Hans Peter Gansner (1953–2021): Wenn das Herz das Herz aller Dinge ist
Das Kloster St. Urban. Die Sonne sticht. Der Weg vom Bahnhof ist langweilig, das Kloster unübersehbar, mächtig, renoviert. Keine Menschenseele. Hier soll er aus seinem «Herz»-Gedichtband lesen, der Hans Peter «Hape» Gansner, er, der in der Wolle gefärbte Linke, Freund von Jean Ziegler. In einem Kloster?
Aber warum denn nicht. Humanistisch gebildet ist er ja. Studiengänge in Germanistik, Philosophie, Romanistik et cetera. Ich hab einen kleinen Packen der Gedichtbände dabei. Und finde keinen Eingang. Es gibt eine Gartenbeiz. Sie ist schattenlos leer. Das wird was, denke ich, Lyriklesung, na klar. Dann sehe ich vier Grauköpfe. Ich folge ihnen, verliere sie aber aus den Augen, stolpere durch hallend leere Gänge, treppauf, treppab. «Ah, der Herr Verleger!», ruft Gansner aus, als ich endlich den richtigen Raum betrete. Es sind schon alle da. Fünf oder sechs Grauköpfe, Frauen. Die örtliche Presse. Ich habe ein jüngeres Publikum erwartet. Ein ahnungsloser Verleger, offenbar.
Es ist unsere erste Begegnung. Live. Er sieht so aus wie auf den Fotos. Gross, langhaariger Kopf, Zauselbart, hippiesk. Er ist gut drauf. Er liest. Plaudert zwischen den Gedichten. Flicht Anekdoten ein. Erzählt von seiner Herzinsuffizienz. Beinahe euphorisch, als wärs eine überstandene Grippe. Die Anwesenden sind entzückt. Alle erstehen einen «Herz»-Band. Hape signiert. Pressefoto. Mit Verleger. Als wir zum Bahnhof gehen, ist sein Schnaufen unüberhörbar. Wir bleiben öfter stehen. Es ist doch keine überstandene Grippe. Es ist eine unheilbare Krankheit, der er in den nächsten zehn Jahren noch vier weitere «Herz»-Bände abtrotzen wird. Und anderes mehr. Wir fahren zusammen nach Bern. Er muss weiter nach Hochsavoyen. Wir lassen zwei oder drei Züge aus, tauschen sie ein gegen ebenso viele bernteure Biere. Sein Charme blitzt schmeichelnd auf. Es ist schwer, ihm etwas abzuschlagen.
Wir wollen uns unbedingt wieder mal treffen. Wir tun es nie. Am 1. Mai 2021 starb er. Mit jungen 68 Jahren. Das ist traurig.
«Heartbeats» im Kult-Bau St. Gallen: Im Gedenken an Hans Peter Gansner und Ira Cohen lesen Susann Klossek, Pablo Haller und Florian Vetsch am Mi, 2. Juni 2021, um 20 Uhr aus den Werken der beiden Autoren. Anmeldung unter kontakt@kultbau.org.