Odd Beholder: Die Vergeblichkeit der Vernunft

Nr. 36 –

«Sunny Bay», das zweite Album von Odd Beholder, handelt vom Strampeln der Menschen im unheimlichen Tal zwischen Kultur und Natur. Dort spielt auch ihr wehmütiger Dreampop.

Auch wo man ihre Texte versteht, sagt sie nicht alles: Daniela Weinmann alias Odd Beholder. Foto: Odd Beholder

Flutkatastrophen, Erdbeben, rasende Viren: Man könnte sich derzeit vorkommen wie in einem Blockbuster-Katastrophenfilm, vielleicht in einem der apokalyptischen Panoramen Roland Emmerichs. Es fehlt indes das Happy End. «Wir müssen lernen, einen anderen Schluss zu akzeptieren», singt Daniela Weinmann in «Disaster Movies», dem Eröffnungstrack von «Sunny Bay», ihrem zweiten Album als Odd Beholder: Die Wirklichkeit, erfahren darin zwei junge Filmfans, fühlt sich ganz anders an als die Lust vor dem Bildschirm. Zu Synthiearpeggien und einem wiederkehrenden, federnden Bass säuselt ihre Stimme von überschwemmten Plätzen, vom Lärm der Flüchtenden, vom rettenden Rathausdach, das zwei Meter aus dem Wasser ragt. Bedrohlich, aber schick.

Unser Verhältnis zur Welt, zu den Dingen, der Natur, den Menschen, die uns umgeben, vertont die Zürcher Musikerin hier erneut. Allerdings hat sie die Perspektive gewechselt. Ihr Debüt, «All Reality Is Virtual» (2019), handelte von unserer Verstrickung in die digitale Welt, vom Netz, in dem wir hängen wie in einer Natur 2.0. In «Uncanny Valley» sang sie von robotischen Pflegekräften: Die Protagonistin befindet sich im stets kleiner werdenden, «unheimlichen Tal» – das ist ein Fachbegriff –, das den Menschen von der maschinellen Menschenähnlichkeit trennt. Sie wird im Rollstuhl von einem Wesen umsorgt, das nicht atmet und nicht fühlt – es kommuniziert wie ein Spiegel: «Schwer zu sagen, ob ich ein Mensch bin, wenn es keinen zweiten wie mich gibt.»

Aktivismus und Kunst

Ähnlich uneindeutig verhält sich nun die biologische Natur von «Sunny Bay». Thematisch liegt Odd Beholder damit im Zeitgeist. Die neuseeländische Sängerin Lorde hat gerade die nächtliche Architektur ihres Elektropops gegen akustische Gitarren eingetauscht und besinnt sich hippiesk auf ihre «Solar Power», die Kraft der Sonne. Umgekehrt hat der Synthpop-Veteran Gary Numan ein eindrücklich düsteres Werk präsentiert, worin sich die Erde mit drastischen Massnahmen gegen die Menschheit wehrt.

Nun treibt zwar auch Weinmann die Sorge um die natürliche Welt um; im richtigen Leben gehört sie zum KünstlerInnennetzwerk Music Declares Emergency, das auf die schnelle politische Antwort auf die Umweltkrise drängt. Aber die aktivistische Klarheit trennt sie weitgehend von der Kunst als Odd Beholder.

Man mag Songs wie «Disaster Movies» oder auch «Rental Car», wo es scheinbar um das Spannungsfeld zwischen Fahrbequemlichkeit und Ökokrisenbewusstsein geht, durchaus kritisch lesen. Aber vor allem schauen ihre Stücke aufs Strampeln der Menschen im, wenn man so will, «unheimlichen Tal» zwischen Kultur und Natur. Darin spielt auch ihre Musik.

Odd Beholder entwirft, wesentlich allein, nur abschliessend unterstützt vom Berliner Produzenten Douglas Greed, einen wehmütig melodischen, aber nie zutraulichen Dreampop. Sie arrangiert ihre Sounds ganz bezaubernd und schiebt sie in ein Feld, in dem nie ganz klar wird, ob die Melodien oder die sachten Beats vom analogen oder digitalen Instrument her verfremdet werden. Ihren Gesang und die Worte legt sie wie eine schmeichelnde Spur hinein, verhängt sie oder löst sie in eine beinah ätherische Flüchtigkeit aus Hall und synthetischen Chören auf. In «Birds» schweben sie auf einem sacht pumpenden Keyboard und Sounds, aus denen banges bis hilfloses Elektropiepsen dringt; in «Olive Trees» wispert sie fast körperlos von Wüstenwinden und Zikaden und setzt spannungsreiche Sphären und ein klarinettenartiges Quäken dazu; und im Titelstück verzieht sie, sparsamst rhythmisiert, eine verdunkelte Gitarre, während sie den Gesang elektronisch in der Höhe verhauchen lässt.

Aus den Tretmühlen

Auch wo man die Texte versteht, sagt sie indes nicht alles. In «Accept Nature» leidet eine Frau unter dem Arbeitsdruck, mit Maschinen konkurrieren zu müssen. Um der unmöglichen Konkurrenz zu entgehen, wünscht sie sich, ein wildes Tier zu sein. Nur: «Ich bin zugleich zu dumm und zu klug – ein Mensch durch und durch», seufzt sie. So endet die Geschichte jedoch nur auf dem Album. Sie sei als Musikerin eigentlich im falschen Beruf, sagte die Autodidaktin Weinmann vor kurzem in einem Radiointerview; ihre Songs entstünden immer auch als Soundtracks. Also verliebt sich die Protagonistin im Video zu «Accept Nature» in ein Fitnessgerät, das Sinnbild der Selbstoptimierung, und bricht sogar ins Studio ein, um ihm nahe zu sein. Dort trifft sie eine neugierige Putzkraft, die gleichfalls einer unbotmässigen Liebe (zu ihrem Hund) folgt: Die Frauen entkommen ihren Tretmühlen, indem sie erkennen, dass ihre verschiedenen Begehren aus derselben Quelle stammen.

«Die Natur», sagt Weinmann, «macht einfach ihr Ding. Sie ist unkontrollierbar, nicht zu planen.» Das letzte Stück des Albums heisst «Cupid’s Foul Play». Während ein klappriges Klavier sich langsam zu elektronischer Fülle wandelt, singt sie von der Vergeblichkeit, sich gegen die Tücken der Liebe mit Vernunft zu bewaffnen. Odd Beholders Vorschlag: das Begehren, die Natur, nicht bekämpfen, nicht verklären, sondern in seiner Selbstverständlichkeit verstehen. Und in seiner Schönheit erkennen.

Odd Beholder: Sunny Bay. Sinnbus/Rough Trade. 2021