seinen Rechten fragt.» Das werde die Bewegung nur entschlossener machen.
Angst um die Mindestpreise
Zahlreiche Gesprächsrunden zwischen den BäuerInnen und der Regierung sind bereits gescheitert. Zwar stoppte das Oberste Gericht die von der Regierung beschlossenen Agrarreformen Mitte Januar vorerst, und es berief eine Kommission ein, um den Konflikt zu klären. Viele BäuerInnen zweifeln aber an der Neutralität der Kommissionsmitglieder, weil sie sich schon zuvor positiv zu den umstrittenen Gesetzen geäussert hatten. Die Regierung bot auch an, die Reformen um anderthalb Jahre zu verschieben.
Premierminister Modi hatte zuvor erklärt, man könne das neue Jahrhundert nicht mit Gesetzen aus dem vergangenen gestalten. Auch Landwirtschaftsminister Narendra Singh Tomar verteidigt die Reform als «Game Changer». Doch genau davor haben die BäuerInnen Angst: dass Grosskonzerne künftig die Spielregeln diktieren und Preise drücken könnten, weil sie direkt mit ihren AbnehmerInnen verhandeln sollen, während staatliche Grossmärkte mit ihren Preisgarantien als Zwischenhändler wegfallen.
Bislang gibt es in Indien einen garantierten Mindestpreis für Reis und Weizen. Gerade in Regionen wie dem Punjab im Norden, der zu den «Brotkörben Indiens» gehört, sind viele auf den Mindestpreis angewiesen. Dort hat sich der Widerstand denn auch zuerst formiert. «Die neuen Agrargesetze werden unsere Familienbetriebe zerstören», sagt Jungbauer Sandeep Singh. Er ist Mitglied in der überparteilichen Bauernvertretung Bhartiya Kisan Union und ebenfalls aus dem Punjab angereist.
Repression und Durchhaltewille
Zuerst habe die Regierung die Einheit der LandwirtInnen spalten wollen, indem sie versuchte, unterschiedliche Regionen und Religionen gegeneinander auszuspielen, sagt Singh. Manche Medien würden dabei helfen, Stimmung gegen die BäuerInnen zu machen. Dennoch habe er bislang grosse Unterstützung aus dem ganzen Land gespürt, sagt Singh. «Ich werde deshalb nicht aufgeben, auch wenn die Regierung nun mit Härte gegen die Protestierenden vorgeht.» Die staatliche Central Reserve Police Force (CRPF) und Spezialeinheiten wie die Schnelle Eingreiftruppe (RAF) sind in den Strassen Delhis präsent. Acht JournalistInnen, die über die Proteste und die Gewalt in Delhi von vergangener Woche berichteten, wurden danach angezeigt.
Die BäuerInnen scheinen sich jedoch kaum einschüchtern zu lassen. Sie wehren sich gegen die lauter werdenden Vorwürfe, «TerroristInnen» zu sein oder separatistische VerfechterInnen eines Sikh-Staates. Unterstützung bekommen sie mittlerweile auch von der Gemeinschaft der Jat, die in Nordindien als sehr einflussreich gilt, sowie von Studierendenverbindungen, die zur Solidarität aufriefen. «Mit den Landwirten, gegen Repression!», lautet eine ihrer Forderungen.
Viele BäuerInnen wollen denn auch weitermachen – trotz der Winterkälte und akuter Luftverschmutzung. In den Camps soll es bereits zu über hundert Todesfällen gekommen sein: aufgrund von Unterkühlungen, Herzinfarkten und Suiziden. Solange sie ihre Lebensgrundlage weiter durch die neuen Agrargesetze bedroht sehen, wollen sich die Protestierenden aber weigern abzuziehen.