Auf allen Kanälen: Archiv für Drogenmusik

Nr. 19 –

Die Website clubculture.ch sammelt Material und Geschichten zur Clubkultur. Das macht das Warten in der Coronastille nicht leichter.

Ein Foto: Zwei Dragqueens in Knautschsesseln lackieren sich die Nägel. Oder eine Kassette, mit Filzstift beschrieben: «Which Reality, Papa?» Oder ein Plakat: zwei Figuren in psychedelisch anmutendem Violett und Orange – Werbung für eine Dance Night in der Saalanlage Münchenbuchsee. Über 500 solche Objekte sind seit kurzem auf der Seite clubculture.ch zu sehen. Ein digitales Museum der Schweizer Clubkultur gewissermassen: vor allem Fotos, Flyer und Plakate, die meisten aus den Achtzigern und Neunzigern, mit Tags versehen – Thema, Ort, Genre, Jahrzehnt. Es sind Schlaglichter auf eine Kultur, die heute zwar vermehrt, aber noch immer nicht recht beleuchtet wird (vielleicht, so könnte man meinen, ist ihr eigentlich ganz wohl im Dunkeln).

Schweizer Clubkultur, das ist nicht nur Street Parade, findet nicht nur in Zürich, Basel oder Lausanne statt, sondern auch in Niederscherli, Airolo oder Gsteig; sie zeigt sich mal im kommerziellen Anzug und mal im alternativen Glitzerfummel – und sie ist bisher kaum dokumentiert. Einen Anfang machen will der Verein Club Culture CH mit dem Projekt «Clubkultur in der Schweiz» und der dazugehörigen, kürzlich aufgeschalteten digitalen Sammlung. Ab nächstem Jahr sollen Ausstellungen hinzukommen – es geht auch um Vermittlung. Die Website clubculture.ch ist zugänglich gestaltet, man klickt sich durch Erinnerungen. Ein begehbares physisches Archiv gibt es (noch) nicht.

Psychorama, Acid House

Es ist auch gar nicht so viel Material da. «Natürlich sind wir im Moment noch nirgends», sagt Bjørn Schaeffner von Club Culture CH, der auch für die WOZ schon über Schweizer Clubkultur geschrieben hat. Es gebe in der Schweiz wenig Bewusstsein dafür, dass Clubkultur einen historischen oder kulturellen Wert habe, trotz der Adelung der Street Parade als Unesco-Weltkulturerbe 2017. «Eine Kiste mit Flyern ist schnell mal weggeworfen, die Leute schreiben dem kaum mehr als einen persönlichen Wert zu.» Vieles droht so in Vergessenheit zu geraten.

Trotzdem: Langsam soll die Sammlung wachsen, begleitet von längeren Texten, die ebenfalls auf der Seite erscheinen und sich spezifischen Szenen widmen: etwa den Psychorama-Partys der Achtziger in Berner Vororten oder den Acid-House-Veranstaltungen im Zürcher Volkshaus (der «Blick» titelte 1988: «Neue Welle in unseren Discos – ‹Acid House› – die teuflische Drogenmusik»). Club Culture CH spannt für das Projekt mit dem Schweizerischen Sozialarchiv und dem Swiss Music Archive, der Berner Hochschule der Künste und der ZHAW sowie SRF und RTS zusammen; finanziert ist die Sammlung bisher durch Gelder der öffentlichen Hand.

Ein Möglichkeitsraum

Es gehe, so Schaeffner, nebst der Dokumentation vor allem auch darum, einen Diskurs anzustossen: Was ist das eigentlich, Schweizer Clubkultur? Was macht sie aus, wo findet sie statt und – wer gehört dazu? Es fällt auf, wenn man sich durch die Fotos klickt: Die Schweizer Clubkultur scheint eine sehr weisse, sehr mittelständische Kultur zu sein. Einerseits stimme das, sagt Schaeffner, schliesslich lebe die Clubkultur hierzulande auch davon, dass Geld da sei und Zeit, es auszugeben; man merke das nicht nur der kommerziellen, sondern auch der alternativen Szene an. Andererseits: «Gerade in den Achtzigern war der Club auch ein Möglichkeitsraum für Secondos, um sich zu treffen, besonders in der Romandie.»

Auch diese Geschichten müssten erzählt werden – und ihren Platz in der akademischen Forschung finden. Es gehe schliesslich auch darum, die Geschichte der Schweizer Clubkultur zwar anwaltschaftlich, aber nicht beschönigend zu erzählen: Da war etwa der Basler Club Bimbo Town, der heute wohl kaum mehr unter diesem Namen existieren könnte. Oder jene Geschichte, als Jean-Michel Basquiat vom damaligen Chef des Zürcher «Mascotte» vor die Tür gestellt wurde mit den Worten, «der Neger» solle gehen. «Uns interessiert die Reibung zwischen den verschiedenen Welten, die in den Clubs aufeinanderprallen», sagt Schaeffner, da sei eine kritische Auseinandersetzung unabdingbar.

Mit Corona, sagt Schaeffner noch, habe das Projekt übrigens gar nichts zu tun. Ein Zufall, dass die Seite gerade jetzt, wo die Clubs schon so lange zu sind, lanciert wird. Schon schön, der Club im Museum – es wird nur einmal mehr deutlich, wie sehr er im Moment fehlt.

Die Sammlung auf www.clubculture.ch wird laufend erweitert.