#digi: Keine Privatsphäre für Bedürftige
Wer Sozialhilfe bezieht, wird von den Behörden durchleuchtet. Viele müssen eine Vollmacht unterschreiben, damit die Sozialämter Informationen von Ärztinnen, Psychotherapeuten oder Anwältinnen einholen können. Begründung: Betroffene seien oft überfordert, das selber zu tun. Nur wird dabei deren Privatsphäre völlig untergraben. Sie wissen nicht, welche Informationen über sie eingeholt wurden. Bereits 2012 wurde diese Praxis kritisiert und bis vor Bundesgericht erfolglos angefochten. Ob es Privatsphäre nur noch für Reiche gebe, fragte Humanrights.ch rhetorisch – eine Frage, die sich mit neuen Gesetzen zur Überwachung durch Sozialhilfedetektive zugespitzt hat.
Für Marc Zimmermann von der Hochschule Luzern könnte eine Blockchain helfen, den Betroffenen eine gewisse Hoheit und Kontrolle über ihre Daten zurückzugeben. In einem Forschungsprojekt suchte er mit StudentInnen nach sinnvollen Anwendungen im sozialen Bereich. «Dabei zeigte sich, dass sich die Blockchain gut dafür eignet, den Zugang zu persönlichen Daten zu steuern.» Betroffene könnten ihre Daten selber verwalten und bei Bedarf punktuell für die zuständige Person freigeben.
Fraglich ist, ob eine technische Lösung das Problem beheben kann: Die Ressourcen auf den Ämtern sind beschränkt, die Fälle kompliziert, die Geduld fehlt, es mangelt an Vertrauen. Dass die Blockchain solche Widrigkeiten nicht in Luft auflöst, weiss auch Zimmermann. Doch der Vorteil für die SozialhilfebezügerInnen liege auf der Hand: So müssten sie weniger lang auf die Bearbeitung ihres Gesuchs warten, und sie könnten ihre Rechte besser ausüben.
Das Projekt identifizierte jedoch auch grosse praktische Hürden: Viele Betroffene haben keinen Zugang zu Smartphone oder Computer. 2019 hatte fast die Hälfte keine berufliche Ausbildung. Der Anteil über Fünfzigjähriger nimmt stark zu – von 2011 bis 2017 um fast dreissig Prozent. Laut Zimmermann bräuchte es daher begleitende Massnahmen zur Digitalisierung, um sowohl MitarbeiterInnen als auch Betroffene im Umgang mit sensiblen Daten und digitalen Anwendungen zu schulen. Denn Datenhoheit bedeutet eben auch, sich über die Bedeutung der eigenen Daten im Klaren zu sein und zu verstehen, was es heisst, diese in fremde Hände zu geben.