Erwachet!: Spontane Krämpfe
Michelle Steinbeck über Emmanuel Macrons «Herzensanliegen»
Stehen Wahlen an, tun amtierende Staatspräsidenten gut daran, ihre liegen gebliebenen Versprechen aus dem Keller zu holen. In Frankreich wird im April gewählt – und Emmanuel Macron entstaubt ein «Herzensanliegen» aus dem Wahlkampf von 2017. Die französische «Huffington Post» rechnet vor: Vier Jahre und acht Monate habe er gebraucht, um nun fängs «den Beginn einer Strategie zu skizzieren». Umso heroischer gelang die Ansprache, mit der er kürzlich an die Öffentlichkeit trat.
In einer sechsminütigen Videobotschaft erklärt Macron die Leiden von «Sandrine, Lola, Charlotte oder Enora». Er berichtet von einer «souffrance majeure», die das Leben der Betroffenen massiv einschränkt, von einem «Schmerz, der bis zur Ohnmacht führen kann». Die Rede ist von Endometriose, einer weitverbreiteten chronischen (und chronisch unerforschten) Krankheit, die als eine der schmerzhaftesten überhaupt gilt. Obwohl weltweit jede zehnte Person mit Uterus betroffen ist, ist sie weitgehend unbekannt – auch in medizinischen Kreisen. Durchschnittlich vergehen bis zu einer Diagnose sieben Jahre. Der dazwischenliegende Leidensweg ist meist gepflastert mit Fehldiagnosen (nicht wenigen wird auf der Notaufnahme kurzerhand der Blinddarm herausoperiert).
Macron spricht von «Omertà und Ignoranz»: Über Menstruation wird selten bis wenig gesprochen, damit einhergehende starke Schmerzen gelten fälschlicherweise als normal. Aufklärung in Schulen, Unis, Büros, aber vor allem im medizinischen Milieu tut längst not. Macron verspricht weiter Investitionen in ein Rechercheprogramm, das endlich die Ursachen dieser Krankheit erforschen und die Entwicklung therapeutischer Massnahmen fördern soll. Tatsächlich sind die schulmedizinischen Behandlungsmethoden noch immer so rudimentär, dass viele auf die Therapien (Operationen und synthetische Hormone) und ihre teils massiven Nebenwirkungen verzichten.
Dass Macrons «nationale Strategie zur Bekämpfung der Endometriose» deshalb bei den über zwei Millionen Betroffenen in Frankreich offene Türen einrennt, versteht sich von selbst. Allein die Tatsache, dass sich eine einflussreiche Person des Themas annimmt, drückt auch mir auf die Tränendrüse. Umso befremdlicher, wenn auch wenig erstaunlich, wirkt seine nationalistische Kriegsrhetorik: «Wir stehen hier zusammen, kampfbereit.» Der Nachfolger Napoleons will eine «französische Endometriosekohorte» bilden mit dem Ziel, Frankreich «an die Spitze der Forschung» zu bringen. «La France kann, la France muss die Führung übernehmen.» Denn wenn «Christine und Kelly» deshalb keine Kinder bekommen könnten, sei das «kein Frauenproblem, sondern ein gesellschaftliches Problem». Stimmt. Aber Staatsmänner, die sich öffentlichkeitswirksam um weibliche Fruchtbarkeit sorgen und dafür in den Krieg ziehen wollen, lösen bei mir schon mal spontane Krämpfe aus.
Davon abgesehen, ist die Initiative absolut vorbildlich und sollte unbedingt nachgeahmt werden – nicht nur von Alain B. Auch der Papst, dessen Vatikanbank jahrzehntelang heimlich in die «Pille danach» investiert hat und der gerade kinderlose Paare als egoistisch bezeichnet hat, könnte seine Reputation mit einem grosszügigen Endometriosepaket sanieren. In ihre Forschung soll gebuttert werden wie in der französischen Küche. Vielleicht haben wir in einem Jahr dann auch eine Endometrioseimpfung.
Michelle Steinbeck ist Autorin.