Wichtig zu wissen: Brillen und Keile

Nr. 2 –

Ruedi Widmer über die letzten 10 000 Jahre

Unter den zahlreichen trendigen Impf-, Reset-, Kindlifresser- und QAnon-Verschwörungen leiden nicht nur die Säkulargesellschaft und die Familie Djokovic, sondern auch die Schweizer Ufo-Vereine. Der Ufo-Klub Kölliken zum Beispiel oder auch die Untertassenvereinigung Oberengstringen beklagen massiven Mitgliederschwund.

Doch hat der Mitgliederschwund natürlich schon vor vielen Jahren eingesetzt, aber jetzt sterben auch die letzten Ufologen weg. Der spärliche und verschwörungshandwerklich noch anspruchsvolle Nachwuchs, oft in der Tradition von Vater und Grossvater beigetreten, beklagt sich heftig über den Geld- und Feldstechermangel in den Vereinen; und wechselt dann enttäuscht zu den Marienerscheinungenvereinen, in denen es aber auch nicht besser ist. Kinder kennen den Begriff «Ufo» gar nicht mehr. Selbst E. von Däniken schreibt auf Facebook lieber über Impfzwang, als seinen Pflichten nachzukommen.

In der Umlaufbahn der Erde stauen sich unterdessen die ausserirdischen Flugobjekte mit Besucher:innen aus aller Herren Allregionen, die bei uns keine Ansprechpartner:innen mehr finden. Die Erde droht im neuen Jahr intergalaktisch ihre Bedeutung zu verlieren.

Jahreswechsel sind auch immer gute Gelegenheiten, Bundesratsgremien zu fotografieren oder den Tod des Handys auszurufen, weil wieder irgendeine neue verrückte Brille auf dem Markt ist, die alles kann (Nextmind, Fr. 500.–). Zumindest lässt sich mit ihr auf der Nase ein Computerbildschirm nur mit den Augen bedienen. Ich mag mich erinnern, wie komisch es war, als ich zum ersten Mal ein Touchscreen-Smartphone in Händen hielt, wo ich mit meinen Wurstfingern genau einen Cursor in einen Text setzen wollte – und es auf Anhieb klappte. Es war die neue Freundschaft zwischen Metzgermeisterverband und Apple, die damals begann.

Der Erfolg des Handys liegt ja gerade darin, dass man es halten kann. Deshalb ist es jeder Brille überlegen. Brillen waren schon Anfang der Neunziger blöd, als man noch von der «Flucht» in den «Cyberspace» sprach. Es gab die 3-D-Brille im Kino, die wieder verschwand. Dann gab es Jahre später mal eine Brille von Google, die niemand wollte. Auch die Apple Watch wollen die wenigsten.

Man will ein Handy zum Halten, wie ein Werkzeug, wie eine Waffe. Bei der Entwicklung der Menschheit war (gemäss dem israelischen Historiker Yuval Harari) unser Menschenhirn mehrere Hunderttausend Jahre beim Faustkeil stehen geblieben. Denn der Faustkeil war eben ein gutes Instrument, das man sich weder um den Kopf noch um das Handgelenk schnallen musste. Er lag hervorragend in der Hand, die Kids hielten damals permanent Faustkeile, glotzten sie an und sonnten sich im bläulichen Licht des technischen Stillstands. Und so soll nun auch das Handy mehrere Zehntausend Jahre lang gebraucht werden (also natürlich jährlich ein neues), um den Stillstand zu zementieren.

Vier von zehn Schweizer Schüler:innen können den Klimawandel nicht erklären. Das ist ein sehr gutes Resultat. Bei den sog. Erwachsenen wird das schon gar nicht mehr gemessen, weil vier von zehn aus dem Messraster fallen. Bei SVP-Mitgliedern ist es noch schlechter; zehn von vier SVPler:innen können praktisch nichts erklären, ausser restlos alles über die Gefahr von Masken bei Schulkindern. Und die bürgerlichen Atomfans alles über umweltfreundliches Uran und wie man mit der Kernenergie das Klima retten kann, obwohl sie das bis jetzt überhaupt nicht gefährdet sahen.

Zum Schluss kommt gerade noch die Meldung rein: Ueli Anderau aus Schindellegi wechselt für 1,5 Mio. von den «Freiheitstrychlern» zu den «Helvetia-Trychlern».

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.