Lithium: Das weisse Gold

Nr. 9 –

Im Südwesten Spaniens soll künftig mitten in einem Naturpark Lithium abgebaut werden. Aber die AnwohnerInnen Santiago Márquez und Montaña Chaves leisten Widerstand gegen die Bauriesen und deren Minenprojekt.

Jede Menge Lithium: Mehr als ein Viertel der bekannten weltweiten Reserven befinden sich in der Salar de Atacama im Norden Chiles. Foto: Alamy

Unheimlich wirkt der langsam über der Sierra de la Mosca kreisende Schwarzgeierschwarm. Das Herz von NaturfreundInnen allerdings lässt er höherschlagen, denn er ist ein Hinweis auf eine stetig wachsende Population der bedrohten Vogelart. Ende Januar übergab die Zoologische Gesellschaft Extremaduras der Regionalregierung ihren Bericht über die jüngste Vogelbeobachtung. Neben den Schwarzgeiern haben in der Grünoase vor der Stadt Cáceres im Südwesten Spaniens ausserdem Uhus, Schwarzstörche und Kaiseradler ihr Zuhause gefunden. Für ZoologInnen ausreichend Gründe, die kleine Hügelkette zum Schutzgebiet zu erklären.

Doch anstatt dass dieses erhalten wird, könnte dort schon bald ein riesiger Krater aufklaffen. Denn im Herzen des Naturparks soll sich unter der Erde Europas zweitgrösstes Lithiumvorkommen befinden. Nun will ein Joint Venture namens Tecnología Extremeña del Litio das begehrte Metall im Tagbau fördern und vor Ort zu batterietauglichem Lithiumhydroxid verarbeiten. Hinter dem sperrigen Namen stehen die australische Firma Infinity Lithium und der spanische Baukonzern Sacyr, der über seine Bergbautochter Valoriza Minería am Projekt beteiligt ist.

Keinen Kilometer von der geplanten Abbaustelle entfernt befinden sich bereits die ersten Wohnhäuser. Der Wallfahrtsort der Schutzpatronin von Cáceres, La Virgen de la Montaña, liegt nur 500 Meter weit weg. Und bis zur Altstadt, die als Unesco-Weltkulturerbe gelistet ist, sind es weniger als drei Kilometer.

«Mir ist weltweit keine Mine bekannt, die so nah an einer Stadt mit 100 000 Einwohnern liegt», sagt der Lehrer Santiago Márquez. Zusammen mit Montaña Chaves engagiert sich der 57-Jährige in der BürgerInnenplattform Salvemos la Montaña (Retten wir den Berg), die etwa achtzig aktive Mitglieder und rund 9000 UnterstützerInnen hat. Die beiden gehören zu den treibenden Kräften hinter der Initiative, die seit der Gründung im Sommer 2017 Informationsveranstaltungen und Kundgebungen organisiert.

«Was passiert nach 25 Jahren, wenn alles ausgebeutet und das Land nicht mehr nutzbar sein wird?», fragt Márquez. «Wer garantiert uns, dass der Betrieb wirklich mindestens 25 Jahre dauert und nicht etwa wegen eines Preisverfalls schliesst, so wie es in Aguablanca mit der Nickelmine passiert ist?» 2016 stellte Rio Narcea Recursos, ebenfalls eine Tochtergesellschaft des Bauriesen Sacyr, den Betrieb einer 200 Kilometer südlich von Cáceres gelegenen Nickelmine vorzeitig ein. Die Leitung begründete die Schliessung mit den gefallenen Nickelpreisen und hinterliess ein 300 Meter tiefes Loch in der Landschaft, einen See mit Giftschlamm, eine Abraumhalde und 300 Arbeitslose.

Über 9000 Tonnen Dynamit

Der Blick vom felsigen Bergrücken bei Cáceres reicht weit in alle vier Himmelsrichtungen hinaus. Márquez geht in die Knie, um ein paar Steinbrocken in die Hand zu nehmen. Es ist Quarzit, ein sehr hartes, widerstandsfähiges Gestein. «Während der gesamten Laufzeit sollen 9300 Tonnen Dynamit verwendet werden.» Márquez zitiert aus einer Umweltverträglichkeitsstudie, erstellt von Tecnología Extremeña del Litio, die er mit seinen MitstreiterInnen genau studiert hat. Die Auswirkungen des Bergbauprojekts auf die Fauna sind gemäss der Studie: zerstörter Lebensraum, eine verschlechterte Luftqualität, Lärm und überfahrene Tiere.

Die Stadtverwaltung von Cáceres hatte die Umweltverträglichkeitsstudie 2018 auf ihrer Website veröffentlicht. Doch dies war den Minenbetreibern ein Dorn im Auge; sie verlangten von der damals amtierenden Bürgermeisterin Elena Nevado, die Unterlagen zu entfernen. Nevado aber gab nicht nach – und dem Geschäftsführer von Valoriza Minería, Marco Antonio Sosa, gelang es nicht, die damalige Bürgermeisterin vom Lithiumabbau zu überzeugen. «Es gab keine klaren Antworten auf die Fragen, wie viele Jobs geschaffen werden, ob sich weitere Industrien in der Stadt ansiedeln und wie die Landschaft nach 25 Jahren Abbau restauriert werden soll», sagt Nevado.

Glaubt man den Worten von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dann hat die Bevölkerung von Cáceres in Sachen Naturschutz und Biodiversität eine mächtige Verbündete in Brüssel. «Nur eine gesunde Natur kann dem Klimawandel und Epidemien trotzen», sagte von der Leyen anlässlich der Präsentation der EU-Biodiversitätsstrategie 2030 vergangenes Jahr. Der weltweite Bestand an Wildtieren ist in den letzten vierzig Jahren um sechzig Prozent zurückgegangen. Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Schuld daran sei menschengemachte Zerstörung, heisst es im Text zur Biodiversitätsstrategie, die Teil des europäischen Green Deal ist.

Aktivistin Chaves von der Gruppe Salvemos la Montaña setzt grosse Hoffnungen in die EU. Um so überraschter war die 52-Jährige, als sie erfuhr, dass die EU das Projekt angeblich unterstütze. Im März 2020 veröffentlichte der australische Konzern eine Mitteilung für die Börse in Sydney: «Infinity sichert sich erste europäische Gelder für Lithiumprojekt». Demnach beteilige sich EIT Innoenergy, ein privat und öffentlich finanziertes Unternehmen, mit 800 000 Euro am San-José-Lithium-Projekt in Cáceres. Als der Deal im Juni 2020 abgeschlossen wurde, legte die Aktie von Infinity Lithium um fast 100 Prozent zu.

Tatsächlich wird das Lithiumprojekt jedoch nicht direkt von der EU unterstützt, sondern indirekt mitfinanziert: Denn das Europäische Innovations- und Technologieinstitut EIT, eine EU-Agentur, steuert 25 Prozent des Gesamtbudgets von EIT Innoenergy bei. Bei EIT Innoenergy handelt es sich aber nicht – wie der Name fälschlicherweise vermuten lässt – um eine EU-Institution, sondern um eine Aktiengesellschaft.

Die BürgerInnenplattform wandte sich daraufhin an das Europäische Parlament. Der EU-Petitionsausschuss hörte Aktivistin Chaves am 3. September 2020 an. Eine ihrer Forderungen war, die missbräuchliche Verwendung europäischer Institutionen durch Privatunternehmen zu unterbinden. Der Ausschuss leitete die Angelegenheit an das Büro des Kommissionsvizepräsidenten Maros Sefcovic weiter. Eine Antwort bleibt nach über fünf Monaten immer noch aus. Verzögert wegen der Pandemie, wie es heisst.

Vom Rohstoff bis zum fertigen Akku

Den AktivistInnen wird bald klar, dass die EU-Kommission trotz ihres Bekenntnisses zu Naturschutz und Biodiversität keine Verbündete ist. Am selben Tag, als Chaves dem EU-Parlament erklärte, warum der Lithiumabbau in Cáceres «absolut nicht gangbar ist», hat auch Sefcovic einen wichtigen Auftritt. Er wendet sich an die Öffentlichkeit, um «harte Wahrheiten» auszusprechen. «Europa ist bei Rohstoffen sehr abhängig von einigen wenigen Ländern ausserhalb der EU», warnt Sefcovic, der auch EU-Kommissar für interinstitutionelle Beziehungen und Vorausschau ist. Um die Versorgung Europas mit strategischen Rohstoffen zu sichern, müssten die Rohstoffe auch in Europa abgebaut werden, so der slowakische Politiker, «unter Anwendung höchster Umwelt- und Sozialstandards», betont er (vgl. «Auch in Europa ist die Schatzsuche interessant geworden» ). Vier Schlüsselprojekte in «nachhaltigem Bergbau» sollen bis 2025 achtzig Prozent des Lithiumbedarfs in Europa abdecken. Eines dieser Projekte ist das Lithiumprojekt «San José Valdeflórez» in Cáceres, wie es aus Kommissionskreisen heisst.

Weil der Tagbau ganze Landschaften zerstört, die Luft verschmutzt und eine hohe Menge an Abraum verursacht, ist er sehr umstritten und ruft oft soziale Proteste hervor. Ein ausdrückliches Vetorecht für lokale Gemeinden, wie es NGOs und WissenschaftlerInnen fordern, unterstützt die EU-Kommission nicht. «Sie müssen uns für ganz schön dämlich halten, dass sie uns das als ‹nachhaltigen Bergbau› verkaufen wollen», kommentiert die Mathematikprofessorin Inma T. Castro aus Cáceres, die die Bürgerplattform unterstützt, auf Twitter.

Infinity Lithium verspricht Jobs und die ersehnte industrielle Entwicklung in einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen Spaniens. «Mit dem Lithiumabbau und der Verarbeitungsanlage werden über tausend direkte und indirekte Arbeitsplätze während der dreissigjährigen Laufzeit geschaffen und 280 Millionen Euro Investitionen getätigt», heisst es in einer Werbebroschüre des Konzerns. Er wirbt damit, eine regionale Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis zum fertigen Akku zu schaffen. Konkrete Pläne für den Bau von Batteriefabriken gibt es im Baskenland und in Valencia. In Cáceres ist nichts dergleichen bekannt. «Wir liefern wieder einmal billig den Rohstoff, aber das Geld wird woanders gemacht», lautet daher der Tenor der KritikerInnen.

Justiz versus Baukonzern

Mit 33 Jahren ist Luis Salaya einer der jüngsten BürgermeisterInnen Spaniens. Zur Arbeit ins Rathaus von Cáceres fährt der Sozialist mit dem Velo. Er löste im Mai 2019 seine konservative Vorgängerin Elena Nevado ab, die noch 2018 die Umweltverträglichkeitsstudie auf der Website der Stadtverwaltung publik gemacht hatte. Und er teilt ihre Haltung zur Lithiummine: «Das ist ein schädliches Projekt für die Stadt.» Der Tourismus ist wegen des historischen Stadtkerns bedeutend für die lokale Wirtschaft. «Lithiumförderung in dieser Dimension würde mehr Jobs gefährden als neue schaffen und zudem der Umwelt schaden», sagt Salaya. Doch ist die Arbeitslosigkeit in der Stadt mit zwanzig Prozent vergleichsweise hoch – wie die gesamte Region leidet Cáceres an der Abwanderung junger Menschen, die ihr Glück in Madrid oder anderswo suchen.

Die ablehnende Haltung der Stadtbevölkerung hat noch einen weiteren Grund: Im Sommer 2017 entdeckte Pedro, der anonym bleiben möchte, durch Zufall Arbeiter auf seinem Grundstück, die im Auftrag der Firma Valoriza Minería Probebohrungen vorbereiteten. Niemand habe ihm Bescheid gegeben, sagt er gegenüber dem Onlinemedium «El Salto». Und Bürgermeister Salaya erzählt: «2018 haben wir gegen die Firma Bussgelder verhängt, weil sie die Genehmigung für Probebohrungen missbräuchlich ausgeweitet hat.» Es seien unerlaubt Bäume gefällt und grosse Schneisen in die Naturlandschaft geschlagen worden. Die Firma weigert sich jedoch, die Strafe zu bezahlen – nach Ansicht von Infinity-Lithium-Geschäftsführer David Valls wurde alles richtig gemacht. Der Fall liegt nun beim Verwaltungsgericht. «Das Vorgehen des Unternehmens hat unter den Anwohnern und bei den lokalen Behörden grosses Misstrauen hervorgerufen», resümiert indes Luis Salaya.

Auch die Unesco hat vom Vorhaben Wind bekommen und forderte im spanischen Kulturministerium Informationen an. Für die Unesco sind Bergbau und Ölförderung mit dem Welterbestatus nicht vereinbar. Deshalb beobachte man die Angelegenheit.

Noch fehlt dem Lithiumprojekt bei Cáceres eine Abbaugenehmigung, die von der regionalen Bergbaubehörde ausgestellt wird. Das betroffene Gelände darf laut aktueller Raumplanung nicht industriell genutzt werden. Die Bergbaufirma strengte deshalb bereits 2018 ein Umwidmungsverfahren an – ohne Erfolg. Geschäftsführer Valls ist dennoch zuversichtlich: «Wenn die Umweltprüfung positiv ausfällt, ist die Stadt unter Zugzwang», sagt er gegenüber der WOZ. Und er redet den Widerstand in der Bevölkerung klein. «Es gibt eine kleine Gruppe von betroffenen Anrainern, die viel Lärm machen», so der Geologe. «Aber das bedeutet nicht, dass die Mehrheit der Bürger dagegen ist.» An Zahlen festmachen kann er diese Behauptung jedoch nicht.

Die BürgerInnenplattform hat derweil 35 000 Unterschriften gegen das Tagbauprojekt gesammelt und erst vergangenes Wochenende 2800 Personen für eine Menschenkettenaktion mobilisiert. In der Stadtregierung sitzen 25 StadträtInnen, von denen aktuell 23 gegen die Lithiummine sind. Bürgermeister Salaya kann sich zudem nicht vorstellen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung positiv ausfällt – viel zu nah liegt die geplante Mine an der Stadt.

Auch andernorts gibts Widerstand

Auffällig ist jedoch: In der Region – und darüber hinaus – wurden in den vergangenen Jahren deutlich mehr Aufsuchungslizenzen vergeben. Rund 230 sind allein bei der Bergbaubehörde in Extremadura verzeichnet. Immer mehr Konzerne suchen nach seltenen Erden, Vanadium, Uran, Kupfer und Gold.

In der Provinz Badajoz etwa treibt Valoriza Minería gemeinsam mit dem kanadischen Unternehmen Lundin Mining ein Kupfer-Gold-Projekt voran. Und auch hier regt sich Widerstand gegen das Tagbauvorhaben: Die BürgerInnenvereinigung Alconchel sin Mina dokumentiert Unregelmässigkeiten und Behördenschlampereien. «Bei der Erteilung einer Genehmigung hat die Behörde ein Naturschutzgebiet einfach ignoriert», berichtet Ángel Vicente, Sprecher von Alconchel sin Mina. Auch LokalpolitikerInnen kritisieren das intransparente Agieren. «Die Aufsuchung der Vorkommen hat bereits 2002 begonnen», sagt David Fernández, Bürgermeister des kleinen Orts Táliga. «Bis heute habe ich keine Unterlagen über das Projekt bekommen, obwohl der Geologe von Valoriza Minería mir dies vor einem Jahr zugesichert hat.»

Das Loch und die Stadt: Visualisierung der geplanten Lithiummine unmittelbar neben Cáceres, erstellt durch die BürgerInnenplattform Salvemos la Montaña auf Grundlage von Plänen der Firma Infinity Lithium.

Auch die AktivistInnen von Salvemos la Montaña bei Cáceres wollen nicht lockerlassen – und geben sich weiterhin widerständig. Oder wie Montaña Chaves sagt: «Solange nicht alle Verfahren ad acta gelegt sind, werden wir keinen ruhigen Schlaf finden.»