Fahndung in Belgien: Morddrohungen, Hass und grosskalibrige Waffen

Nr. 21 –

Ein rechtsextremer Militär bedroht einen prominenten linken Virologen, taucht unter – und wird von Nationalisten und Coronaskeptikerinnen zum Idol hochstilisiert.

Seit zehn Tagen hält der untergetauchte Elitesoldat Jürgen Conings Belgien in Atem. In einem Brief kündigte er Anfang letzter Woche an, er wolle nicht in «einer von Politikern und Virologen regierten Gesellschaft» leben und begebe sich «in den Widerstand» gegen «das Regime». Conings, den der belgische Antiterrordienst OCAD auf einer Liste potenzieller GefährderInnen als rechtsextrem einstuft, deckte sich in der Kaserne mit Verweis auf ein angebliches Schiesstraining mit grosskalibrigen Waffen ein – und tauchte unter.

Tagelang suchten rund 400 Polizistinnen und Soldaten in einem Nationalpark nach ihm. Doch Conings, der letztes Jahr Morddrohungen gegen den Virologen Marc Van Ranst äusserte, bleibt verschwunden. Inzwischen wurde bekannt, dass der 46-Jährige, der an mehreren militärischen Auslandseinsätzen teilgenommen hatte, kurz vor seinem Abtauchen in der Nähe von Van Ransts Haus gesehen wurde. Der Virologe, der die belgische Regierung in der Coronapandemie berät, und seine Familie leben seither unter Polizeischutz an einem geheimen Ort.

Conings wird mittlerweile international gesucht. In Belgien hat sich derweil eine bizarre Konstellation entwickelt: Einerseits hat die Fahndung ihn zum «Staatsfeind Nummer eins» erklärt, andererseits geniesst Conings zunehmend Unterstützung in der Bevölkerung. Just die erfoglose Suche prägt das Bild vom Einzelkämpfer, der sich dem Zugriff Hunderter bewaffneter Staatsdiener entzieht.

Die Kluft wird tiefer

Deutlichstes Indiz dafür ist die stetig wachsende Facebook-Gruppe «Als 1 man achter Jürgen» (sinngemäss: Vereint hinter Jürgen), die innerhalb einer Woche zu 46 000 Mitgliedern kam, inzwischen aber von Facebook gelöscht wurde. In regen Diskussionen hat sich dort ein vorherrschendes Narrativ herausgebildet: Conings als heldenhafter Soldat und vorbildlicher Patriot, der sein Leben für sein Land einsetze, nun von posttraumatischem Stress geplagt werde und, statt psychologische Hilfe zu bekommen, das Ziel einer völlig überzogenen Treibjagd werde.

Folglich bietet man «Jürgen» – inzwischen zu einer heldenhaften Mischung aus Robin Hood und Rambo hochstilisiert, der sich im Namen des Volkes gegen eine korrupte, elitäre Regierung stellt – massenhaft Unterschlupf an, erklärt sich solidarisch und stellt Kerzen für ihn ins Fenster. Mehrfach gab es sogar Solidaritätsmärsche in der Nähe seines Wohnorts, an denen einige Hundert Menschen teilnahmen.

«Rettet Jürgens Leben» heisst es als Gruppeninformation von «Als 1 man achter Jürgen». Conings hat beachtliches Potenzial – im Fall seines Todes –, als «Märtyrer» einer Bewegung verehrt zu werden, die sich in der Grauzone zwischen Konservativen, Rechtsextremen, Verschwörungsgläubigen und CoronaskeptikerInnen formiert. In Belgien, zumal in der Region Flandern, hat sie eine besondere Dynamik: Die Kluft zwischen dem grossen flämisch-nationalistischen Teil der Bevölkerung und der föderalen Regierung in Brüssel war hier schon vor der Coronakrise immens.

Dass die Parteien, die diese Strömungen verkörpern, an der 2020 gebildeten Koalition nicht beteiligt sind, hat das Statement «Nicht meine Regierung» als fundamental oppositionelles Bekenntnis zu einem geflügelten Wort im politischen Diskurs gemacht. Die Pandemie hat diese Tendenzen verstärkt – und VirologInnen stehen als Disziplinierungsinstanzen einer häufig verwirrenden Coronapolitik in der Kritik.

Aufmarsch vor einem Medienhaus

Besonders gilt dies für Van Ranst, dessen Nähe zur postmarxistischen ArbeiterInnenpartei PvdA bekannt ist und der häufig zum Ziel von Onlinehass und Drohungen wurde. Wie sich die Situation zuspitzt, zeigt überdies ein Vorfall in Antwerpen: Dort wurde am Montag das Gebäude des Medienverlags De Pers Group wegen einer erst nicht näher benannten Drohung vorsorglich evakuiert. Später wurde bekannt, dass sich offenbar eine Gruppe niederländischer RechtsextremistInnen auf dem Weg dorthin befand, die sich Informationen zum Aufenthaltsort Van Ransts versprachen.