Metaverse: Facebooks Flucht in die Zukunft

Nr. 46 –

Mark Zuckerberg verspricht mit dem Metaverse ein schönes neues Internet mit mehr Gemeinschaft und Austausch. Hinter der bunten Fassade lauert eine neue Ära des totalen Überwachungskapitalismus.

Am 28. Oktober hat Facebook, der grösste aller Social-Media-Konzerne, einen Namenswechsel vollzogen, der den zukünftigen Schwerpunkt des Techgiganten unmissverständlich aufzeigen soll: das Metaverse. Aber was ist das?

Gemäss der Vision von Mark Zuckerberg, dem Gründer und Chef von Facebook (und nun von Meta), ist das Metaverse ein «verkörpertes Internet», in dem wir als Nutzer:innen «die Erfahrung» nicht bloss anschauen, sondern auch «mittendrin» sind. Ein Ort, an dem wir «fast alles, was wir uns vorstellen können», auch machen können: mit Freund:innen und Familie zusammenkommen, arbeiten, lernen, spielen, einkaufen, Dinge «erschaffen». Das Metaverse als die nächste Evolutionsstufe des Internets soll intuitiv, zugänglich und selbsterklärend sein. Eine bunte dreidimensionale virtuelle Welt, in der wir uns mit unserem persönlichen Avatar bewegen und mit anderen Menschen ganz natürlich interagieren. Und zwar nicht bieder und behäbig wie bisher mit Tastatur, Maus und Smartphone. Um in die schöne neue Onlinewelt einzutauchen, schnallen wir uns einfach ein Headset oder «Smart Glasses» um und legen los.

Es mag überraschen, dass Facebook – Entschuldigung, Meta – auf der Suche nach dem grossen neuen Ding ist. Schliesslich ist das Techimperium rund um Facebook, Instagram und Whatsapp nach wie vor der globale Social-Media-Platzhirsch, dem die Konkurrenz nacheifert. Der Konzern hat allein im Jahr 2020 über 29 Milliarden US-Dollar Profit erwirtschaftet.

Doch die fetten Jahre könnten bald vorbei sein. Das Wachstum der User:innenzahlen stagniert, jüngere Generationen tummeln sich lieber auf Konkurrenzplattformen wie Tiktok und Snapchat, und der steigende politische Druck rund um die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen von Facebook und Co. könnte dem heutigen Geschäftsmodell in Form strengerer Regulierung einen Strich durch die Rechnung machen. Das Metaverse ist die grosse Flucht nach vorne, bevor es zu spät ist.

Mark Zuckerberg mag der berühmteste Verfechter des Metaverse sein, aber er ist nicht dessen Erfinder. Diese Ehre gebührt dem Science-Fiction-Autor Neal Stephenson. Er hat das Metaverse in seinem Cyberpunk-Klassiker «Snow Crash» von 1992 als dystopische Zukunftsvision ersonnen: eine dreidimensionale virtuelle Welt, betrieben von einem gigantischen Techkonzern, in der die Meistbietenden sich prestigeträchtige virtuelle Güter leisten können – bessere Avatare, grössere Grundstücke, extravagantere Häuser –, während der Rest um die digitalen Brosamen kämpft. Aus der Perspektive von Techunternehmen enthält Stephensons Metaverse durchaus positive, utopische Elemente: Wer als Unternehmen eine virtuelle Welt erschafft und kontrolliert, vereint schier unfassbar viel wirtschaftliche Macht auf sich.

Kapitalismus im Overdrive

Zuckerbergs Meta ist nicht der erste Gehversuch in Richtung Metaverse. Das bisher langlebigste Metaverse-Experiment ist die im (für Internetjahre) fernen 2003 lancierte Onlinewelt «Second Life» des Unternehmens Linden Lab. Im Vergleich zu den Hochglanzvisionen von Meta wirkt Second Life, ganz ohne VR-Headsets und «Augmented Reality», allerdings etwas altbacken, und die User:innenzahlen sinken. Onlinevideospiele wie «Fortnite» von Epic Games laufen «Second Life» mittlerweile den Rang ab. «Fortnite» erfreut sich mit Dutzenden Millionen aktiver User:innen enormer Beliebtheit. Es erblickte das Licht der Welt als reines Onlinevideospiel, doch die eigentlichen Videospielmechanismen rücken zunehmend in den Hintergrund. Diese Entwicklung ist gewollt: Epic Games hat im April angekündigt, dass es eine Milliarde US-Dollar in den Ausbau ihres Metaverse-Repertoires investiere.

Was ist das Geschäftsmodell des Metaverse? Die Social-Media-Plattformen von heute generieren ihre Profite in erster Linie über massgeschneiderte Werbeanzeigen, die sie ihren Kund:innen dank der riesigen Datenreservoirs von Milliarden von User:innen verkaufen können. Doch das ökonomische Potenzial des Metaverse umfasst viel mehr als altmodische Werbung, wie der Risikokapitalist Matthew Ball in seinem in Techkreisen einflussreichen Essay «Framework for the Metaverse» beschreibt. Es soll einen eigenständigen und abgeschlossenen Wirtschaftskreislauf erschaffen, dessen Wertschöpfung im Metaverse selber stattfindet. Der Schlüssel hierzu: künstliche Verknappung virtueller Güter, die die Metaverse-Bewohner:innen kaufen und verkaufen können. Im Metaverse sollen wir exklusive virtuelle Dinge besitzen wollen – und dafür reales Geld ausgeben. Du möchtest ein Häuschen für deinen Avatar bauen? Kein Problem: Du kannst einfach ein Stück des begrenzten virtuellen Landes kaufen und darauf ein virtuelles Haus bauen. Später kannst du das beides mit Profit wieder verkaufen. Bei diesen Transaktionen kassiert der Metaverse-Betreiber eine Provision. Et voilà: ein virtueller Wirtschaftskreislauf, der ausschliesslich auf unendlichem Konsum und dem Kampf um künstlich knapp gehaltene Güter basiert.

Es gibt keinerlei technische Gründe, warum virtuelle Güter im Metaverse knapp und exklusiv sein müssen. Im Gegenteil: Das Revolutionäre am Internet ist gerade, dass digitale Güter mit praktisch null Zusatzkosten so gut wie unendlich oft reproduziert werden können. Die gedruckten Enzyklopädien von früher waren der sozioökonomischen Oberschicht vorenthalten, die sich die teuren Bücher leisten konnte. Wikipedia hingegen kann von der ganzen Menschheit gleichzeitig genutzt werden. Darin liegt das radikal egalitäre Potenzial des Internets und des Digitalen im Allgemeinen: Das Digitale ist ein Ausweg aus dem auf Profitmaximierung ausgelegten Hamsterrad von Knappheit und Exklusivität. Doch genau dieses Potenzial soll mit dem Metaverse vernichtet werden.

Bemerkenswert an der Metaverse-Ökonomie ist zudem, dass Arbeit grundsätzlich obsolet wird: Die virtuellen Güter, um die wir buhlen, werden automatisiert per Knopfdruck hergestellt. Doch das bedeutet nicht etwa, dass Menschen in ihrer Lebensgestaltung freier werden – im Gegenteil: Die Automatisierung des Metaverse zielt darauf ab, Menschen in einer unendlichen Spirale des Konsums gefangen zu halten. Es trägt damit Züge eines bizarren Postkapitalismus, in dem klassische wirtschaftliche Zwänge dank Automatisierung überwunden werden – nur, um eine noch schärfere Form der Ausbeutung einzuführen.

Reales Geld für virtuelle Güter

Warum sollen wir beim Metaverse mitmachen? Wenn es nach Vordenkern wie Mark Zuckerberg oder Satya Nadella, dem CEO von Microsoft, geht, werden wir gar keine Wahl haben: Das Metaverse soll nicht bloss Freizeitbeschäftigung bieten, sondern auch der Ort werden, an dem wir in Zukunft gemeinsam arbeiten. Das Homeoffice von heute wird zum Metaverse Office: Wir treffen uns mit Arbeitskolleg:innen im digitalen Büro, führen Sitzungen im digitalen Sitzungszimmer durch und üben uns in Small Talk beim digitalen Apéro am Ende des Arbeitstages. Das Metaverse soll nicht ein optionaler Spass, sondern Grundvoraussetzung für die viel beschworene «Arbeitswelt von morgen» sein.

Wurden wir über solchen nicht ganz sanften Druck erst mal ins Metaverse gedrängt, können die Techunternehmen all ihr über die letzten zwanzig Jahre gesammeltes Wissen über Verhaltensmanipulation anwenden, um uns zu binden. Bereits heute nutzen Social-Media-Plattformen und Apps zahlreiche kognitions- und neuropsychologische Tricks, um das Belohnungssystem unseres Gehirns sprichwörtlich zu «hacken» und uns möglichst lange am Bildschirm kleben zu lassen. Dass diese Art der Beeinflussung auch im Metaverse funktionieren kann, demonstriert schon heute das Beispiel «Fortnite». «Fortnite» ist grundsätzlich kostenlos, generiert jährlich aber mehrere Milliarden US-Dollar Umsatz mit sogenannten Mikrotransaktionen, bei denen die User:innen freiwillig reales Geld für kleine zusätzliche Inhalte wie Kostüme und Waffen für ihre Avatare ausgeben.

Die Sozialpsychologin und Philosophin Shoshana Zuboff beschreibt die gegenwärtige Ära der digitalen Datenwirtschaft als Überwachungskapitalismus. Wenn wir das Internet nutzen, werden wir auf Schritt und Tritt digital vermessen, verfolgt und vermarktet. Die so gewonnenen Daten sind das Fundament, auf dem die Imperien von Techgiganten wie Google oder Facebook gebaut sind. Doch es gibt noch gewisse digitale Rückzugsorte und Mittel, um sich dieser Überwachung zumindest ein Stück weit zu entziehen: Trackingblocker, anonymes Surfen, nicht gar so datenhungrige Apps und Gemeinschaften.

Gefangen im Panoptikum

Das Metaverse zieht die überwachungskapitalistische Schraube weiter an und eliminiert auch diese letzten Reservate der digitalen Freiheit. Dies, weil die Architektur des Metaverse zwangsläufig die Form eines totalen überwachungskapitalistischen Panoptikums annimmt, in dem jede Ecke einsehbar ist. Die digitalen Besitzverhältnisse und die nie endenden Konsumschlaufen rund um knapp gehaltene digitale Güter können nur effizient verwaltet werden, wenn jeder Moment unserer Onlineaktivität umfassend überwacht wird. Die permanente Überwachung und Kommodifizierung unseres Verhaltens sind mit dem Metaverse nicht mehr nur ein unangenehmer Nebeneffekt, sondern der zentrale Sinn und Zweck der Übung.

Darin liegt der grosse Schwindel des Metaverse. Es ist nicht eine harmlose, bunte Weiterentwicklung des Internets mit tollen neuen Features. Das Metaverse ist die Ambition, das Internet gemäss den Logiken des Überwachungskapitalismus von Grund auf neu zu gestalten. Die Konsequenz für uns als Gesellschaft? Die grossen Probleme von heute erreichen mit dem Metaverse eine neue Stufe der Eskalation. Drohen freie Kommunikation und Demokratie bereits heute mit den Social-Media-Plattformen unter die Räder zu geraten, werden sie im Metaverse zu wenig mehr als einer Randnotiz verkümmern.