Sexualstrafrecht: Ein Hohn für die Betroffenen
Das Schweizer Sexualstrafrecht ist veraltet und frauenverachtend: Voraussetzung für eine Vergewaltigung oder eine sexuelle Nötigung (der Unterschied liegt in der vaginalen Penetration) ist ein «Nötigungselement». Der Täter oder die Täterin muss das Opfer also «bedrohen», «Gewalt anwenden», «es unter psychischen Druck setzen» oder «zum Widerstand unfähig machen».
Die Definition widerspricht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen: Denn ein grosser Teil der meist weiblichen Opfer ist nicht in der Lage, sich körperlich zu wehren. In der Situation der Vergewaltigung verfallen viele Opfer in eine Schockstarre, fühlen sich wie gelähmt. Das sogenannte Freezing ist eine instinktive Reaktion auf die körperliche Unterlegenheit. Entgegen alten Mythen passieren also viele Vergewaltigungen, ohne dass die Täter drohen, würgen oder schlagen. Sie übergehen schlicht das Nein der Opfer.
Zwölf europäische Länder anerkennen mittlerweile jede Form von nicht einvernehmlichem Sex als Vergewaltigung an – wobei Schweden und Dänemark am weitesten gehen und ein sogenanntes Zustimmungsgesetz eingeführt haben, auch bekannt als «Ja heisst Ja»-Lösung.
Auch die Schweizer Politik arbeitet seit einiger Zeit an einer Revision des Sexualstrafrechts. Am Montag hat die zuständige Ständeratskommission einen Entwurf der Bundesverwaltung in die Vernehmlassung gegeben. Dieser ist, gelinde gesagt, enttäuschend: Er sieht nämlich für Vergewaltigungen oder andere schwere Übergriffe ohne «Nötigungselement» die Schaffung eines eigenen Straftatbestands vor. Der «sexuelle Übergriff» soll mit maximal drei Jahren (statt zehn bei Vergewaltigung mit Nötigung) bestraft werden.
Das brächte die Schweiz keinen Schritt weiter in Richtung Anerkennung der sexuellen Selbstbestimmung. Es zementierte vielmehr frauenverachtende Vergewaltigungsmythen und wäre ein Hohn für Betroffene. Noch bleibt Zeit, die Vorlage zu korrigieren. Am besten nach dem Vorbild der progressiven skandinavischen Modelle.