Im Affekt: Kompass kaputt, Herr Muschg?

Nr. 17 –

«Eine unvergessliche Begegnung mit dem 86-jährigen Schriftsteller Adolf Muschg!» So freudestrahlend twitterte SRF-Moderator Yves Bossart vor der Ausstrahlung, dazu ein paar hübsche Hashtags: #weisheit #lebenskunst #literatur. In der Tat: absolut unvergesslich, die lebenskünstlerische Weisheit, die Muschg in dieser «Sternstunde Philosophie» absonderte. Etwa zum Missbrauchsskandal an der Odenwaldschule, wo einer der Haupttäter der Lebenspartner eines guten Freundes von Muschg war: «Unterm Strich sind es die menschlichen Dinge, die wirklich zählen im Leben. Die Schubladen, in die man Leute versorgt, um sie abzulegen und um sie zu disqualifizieren, sind Missbrauch. Das ist der wahre Missbrauch!» Grosse Erleichterung bei allen Opfern sexueller Gewalt: Sofern man sie nie in Schubladen versorgt hat, wars gar kein richtiger Missbrauch!

Zuvor hatte Muschg schon vollends die Relationen verloren, als er seine sehr vergessliche Weisheit zur Frage der «Cancel Culture» walten liess. «Dass man abgeschrieben wird, wenn man bestimmte Zeichen von sich gibt», das könne man heute bei feministischen wie auch bei antirassistischen Diskursen beobachten, so Muschg: «Ein falsches Wort und du hast den Stempel. Das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Cancel Culture? Auschwitz? Man weiss gar nicht, wo anfangen.

Sind wir hier bei der freien Assoziation zum Thema #lebenskunst? Zwei Sätze später redet Muschg jedenfalls schon vom «ganzen Spass des Lebens». In einem Atemzug vom Holocaust zum Spass des Lebens: Muss man auch erst mal hinkriegen, diese Kurve. Aber Muschg beruft sich halt gerne mal auf Auschwitz, er hat es ja auch schon in die Schweiz geholt, 1997 in seiner Rede «Wenn Auschwitz in der Schweiz liegt». Wobei er mit dieser plakativen Chiffre vor allem den Blick auf die realen Verstrickungen der Schweiz im Zweiten Weltkrieg verstellte. Schon damals bot Muschg keinen guten Kompass zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Von der Gegenwart jetzt ganz zu schweigen.

Memo für SRF: Maulkorb für ModeratorInnen, die sich politisch äussern? Vielleicht besser die Skills für kritische Nachfragen trainieren!