Schweizerische Nationalbank: Undurchsichtig und passiv
Intransparenz, schwache Aufsicht, fragwürdige Anlagepolitik: Gewerkschaften und Klimaschützer:innen bezweifeln, dass sich mit dem neuen Präsidenten Martin Schlegel bei der SNB etwas ändert.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist so etwas wie ein Staat im Staat. Von ihren beiden repräsentativen Hauptsitzen am Bundesplatz in Bern und an zentraler Stelle in der Wirtschaftsmetropole Zürich aus lässt die SNB-Führung nach eigenem Gutdünken Geld drucken, legt den Leitzins fest und gibt den Banken Kredite. Sie handelt dabei ohne Weisung der Politik, primär der Preisstabilität und der Finanzstabilität verpflichtet, wie es im Gesetz heisst. Sie bestimmt so, ob Mieten steigen oder sinken, ob Kredite günstig oder teuer sind und in Krisenfällen, ob Banken gerettet werden oder untergehen.
Vergangene Woche hat der Bundesrat Martin Schlegel zum neuen Präsidenten des Direktoriums der SNB gewählt. Der 47-Jährige löst Thomas Jordan ab, der die Bank seit 2012 leitet. Mit Schlegel setzt die Regierung auf einen Insider, der an keinem anderen Ort Berufserfahrung gesammelt hat. Er trat 2003 direkt nach seinem Ökonomiestudium als Praktikant in die SNB ein und verfasste, während er dort arbeitete, seine Dissertation zur Geldpolitik der Nationalbank. Geprüft wurde sie unter anderem von Thomas Jordan.
Kritik aus der Wissenschaft
Ökonomieprofessor Yvan Lengwiler von der Universität Basel befasst sich seit langem mit Finanzpolitik und der Rolle der SNB. 2020 gründete er mit zwei Kollegen das sogenannte SNB Observatory, das seither immer wieder kritische Kommentare zur Nationalbank veröffentlicht. «Die SNB gilt praktisch als unantastbar. Es ist hierzulande schon fast unanständig, sie zu kritisieren. Staatspolitisch ist das nicht gut», sagt er. «Andere wichtige Institutionen lassen sich regelmässig von unabhängiger Seite begutachten, und diese Gutachten sind öffentlich. Die SNB macht das nicht.»
Lengwiler stört sich bei der Ernennung von Schlegel vor allem am Zeitpunkt: «Ich bin überrascht, dass der Bundesrat den Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission zum Untergang der Credit Suisse nicht abgewartet hat.» Denn Schlegel war, als die CS in Konkurs zu gehen drohte, bei der SNB für die Finanzstabilität und das Risikomanagement zuständig. Er war also direkt involviert, ohne dass seine Arbeit bislang bewertet werden konnte. «Ich behaupte nicht, dass Martin Schlegel einen Fehler gemacht hat, aber es bestand keine Eile mit der Ernennung. Das Direktorium hat Stellvertreter.»
Lengwiler sagt auch, die SNB sei bei der CS-Krise schlecht vorbereitet gewesen: «Sie hat es versäumt, mit der CS eine Vereinbarung zu treffen, welche die Bereitstellung von Sicherheiten garantiert hätte, um genügend Liquidität bereitstellen zu können. Stattdessen musste der Bundesrat mit Notrecht die Situation unter Kontrolle bringen.»
Kritik an der SNB kommt auch aus den Gewerkschaften. SGB-Chefökonom Daniel Lampart war selbst mehrere Jahre Mitglied des Bankrats der SNB, eines Aufsichtsgremiums, das zahnlos und ohne grossen Einfluss agiert. «Die SNB ist in der Zeit stehen geblieben», konstatiert Lampart. «Sie tut so, als ob ihre Entscheide alternativlos wären.» Wie Lengwiler kritisiert auch Lampart, dass die Nationalbank nicht transparent darlegt, wie sie zu ihren Entscheiden kommt. Mit der Ernennung Schlegels drohe es nun weiterzugehen wie bisher. «Der Bezug zu den Lebensrealitäten der Menschen im Land fehlt», sagt Lampart. Geldpolitik sei eben auch Politik und wirke sich auf das konkrete Leben aus. Lampart nennt als Beispiel die exportorientierte Maschinenindustrie, die aufgrund des starken Frankens seit zwanzig Jahren stagniere. «Nur wenige wagen es, die SNB deswegen zu kritisieren.»
Kein Sinn fürs Klima
Asti Roesle ist Kampagnenleiterin bei der Klimaallianz und beschäftigt sich mit der Anlagepolitik der SNB. Diese hat, um den Frankenkurs abzuschwächen, seit 2008 Hunderte Milliarden Franken gedruckt und in ausländische Aktien und Obligationen investiert. Rund 750 Milliarden Franken sind derzeit so angelegt. Was Roesle und viele Klimaaktivist:innen stört: Die SNB kauft auch im grossen Stil Wertpapiere von fossilen Unternehmen wie Exxon Mobil oder Shell (siehe WOZ Nr. 24/22). Darüber hinaus legt sie auch Geld in der Waffenindustrie an (siehe WOZ Nr. 16/23). Die Bank bildet mit ihren Anlagen ab, was in den grossen Indizes auftaucht, «passive Anlagestrategie» nennt sich das. Roesle stellt zwar fest, dass die SNB in den vergangenen Jahren das Thema Klima «ernster» nehme. «Es befassen sich sichtlich mehr Leute damit», sagt sie. Aber: «Es kam bisher nichts Substanzielles dabei heraus. Sie sind stur.» Die SNB rechtfertigt ihre Investments in der fossilen Industrie mit den «Normen und Werten» der Schweizer Bevölkerung, die ja immer noch im grossen Stil Öl und Gas verbrauche.
Die Klimaallianz fordert mehr Transparenz bei den Anlagen, aber auch einen klaren Plan, wie die Nationalbank Druck auf klimaschädliche Unternehmen machen oder ihr Geld ganz aus diesen abziehen kann. Auch soll sich die SNB stärker um einen nachhaltigen, «zukunftsfähigen Finanzplatz» kümmern.
Ob sich mit Martin Schlegel etwas ändert? Bei seiner Vorstellung durch den Bundesrat vermied er stoisch jede konkrete Aussage, die über das allgemeine Bekenntnis zur Preisstabilität hinausging. So bleibt der Eindruck: Es bleibt alles, wie es ist.