Überwachung: Gratis schnüffelt es sich leichter

Nr. 14 –

Die staatliche Überwachung in der Schweiz nahm im letzten Jahr in grundrechtlich sensiblen Bereichen stark zu. Grund dafür ist unter anderem die Abschaffung von Gebühren.

Seit langem hat der Staat die Schweizer Bevölkerung nicht mehr so umfassend überwacht wie im letzten Jahr. Das geht aus der Ende März veröffentlichten Statistik des Dienstes ÜPF hervor. Diese erfasst, welche Überwachungsmassnahmen im Rahmen des Bundesgesetzes betreffend Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) von Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienst angeordnet wurden. Und sie zeigt, dass 2020 über 9000 Überwachungen durchgeführt wurden – 400 mehr als im Vorjahr.

Das zuständige Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) bezeichnet die Entwicklung in einer Medienmitteilung als «stabil». Die Details der Statistik verraten jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist: In mehreren Bereichen sind die Zahlen geradezu explodiert. So zum Beispiel die Anzahl Antennensuchläufe, bei denen alle Mobiltelefone erfasst werden, die sich in einem gewissen Zeitraum an einem gewissen Ort befunden haben. Sie sind gegenüber dem Vorjahr um über fünfzig Prozent angestiegen. Eng damit verknüpft ist ein enormer Anstieg der sogenannten einfachen Auskünfte. Dabei fragt zum Beispiel die Kantonspolizei bei der Swisscom nach, wem eine gewisse Telefonnummer gehört. Im letzten Jahr wurde das über 250 000 Mal gemacht – doppelt so oft wie 2019.

Für den Anstieg sind zu einem grossen Teil die Bundesbehörden verantwortlich. So ordnete die Bundesanwaltschaft mehr als ein Drittel der insgesamt 2657 Antennensuchläufe an. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) überprüfte anschliessend die so ermittelten Telefonnummern und machte dazu 114 000 einfache Anfragen – gegenüber 14 000 im Vorjahr. Es stellte damit fast die Hälfte aller Anfragen in der Schweiz im vergangenen Jahr.

Wie erklärt sich dieser massive Anstieg? Die Bundesanwaltschaft teilte der WOZ mit, dass die Anzahl der Massnahmen von den jeweiligen Strafverfahren abhänge. Weitere Angaben mache sie nicht. Und das Fedpol erklärte, es handle sich um ein «normales polizeiliches Vorgehen», dass man bei entsprechend grossräumigen Antennensuchläufen die Nummern anschliessend abkläre. Abhängig von den Fällen seien Schwankungen normal. Um was für Fälle es gegangen war, wollte das Fedpol nicht beantworten, weil es sich um laufende Verfahren handle.

Keine milde Form der Überwachung

Es mag sein, dass natürliche Schwankungen hinter dem sprunghaften Anstieg stecken. Teil der Erklärung sind aber auch die stark gesenkten Gebühren für Antennensuchläufe und «einfache Auskünfte». So wurden die Kosten für Erstere seit dem Vierfachmord von Rupperswil massiv gesenkt – obwohl sich die umstrittene Methode in diesem Fall als nutzlos herausgestellt hatte. Die «einfachen Auskünfte» sind seit Mitte 2020 für die Strafverfolgungsbehörden sogar gratis. Der Bundesrat schaffte die bisher geltende Gebührenhürde ab. Wenn der Strafverfolgung durch die Überwachung keine Kosten entstehen, ist wenig erstaunlich, dass die entsprechenden Zahlen in die Höhe schnellen.

Das EJPD betont hingegen, dass zum Beispiel Echtzeitüberwachungen, die «den schwersten Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen» darstellten, zurückgegangen seien. Diese Sichtweise ist gemäss Viktor Györffy, Rechtsanwalt und Präsident von Grundrechte.ch, verkürzt: «Mit Antennensuchläufen, den heutigen Mengen an Randdaten und den Möglichkeiten, diese zu nutzen und zu verknüpfen, können schwere Eingriffe in die Grundrechte verbunden sein.» So gelangen bei dieser Massnahme sehr viele unschuldige Menschen ins Visier. Durch die «einfachen Auskünfte» und allfällige nicht statistisch erfasste weitere Abfragen in Datenbanken blickt die Polizei tief ins Leben vieler Unbeteiligter.

«Hierbei handelt es sich keineswegs um eine milde Form der Überwachung, zumal die unschuldig Betroffenen nie davon erfahren, dass sie überwacht wurden», gibt Györffy zu bedenken. Das verstosse womöglich auch gegen die Informationspflicht der Behörden.

Klage hängig

Brisant ist diese Entwicklung auch vor dem Hintergrund einer hängigen Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, mit der sich die Digitale Gesellschaft gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz wehrt. In deren Rahmen wird während sechs Monaten gespeichert, wer mit wem wann von wo aus kommuniziert hat. Die Vorratsdatenspeicherung bildet auch die Grundlage für die Antennensuchläufe. Das Bundesgericht entschied 2018, dass sie zulässig sei, weil sich der Gesetzgeber für eine allgemeine und umfassende Vorratsdatenspeicherung entschieden habe. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings bereits mehrfach entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht mit den Grundrechten vereinbar sei.

Vom EJPD wollte die WOZ wissen, ob angesichts des Anstiegs der Überwachungsmassnahmen Handlungsbedarf bestehe. Doch dort delegierte man die Verantwortung an die Kantone und Behörden, die die Massnahmen anordnen würden. Man sei – durch den Dienst ÜPF – bloss die ausführende Behörde. Durch die Statistik würde ein Reporting ausgeführt, und man nehme die Zahlen, die im langjährigen Schnitt im Übrigen etwa gleichbleibend seien, zur Kenntnis.