Nationalbank: Blackbox Bankrat
Nach dem Rücktritt von SNB-Vizepräsident Fritz Zurbrügg nominiert das Aufsichtsgremium der Schweizerischen Nationalbank demnächst ein neues Mitglied für das SNB-Direktorium. Welche Kriterien dabei angewendet werden, bleibt im Dunkeln.
Es geht um einen der weitreichendsten Personalentscheide in der Schweizer Wirtschaftspolitik: Das Aufsichtsgremium der Schweizerischen Nationalbank (SNB), der Bankrat, nominiert in den nächsten Wochen einen Nachfolger für den zurückgetretenen SNB-Vizepräsidenten Fritz Zurbrügg. Massgeblich beeinflusst wird die Personalie von Barbara Janom Steiner, Präsidentin des SNB-Bankrats. Welche Kriterien sie beim Auswahlprozess anwendet, ist unbekannt. Auch auf Anfrage äussern sich die Mitglieder des Bankrats nicht.
Es steht viel auf dem Spiel: Es geht um einen Sitz im dreiköpfigen SNB-Direktorium um Thomas Jordan, einem der wichtigsten Gremien in der Wirtschaftspolitik. Dieses beeinflusst, was eine Hypothek kostet, es bewegt die Preise in der Migros, und es verwaltet über eine Billion Franken Volksvermögen. Das SNB-Direktorium ist eine der mächtigsten Institutionen des Landes.
Gewählt werden die SNB-Direktionsmitglieder vom Bundesrat. Die grössere Hürde als die Wahl ist aber die Nominierung durch den Bankrat (vgl. «Das Wahlprozedere» im Anschluss an diesen Text). Das Problem dabei: Der Bankrat ist schwach. Das ist deshalb so, weil allein das SNB-Direktorium über die Geschicke der Nationalbank entscheidet. Dort sitzen die Fachexpert:innen der Nationalbank. Derweil setzt sich der Bankrat aus politischen Vertreter:innen der Kantone, Wissenschaftler:innen und Leuten aus Verbänden und Gewerkschaften zusammen. Es ist deshalb richtig, dass der Bankrat die operativen Entscheide des SNB-Direktoriums nicht kommentiert. Doch die Zurückhaltung hat eine Kehrseite: Der Bankrat steht im Schatten des SNB-Direktoriums. Das macht das Aufsichtsgremium zu einem politischen Leichtgewicht.
Der Bankrat schwächt sich aber auch selber. Er schweigt nämlich auch dann, wenn er gefragt ist: Das ist etwa dann der Fall, wenn es um aufsichtsrechtliche Fragen geht. So geschehen zuletzt 2020, als zwei Journalisten der «Republik» vom Bankrat und vom SNB-Direktorium wissen wollten, wie sie zu den Diskriminierungsvorwürfen gegen die SNB-Führung um Jordan stünden. Die sinngemässe Antwort des SNB-Aufsichtsgremiums: Wir sind derselben Meinung wie das SNB-Direktorium. Ein starker Bankrat hätte anders reagiert.
Wie unabhängig ist der Bankrat?
Heute ist der Bankrat wieder gefragt. Agiert er nun unabhängig vom SNB-Direktorium? Um das herauszufinden, hat der Autor mehrere Bankratsmitglieder kontaktiert, sie zu Gesprächen eingeladen; er musste nachhaken und auf Antworten warten, hat vergeblich angerufen und SMS verschickt, die nicht beantwortet wurden. Absagen gab es mit Verweisen auf gewisse «Spielregeln», die im Bankrat eingehalten werden müssten.
Auch die Präsidentin, Barbara Janom Steiner, liess ausrichten, dass sie sich in «Geldcast», dem Podcast des Autors, nicht äussere. Sie sprach dabei auch gleich für ihre Kolleg:innen. Diese würden ebenfalls nicht an einer Gesprächssendung teilnehmen. Sie verwies auf den SNB-Jahresbericht, in dem «detailliert» über die Arbeit des Bankrats berichtet würde: auf 3 von insgesamt 244 Seiten.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet – und zwar auch nach einer schriftlichen Anfrage beim Bankrat, die bezeichnenderweise «im Namen von Janom Steiner» durch die SNB-Medienstelle beantwortet wurde, die dem SNB-Direktorium untersteht.
Erstens: Wie verhindert der Bankrat, dass es zu einer ungebührlichen politischen Einflussnahme kommt? Er lässt ausrichten, dass «sichergestellt» werde, dass die «gesetzlichen und reglementarischen Vorgaben» eingehalten würden. Keine Antwort gab es auf die Frage, was das genau bedeutet und wie die Einhaltung dieser Regeln gewährleistet wird. Fakt ist: Der Bankrat hört die verbliebenen Direktoriumsmitglieder an: Thomas Jordan und Andréa M. Maechler dürfen sich also zu den Kandidat:innen äussern. Keine Antwort kam auch auf die Frage, ob das Finanzministerium unter Ueli Maurer mitreden dürfe. Es wäre zumindest erstaunlich, wenn es zwischen dem Finanzdepartement und den Bankratsmitgliedern keinen Austausch gäbe.
Zweitens bleibt im Dunkeln, welche Kriterien angewendet werden, um eine geeignete Person für das SNB-Direktorium zu finden. Im Nationalbankgesetz steht einzig, dass die SNB-Direktoren einen «einwandfreien Ruf» haben müssen und «ausgewiesene Kenntnisse» in Finanzfragen. Zudem müssen sie einen Schweizer Pass besitzen und in der Schweiz wohnhaft sein. Zur Frage, welche darüber hinausgehenden Kriterien eine Rolle spielten, äussert sich der Bankrat nicht.
Der potenzielle Kandidat:innenkreis ist damit mindestens mehrere Dutzend Personen gross. Doch haben SNB-kritische Personen eine Chance, in die engere Auswahl zu kommen? Und welche Rolle spielt die politische Haltung einer möglichen Kandidatin, eines potenziellen Kandidaten? So kann man bloss spekulieren: Es ist kaum vorstellbar, dass jemand eine Chance hat, der oder die sich beispielsweise für die Initiative «Nationalbankgewinne für die AHV» ausgesprochen hat.
Drittens weiss die Öffentlichkeit nicht, ob der Bankrat bestrebt ist, für mehr Diversität im SNB-Direktorium zu sorgen. Dass es damit nicht zum Besten steht, zeigen die Zahlen: Seit die SNB im Jahr 1907 ihren Betrieb aufgenommen hat, schaffte erst eine Frau den Sprung ins SNB-Direktorium. Dass es auch in der Schweiz qualifizierte Frauen für das SNB-Direktorium gibt, ist unbestritten. Doch die Hürden sind für Männer ungleich tiefer angesetzt als für Frauen, das zeigt die Forschung: Die Eignung von Männern wird tendenziell überschätzt, diejenige von Frauen eher unterschätzt.
Diversität spiele bei der Nationalbank eine wichtige Rolle, sagt der Bankrat. Er bleibt allerdings die Antwort darauf schuldig, ob er Instrumente einsetzt, die einen etwaigen Gender-Bias im Auswahlverfahren korrigieren. Es darf nach der Nichtstellungnahme des Bankrats zu den Sexismusvorwürfen von 2020 zumindest bezweifelt werden.
Die Nationalbank bunkert sich ein
Vielleicht ist aber auch alles anders: Vielleicht gibt es eine institutionelle Abgrenzung des Bankrats gegenüber dem Finanzdepartement, wenn es um die Nominierung eines neuen Mitglieds für das SNB-Direktorium geht. Vielleicht gibt es einen explizit offen gestalteten Kriterienkatalog, der sagt: Es sollen auch und vor allem kritische Stimmen von ausserhalb der SNB eine Chance erhalten. Und vielleicht gibt es Mechanismen, die die Bevorzugung von Männern im Berufungsverfahren korrigieren. Doch auch das weiss allein der Bankrat.
Fabio Canetg hat an der Universität Bern und an der Toulouse School of Economics zum Thema Geldpolitik doktoriert. Heute ist er Dozent an der Universität Bern. Als Journalist arbeitet er für swissinfo.ch, die SRF Arena und die «Republik». Er moderiert den Podcast «Geldcast».
Das Wahlprozedere
Zuerst berät sich ein dreiköpfiger Bankratsausschuss über potenzielle Nachfolger:innen. Dieser unterbreitet dem Bankrat eine Auswahl. Darauf einigt sich der Bankrat auf einen Wahlvorschlag zuhanden des Bundesrats. Dann wählt dieser ein neues Mitglied ins SNB-Direktorium. Der Bundesrat ist dabei frei, also nicht an den Vorschlag des Bankrats gebunden.
Ein Abweichen vom Wahlvorschlag müsste der Bundesrat allerdings begründen; politisch wäre es ein Affront gegenüber der Nationalbank. Kein Mitspracherecht hat das Parlament.