Volksmusik: Heimweh singen

Nr. 44 –

So tönt Heimweh! Ob Corin Curschellas mit weltstädtischen Musikern Rock ’n’ Roll oder im Trio mit zwei Bündnerinnen a cappella singt – ihre Stimme klingt da und dort leicht schleppend, dunkel und wunderbar melancholisch. «Heimweh» heisst eine Bündner Krankheit, «increschantüm» klingt das schön in der Sprache des Unterengadins. Die Ausgewanderten litten so daran, dass sie sich in Schwalben verwandelten und hin- und herflogen zwischen der Zuckerbäckerei in der Fremde und dem «balcun tort» – dem Erker – daheim.

Die Krankheit imprägnierte auch die rare Kunst von seinerzeit. Oft ist vom «randulin» oder der «rundeala» die Rede, von der Schwalbe. Das Lebensgefühl der schon lange Verblichenen beflügelt darum die Musik der Nachgeborenen. So auch die Stimme von Corin Curschellas, der weltreisenden Sängerin, nun zu Hause in der Surselva. Ihrem Heimwehklang helfen auf dem Album «Rodas» das Cello von Barbara Gisler und das Akkordeon von Patricia Draeger, die mit ihren Instrumenten herzhaft die Klangfarbe der Melancholie verstärken.

Die drei haben Lieder aus dem Volksgut Graubündens versammelt und dazu neuzeitliche aus Curschellas Feder gesetzt. Der Fünfzehnerreigen beginnt mit den «Zuckerbäckern», einem Lied, in dem die Dichterin Curschellas uns mahnt, nicht zu vergessen, dass die Geflüchteten von heute die Ausgewanderten von gestern sind. Der Reigen geht zur Herzschmerzballade «A Mym Rhi», wo wir im Stil von Hanns Eisler die Ambivalenz der Heimat erfahren. Wer nicht ins Dorf passt, wird aussortiert, in die Flucht geschlagen und muss dann anderswo Heimweh leiden.

Den Abschluss machen die drei Musikerinnen mit der Hymne aller Heimwehkranken – die «chara randulina», die liebe Schwalbe, kommt «a l’ester», aus der Fremde, heim ins Engadin geflogen mit einem Gruss dessen im Gefieder, der im Süden bleiben muss – mit «orma crida», mit weinender Seele, bengalisch beleuchtet von Cello und Handorgel.

Corin Curschellas, Patricia Draeger und Barbara Gisler: Rodas. R-Tunes. 2021