Die Google-Gewerkschaft: Nach dem Bällebad in den Arbeitskampf

Nr. 14 –

Die Techfirmen traten an, eine bessere Welt zu erschaffen. In ihrem Hightech-Liberalismus brauchte es keine Gewerkschaften. Doch langsam, aber stetig organisieren sich die ArbeiterInnen bei Google – auch in Zürich.

Am ersten Arbeitstag des neuen Jahres 2021 ging eine Nachricht aus den Vereinigten Staaten um die Welt. So meldete die «New York Times» am 4. Januar: «Hunderte Google-Angestellte gründen eine Gewerkschaft.» Das mag manche überrascht haben, vorausgegangen war der Gewerkschaftsgründung aber ein facettenreicher, langer Kampf, nicht nur in den USA.

Lange Zeit hatte wenig am Image von Google gekratzt: Das 1998 gegründete Silicon-Valley-Unternehmen, das vor allem für die Suchmaschine bekannt ist, sich mittlerweile aber auch mit künstlicher Intelligenz (KI), Biotechnologie oder Stadtplanung beschäftigt, stand viele Jahre für eine offene, gute Arbeitskultur im Silicon Valley, fürs Arbeiten im Bällebad und das bis 2015 gültige Firmenmotto «Don’t be evil». In Rankings belegte Google viele Jahre hintereinander den ersten Platz als bester Arbeitgeber in den USA – und auch in Zürich. Mächtig ist das Unternehmen ausserdem: Die Marke gehört seit Jahren zu den wertvollsten der Welt.

Der Protest nimmt Fahrt auf

2013 gab es erste öffentliche Kritik an Google, damals kam der Aktivismus allerdings noch von ausserhalb. Die EinwohnerInnen von San Francisco und der umliegenden Bay Area sahen sich durch den Zuzug gut verdienender TecharbeiterInnen im Silicon Valley mit steigenden Mieten und zunehmender Obdachlosigkeit konfrontiert. Symbol für diesen Prozess wurden die Google-Busse: Shuttle-Busse, die die ProgrammiererInnen von ihren Wohnungen in der Innenstadt in die Google-Zentrale im Silicon Valley brachten. Gegen diese Busse gab es immer wieder öffentlichkeitswirksame Blockaden. Kritisiert wurde dabei nicht nur die Gentrifizierung, sondern die generelle Ungleichheit: Die gleichen Strecken mussten auch die schlechter bezahlten und gestellten ServicearbeiterInnen nehmen, allerdings im unterfinanzierten öffentlichen Nahverkehr.

2015 gab es den ersten nennenswerten Protest von Google-ArbeiterInnen: Erica Baker erstellte eine Tabelle, in der sie ihr Gehalt offenlegte, und schickte diese an KollegInnen, von denen viele sie ebenfalls ausfüllten. Durch die Aktion «Share My Salary» wurde die ungleiche Bezahlung von weiblichen und männlichen TecharbeiterInnen sichtbar gemacht. Baker verliess das Unternehmen kurze Zeit später.

Drei Jahre darauf folgte der nächste Protest: Mehr als 3000 GooglerInnen, darunter viele leitende ProgrammiererInnen, hatten einen Brief unterschrieben, in dem sie gegen die Beteiligung des Unternehmens an einem Pentagon-Programm protestierten, das künstliche Intelligenz zur Interpretation von Videobildern und zur Verbesserung der Ausrichtung von Drohnenangriffen verwendet hätte. Der Protest war erfolgreich: Google verlängerte sein «Project Maven» mit dem Pentagon nicht.

Als Folge der Hashtag-Kampagne #MeToo fand 2018 weltweit der «Google Walkout» statt. 20 000 Google-ArbeiterInnen legten am 1. November ihre Arbeit nieder und demonstrierten gegen sexuelle Belästigung an ihren Arbeitsplätzen. Sie kritisierten auch, dass Andy Rubin, der Erfinder des Google-Betriebssystems Android, eine Abfindung von neunzig Millionen Dollar bekommen haben soll. Ihm war vorgeworfen worden, eine Kollegin zum Oralsex gezwungen zu haben.

Die 34 ZeitarbeiterInnen, denen Google im März 2019 eine fristlose Kündigung schickte, bekamen im Gegensatz zu Rubin wahrscheinlich keine Abfindung. Sie waren damit betraut, den digitalen Sprachassistenten von Google zu füttern, damit dieser den NutzerInnen die Wetterprognosen mitteilen, Essen bestellen oder ein E-Mail vorlesen kann.* Die Kündigung zeigte, dass Google eben nicht nur Programmiererinnen und Manager beschäftigt, sondern auch Zeit- und LeiharbeiterInnen. Mit 56 Prozent der bei Google arbeitenden Menschen machen sie sogar die Mehrheit aus.

Die Google-ArbeiterInnen waren bereits so gut organisiert, dass sie schnell einen offenen Brief von tausend KollegInnen veröffentlichen konnten, in dem sie nicht nur die Wiedereinstellung der Gekündigten forderten, sondern auch die Unternehmenspolitik kritisierten: «Seit Jahren rühmt sich Google damit, sich sehr schnell den Marktanforderungen anpassen zu können und auch bei den Arbeitern schnell und flexibel runter- und hochskalieren zu können. Für die Arbeiter bedeutet diese Art der Skalierung komplette finanzielle Unsicherheit. Das ist der menschliche Preis für Agilität!»

Die Google-Assistant-ArbeiterInnen* waren aber nicht die Einzigen, denen gekündigt wurde. Timnit Gebru, Koleiterin von Googles «Ethical A. I. Team», wurde Ende 2020 entlassen, nachdem sie auf mögliche Probleme mit Diskriminierung in KI-Systemen hingewiesen hatte.

Von Köchen bis zu Testfahrerinnen

«Die Kündigungen haben gezeigt, dass wir uns besser organisieren müssen», erzählt Christopher Schmidt, der als Senior Software Engineer bei Google in Boston arbeitet. Er gehörte zu den Ersten, die innerhalb des Silicon-Valley-Unternehmens seine KollegInnen gewerkschaftlich organisierten. «Zuerst fingen einige von uns an, sich mit Organizern von traditionellen Gewerkschaften zu treffen. Im Jahr 2020 bauten wir nach und nach unsere Gewerkschaft auf. Wir führten Hunderte Gespräche unter vier Augen mit unseren Kollegen, bis wir Anfang dieses Jahres bereit waren, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.»

Schätzungen zufolge hat die Holdinggesellschaft Alphabet, zu der Google gehört, in den USA etwa 135 000 Festangestellte. Im März zählte die Alphabet Workers Union (AWU) 800 Mitglieder, darunter auch solche ohne feste Verträge. Das sind im Verhältnis nicht besonders viele. Schmidt ist dennoch zufrieden, gehört doch die gewerkschaftliche Basisorganisation zum Plan. «Wir sind in den letzten Monaten massiv gewachsen, es gibt jetzt Hunderte Mitglieder, mit denen ich noch nie gesprochen habe. Wir lernen uns erst kennen und finden heraus, welche Themen für wen wichtig sind – damit wir dann gemeinsam kämpfen können.»

Die Mitglieder der AWU sind TecharbeiterInnen im weitesten Sinne: «Es gibt Köchinnen, Kindergärtner, Testfahrerinnen für selbstfahrende Autos, Arbeiter in Datenzentren und Programmierer wie mich.» Schmidt sieht seine Aufgabe auch darin, solidarisch mit jenen zu sein, die nicht so gut gestellt sind wie er. Bezüglich konkreter Verbesserungen bleibt er noch vage. «Im weitesten Sinn geht es um Sicherheit am Arbeitsplatz», sagt er. «Dazu gehört für die einen, keine Angst vor Covid zu haben; andere möchten vor Unfällen in Datencentern oder vor Belästigungen und Diskriminierungen geschützt werden.»

Die Techbranche ist nicht nur eine der mächtigsten Branchen weltweit, es gibt auch kaum eine Branche, die so wenig reguliert ist und in denen Gewerkschaften so wenig vertreten sind. Das hat auch mit der Geschichte dieser Unternehmen zu tun. Viele sind im Silicon Valley gegründet worden – oder zumindest in dessen Geist. Hier wurden ab den 1980er Jahren nicht nur Unternehmen gegründet, die neuartige Techprodukte herstellten; mit Google, Apple, Facebook sollte auch eine bessere Welt durch Technik erschaffen werden. Kern dieser Idee ist eine Art Hightech-Liberalismus. Wofür bräuchte es da Gewerkschaften?

Seit einer Weile häufen sich aber die Arbeitskämpfe im Techsektor. Die Themen sind dabei vielfältig wie bei Google. Uber-FahrerInnen kämpfen darum, nicht bloss als FreiberuflerInnen das Risiko zu tragen, sondern Angestelltenstatus zu bekommen. In Deutschland kommt es immer häufiger zu Betriebsratsgründungen, zum Beispiel bei der Onlinebank N26. Auch das Amazon-Lager in Bad Hersfeld wird immer wieder bestreikt.

«Zoogler» als Vorbild

In Zürich beschäftigt Google rund 5000 Personen, der Standort ist einer der wichtigsten des IT-Unternehmens. Auch bei den ZooglerInnen, wie die Beschäftigten genannt werden, sind die Proteste angekommen, erzählt Christine Muhr. Die Gewerkschafterin der deutschen Verdi ist in der Gewerkschaftsföderation Uni Global Union für die internationale Koordination der Google-GewerkschafterInnen zuständig. «Die Googler in Zürich hatten ähnlich gelagerte Probleme wie ihre US-Kollegen. Sie wollten ebenfalls mehr Mitsprache und transparente Entscheidungsprozesse. Deswegen haben sich die Zoogler schnell der US-Bewegung angeschlossen, was nicht schwer war, weil die Google-Mitarbeiter untereinander weltweit gut vernetzt sind.»

Zwar versuchte Google, ein erstes Treffen mit der Gewerkschaft zu verhindern. Letztes Jahr konnte Syndicom, die Gewerkschaft für Medien und Kommunikation, aber einen Erfolg vermelden: Bei Google Zürich wurde eine gewählte Personalvertretung eingeführt. Die ZooglerInnen selbst wollen lieber nicht mit der Presse reden, vielleicht auch wegen des scheinbar übermächtigen Unternehmens. Ihr Erfolg dient aber in anderen Ländern als Vorbild, weiss Muhr zu berichten: In elf europäischen Ländern gibt es Bestrebungen, Mitbestimmungsstrukturen von Google-ArbeiterInnen zu verankern.

Die Mitglieder der Alphabet Workers Union und ihre KollegInnen in anderen Ländern stehen jetzt vor zahlreichen Aufgaben: Wie können sie die vielen Themen – von der ungleichen Entlöhnung bis zur betriebsinternen Mitbestimmung – unter einen Hut bekommen? Und wie sollen sie innerhalb der mächtigen internationalen Gewerkschaftszusammenschlüsse ihre Vorstellung der Basisorganisation voranbringen?

Was sich zumindest jetzt schon deutlich zeigt: Techunternehmen funktionieren nicht anders als die herkömmlichen. Sie versuchen zwar, sich mit einer alternativen Aura zu umgeben – am Ende sind der Lohn, die Mitbestimmung und die ethische Ausrichtung der Produkte aber auch hier nur Machtfragen.

* Korrigendum vom 19. April 2021: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, der Sprachassistent von Google heisse Alexa. Tatsächlich handelt es sich um den Google Assistant.