Schottland: Kein Schutz vor Hass
Im Vorfeld der Parlamentswahlen wird in Schottland über die rechtliche Stellung von trans Menschen gestritten. Das Bestreben nach Gleichberechtigung wird von der Regierung kaum unterstützt, transfeindliche Gruppen erleben einen Aufschwung.
Als dem britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins kürzlich der Titel «Humanist des Jahres» wegen transphober Äusserungen entzogen wurde, stand das sinnbildlich für eine tiefer greifende Debatte auf den Britischen Inseln. Die Zahl der gemeldeten Hassverbrechen gegen trans Menschen im Vereinigten Königreich hat sich laut der BBC seit 2015 vervierfacht. Erst Ende April erkannte die Regierung die LGB Alliance als gemeinnützige Organisation an – dass ein T fehlt, ist Absicht. Laut KritikerInnen aus LGBTQI*-Kreisen handelt es sich bei der Allianz um eine transfeindliche Gruppe mit Verbindungen zu AbtreibungsgegnerInnen und Rechtsextremen.
Die LGB Alliance wurde von abtrünnigen Mitgliedern der britischen LGBTQI*-Organisation Stonewall ins Leben gerufen und setzt sich gegen eine Revision des «Gender Recognition Act» ein, die es trans Menschen erleichtern würde, ihre offizielle Geschlechterzuordnung anzupassen. Das geht derzeit nur bei Feststellung einer «Geschlechtsidentitätsstörung», wozu die Betroffenen einen bürokratischen Prozess medizinischer und psychologischer Abklärungen über sich ergehen lassen müssen. Dieses Prozedere wollte die Mitte-links-Regierung der Scottish National Party (SNP) unter Nicola Sturgeon – im Gegensatz zur britischen Regierung – abschaffen. Und genau das ist bei den schottischen Regionalwahlen, die am Erscheinungstag dieser WOZ stattfinden, ein grosses Thema.
Nach der Ankündigung der schottischen Regierung im Jahr 2017, die besagte Gesetzgebung zu revidieren, schossen zahlreiche Organisationen aus dem Boden, die sich angeblich für Frauen einsetzen. Diese tragen Namen wie «For Women Scotland» oder «The Women’s Human Rights Campaign». Sie fürchten, dass Männer sich durch eine Stärkung von Rechten für LGBTIQ* unter dem Vorwand ihrer Transidentität in Safe Spaces wie Frauenhäuser und Umkleidekabinen einschleusen könnten.
Auch Linke unter den Transfeinden
Die Gruppierungen haben prominente Fürsprecherinnen, die sich selbst als «genderkritische Feministinnen» bezeichnen. Da wäre Joanne K. Rowling, die schottische Autorin der Harry-Potter-Reihe. Diese unterstellt trans AktivistInnen, «Frauen als eine politische und biologische Klasse zu untergraben». Da wären aber auch Politikerinnen aus dem linken Spektrum, etwa die ehemalige Chefin von Labour Scotland, Johann Lamont, die darauf beharrt, dass zwei Geschlechter doch wohl ausreichend seien. Oder die lesbische SNP-Abgeordnete Joanna Cherry. Auf Twitter verteidigte diese die Juristin Sarah Phillimore, die den Einsatz für trans Menschen mit den Nazis und dem Holocaust in Verbindung gebracht hatte. Nach einem Aufschrei aus den Reihen der LGBTQI*-Community wurde Cherry als Fraktionssprecherin abgesetzt. Daraufhin beklagte die Politikerin die Kritik an ihr als Angriff auf die Meinungsfreiheit. Applaus erhielt sie dafür ausgerechnet vom konservativen Tory-Politiker Jacob Rees-Mogg, Abtreibungsgegner und Opponent der «Ehe für alle».
Während die «genderkritischen Feministinnen» unablässig mobilmachen, sickerte im Januar vergangenen Jahres ein Entwurf des schottischen Justizministers Humza Yousaf für das geplante Gesetz gegen Hassverbrechen durch. Dieses sah eine Klausel vor, wonach diskriminierende Aussagen im Zusammenhang mit Transgender nicht als strafbar gelten sollten. Als daraufhin zahlreiche, meist junge Mitglieder aus der SNP austraten, wurde die Ausnahmeregelung fallen gelassen. Regierungschefin Sturgeon veröffentlichte ein Video, in dem sie mit belegter Stimme beteuerte, dass Transphobie mit der gleichen Nulltoleranz begegnet werden müsse wie Rassismus oder Homophobie.
«Auch wenn ich glaube, glauben möchte, dass Nicola Sturgeon trans Menschen Rechte zugestehen will – ihre Entschuldigung richtete sich nicht an die Betroffenen, sondern an die Leute, die mitten im Wahlkampf die Partei verlassen haben», sagt Mridul Wadhwa. Sie wollte für die SNP als erste trans Person der Geschichte ins schottische Parlament einziehen. Doch als sie von der Parteispitze auf die Shortlist potenzieller KandidatInnen gesetzt wurde, regte sich Widerstand. «Die Suffragetten würden in ihren Gräbern rotieren», sagte ein anonymes weibliches SNP-Mitglied gegenüber der Tageszeitung «Times». Frauen in der Politik litten immer noch unter massiven Nachteilen, da könne jetzt doch nicht einfach ein biologischer Mann behaupten, ihre Anliegen zu repräsentieren. Die Gruppierung «For Women Scotland» zog gegen die Nominierung vor Gericht und verlor – Wadhwa wurde dennoch nicht als Kandidatin aufgestellt.
Zusammenkopierte «Beweise»
Die Regionalwahlen gelten als richtungsweisend in der Frage, ob Schottland erneut über die Sezession vom Vereinigten Königreich abstimmen soll. Doch die Bewegung der UnabhängigkeitsbefürworterInnen ist gespalten – und die Bruchlinie verläuft ziemlich genau entlang der Frage nach den Rechten für trans Menschen. Während die SNP unter Sturgeon ein vages Bekenntnis zur Stärkung von Rechten für trans Menschen abgegeben hatte, scharen sich deren KritikerInnen um Sturgeons Vorgänger Alex Salmond. Der hatte nach dem Freispruch in einem Gerichtsverfahren wegen sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung von Mitarbeiterinnen mit der Regierungschefin gebrochen und eine neue Unabhängigkeitspartei mit dem Namen Alba Party gegründet. In dieser versammeln sich abtrünnige SNP-ExponentInnen, die von Angehörigen jener Fraktion unterstützt werden, die sich auf Twitter mit rassistischen und transfeindlichen Tweets hervorgetan hat. Anlässlich der Frauenkonferenz der Alba Party wurde behauptet, dass die LGBTQI*-Organisationen, die sich für trans Menschen einsetzen, das gesetzliche Schutzalter für sexuelle Handlungen auf zehn Jahre senken wollten. Der vermeintliche Beweis dafür war aus verschiedenen Aussagen willkürlich zusammenkopiert worden.
Weil die Frage nach Rechten für trans Menschen einen prominenten Platz in der Spaltung der Unabhängigkeitsbewegung einnahm, wurde ihr im Wahlkampf viel Aufmerksamkeit zuteil – auch wenn der transfeindlichen Partei für die Wahlen nicht allzu grosse Chancen vorhergesagt werden. Aber während es nicht klar ist, was die Spaltung von SNP und Alba Party für die Frage nach der Unabhängigkeit Schottlands bedeutet, ist sie für die Stärkung von Rechten für trans Menschen vielleicht nicht von Nachteil: Denn während die Alba Party den transfeindlichen Teil der Unabhängigkeitsbewegung vertritt, könnte die regierende SNP – die die Wahlen voraussichtlich erneut gewinnt – in Schottland endlich eine fortschrittlichere Politik durchsetzen.