Auf allen Kanälen: Geistloser Dienst

Nr. 34 –

Das Schweizer Kulturradio schafft sich selber ab – ein Nachruf eines ehemaligen Mitarbeiters.

Das Kind wurde am 16. Dezember 1956 geboren, als die neue UKW-Technik es ermöglichte, ein zweites Programm, vor allem für klassische Musik und Bildungsprogramme, zu eröffnen. Getauft wurde das Kind wenige Jahre später auf den Namen DRS 2, erwachsen wurde es 1983/84: Als der Bundesrat Sendekonzessionen an Privatradios erteilte, reagierte die SRG mit der Gründung eines dritten Programms. Und bei drei Programmen wurde nun erstmals eine klare Typisierung möglich: DRS 3 für die Jungen, DRS 1 als Mehrheitsprogramm und DRS 2 als Kultursender.

Für die Entwicklung neuer Programm- und Arbeitsstrukturen setzte der damalige Radiodirektor Andreas Blum eine Projektgruppe ein, die ausschliesslich aus RedaktorInnen aus verschiedenen Bereichen, aber keinem einzigen Hierarchen bestand. Diese entwickelte für DRS 2 das Programm eines anspruchsvollen, überregionalen Feuilletons mit Musik von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert inklusive Jazz und etablierte im Wortbereich aktuelle und vertiefte Kulturberichterstattung. Vorbilder waren die deutschen Radiokulturprogramme und die Feuilletons von NZZ, FAZ oder «Le Monde». Das war die Liga, in der man spielen wollte. Intellektuell und kritisch war der Anspruch, die Arbeitsweise partizipativ und offen.

Dem Fernsehen ausgeliefert

Dieses durchaus erfolgreiche Programm (die jetzt abgeschaffte Literatursendung «52 beste Bücher» erreichte jahrelang im Schnitt über 100 000 HörerInnen) war Anfang der neunziger Jahre durch massive Sparvorgaben zum ersten Mal ernstlich bedroht. Aber Redaktionen, Publikum und Politik engagierten sich lautstark gegen den Kulturabbau. Mit Erfolg. Zwar wurde das Radiosinfonieorchester geopfert, der Kern des DRS-2-Konzepts aber dadurch gerettet – die Verleihung des renommierten Zurlauben-Preises an die Literaturredaktion nahm deren Sendungen aus der Schusslinie.

Intern aber ging der finanzielle, demokratische und programmliche Abbau Jahr für Jahr weiter. 1996 wurden die Reste der Mitbestimmung der Mitarbeitenden bei Neueinstellungen beseitigt. In den Jahren darauf folgte Sparrunde auf Sparrunde. Die Zusammenlegung von Radio und Fernsehen vor zehn Jahren war entscheidend. Sie lieferte das offenere und kritischere Radio dem mächtigeren und populistischeren Fernsehen aus. Seither zieht das Radio auch bei der Zuteilung von Ressourcen aller Art gegenüber dem Fernsehen regelmässig den Kürzeren.

Ein weiterer Schlag kam 2015 mit der Zusammenlegung der beiden halbstündigen Hintergrundsendungen «Reflexe» und «Kontext» zu einem wochentäglichen Einstünder: Kurz darauf wurde die neue «Kontext»-Redaktion mit der Aktualitätenredaktion fusioniert, was dazu führte, dass die Produktion von Hintergrundsendungen dem Diktat einer hektischen und überbewerteten Aktualität unterstellt wurde. Die RedaktorInnen sind seither weitgehend «verdienstet», das heisst für Organisations- und Koordinationsarbeiten verplant. Neuerdings müssen sie sich auch zwecks Bestückung der sozialen Medien mit BeraterInnen aller Art auseinandersetzen. Geistige Arbeit wird zunehmend unmöglich. Eine Redaktorin fasst es so zusammen: «Wir dürfen nicht gut sein.»

Nette Selbstdarstellungen

Das Ziel der Direktion Wappler, das SRG-Publikum zu verjüngen und in den sozialen Medien präsenter zu sein, ist nachvollziehbar; dass es dafür einen teuren Radikalumbau der gesamten Organisation und Personalstruktur braucht, jedoch nicht. Die Kurzfilme, die seit letzter Woche auf Instagram unter srfkultur zu sehen sind, sind – mit einer positiveren Ausnahme – nette, belanglose und anspruchslose Selbstdarstellungen von sympathischen jungen Menschen, die erzählen, was sie für die Umwelt tun oder wie sie Frauen helfen wollen.

Das grössere Problem ist jedoch, dass diese penetrante Personalisierung der Geschichten, die journalistisches Hinterfragen und Einordnen in einen grösseren Kontext erschwert, auch im Kulturradio Standard wird. Und hier liegt ein Grundproblem: SRF 2 Kultur macht zunehmend, was alle machen – und macht sich dadurch überflüssig.

Felix Schneider war von 1996 bis 2013 Literaturredaktor bei DRS 2 / SRF 2.

Mitarbeit: Hans Ulrich Probst, der von 1972 bis 2013 in verschiedenen Funktionen für Radio DRS / SRF tätig war, davon rund dreissig Jahre als Kultur- und Literaturredaktor.