Österreich: «Sie zogen Zwölfjährige von den Bäumen»
Trotz Stürmen, Polizei, einem Brandanschlag und sozialdemokratischen Einschüchterungsversuchen wehrt sich die Wiener Bewegung für Klimagerechtigkeit weiterhin gegen eine neue Autobahn. Der geplante Ausbau bedroht auch den Nationalpark Donau-Auen.
Sturm peitscht am späten Vormittag des 7. Februar über den Schlosspark in der Anfanggasse. Mächtige Bäume wiegen sich im Wind. Dazwischen, geduckt und festgezurrt, Zelte und eine Jurte. Bei dem Wetter ist keiner draussen. Man möchte nicht glauben, dass sich hier das Epizentrum der Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung befindet. Hier, das ist der zum 22. Wiener Gemeindebezirk gehörende Ortsteil Hirschstetten, am Rand der Grossstadt. Wer kurz die Augen schliesst, glaubt, auf dem Land zu sein, würde der Sturm nicht auch den durch Tausende Lkws und Autos verursachten Lärm der nahe gelegenen Autobahn S2 herübertragen, deren Ausfahrt Hirschstetten nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt liegt.
Zwischen Autobahnausfahrt und Schlosspark liegt ein struppiges Feld. Auch hier standen noch bis vor einer Woche Bäume. Dann kamen Forstarbeiter:innen, Erntemaschinen und die Polizei. 400 Bäume in Hirschstetten und dem als «Hausfeld» bekannten Teil der Donaustadt, so der Name des 22. Bezirks, wurden am 1. Februar gefällt. Jetzt sind von ihnen nur noch einige Stümpfe zu sehen. Die restlichen Spuren der generalstabsmässig geplanten Kommandoaktion wurden innerhalb kürzester Zeit beseitigt. Doch wer genau hinschaut, mag die knapp über drei Kilometer lange Schneise erkennen, die hier geschlagen wurde. Und vielleicht fallen einer zufällig vorbeikommenden Betrachter:in farbige Transparente auf, die in den Wipfeln jener Bäume hängen, die das Kettensägenmassaker vorerst überlebt haben. «Rettet mich», steht auf ihnen geschrieben, kahl strecken sie ihre Äste in den Hirschstettener Winterhimmel, am Rand von isoliert stehenden kommunalen Wohnbauten aus den sechziger Jahren.
Hirschstetten ist auch eine Wohngegend von Arbeiter:innen. Und genau hier soll, geht es nach dem Willen der sozialdemokratisch regierten Stadt Wien, der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung, in den kommenden Jahren die sogenannte Stadtstrasse entstehen und vorbeiführen, wenn auch teilweise untertunnelt. Die vor Ort aktive Initiative «Hirschstetten retten» spricht deshalb auch von einer geplanten «Autobahn durch das Kinderzimmer».
Denn Hirschstetten ist eine Wohngegend, die im Autoverkehr erstickt, der sich zu Stosszeiten von der Autobahnausfahrt aus über die Süssenbrunner Strasse durch das Wohngebiet stadteinwärts Richtung Wien ergiesst. Zwar existieren seit einigen Jahren am Rand des Ortsteils zwei U-Bahn-Stationen – Aspernstrasse und Hausfeldstrasse –, doch insgesamt wurde die Donaustadt für das Auto gebaut. Den abgas- und lärmgeplagten Anrainer:innen hat die Wiener Stadtregierung ein Heilsversprechen gemacht. Gegen die Blechlawine helfe, heisst es aus dem Rathaus, eine weitere, neue vierspurige Autobahn. Zehntausende junge Menschen, die sich im Grossraum Wien zur Klimagerechtigkeitsbewegung bekennen, und eine Reihe von bereits fast zwanzig Jahre aktiven Bürger:inneninitiativen können diesem Versprechen nichts abgewinnen.
Im vergangenen Sommer errichteten sie nicht nur ein dauerhaftes, als Kundgebung angemeldetes Zeltlager im Schlosspark an der Anfanggasse, sondern besetzten auch zwei Baustellen der «Stadtstrasse». Es war somit angerichtet für einen Konflikt, der in den vergangenen Monaten zu einer erbittert geführten politischen Auseinandersetzung gewachsen ist. Am 1. Februar liess die Stadt Wien nicht nur 400 Bäume entlang der geplanten Route fällen, auch eine der Baustellenbesetzungen wurde an jenem Tag gewaltsam, unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, unterstützt von der Berufsfeuerwehr, geräumt.
Ein Orden für den Brandstifter
Trotz Wind und Wetter herrscht Leben im Camp in der Anfanggasse. Eine junge Frau öffnet eine Zeltplane und bittet herein. Es ist Lucia Steinwender. Sie ist eine der Sprecher:innen der hier entstandenen Bewegung und eines ihrer prägenden Gesichter. Seit der Räumung der «Wüste» genannten Baustellenbesetzung an der Hausfeldstrasse vergangene Woche hat sie kaum eine Minute Ruhe gehabt. 48 Leute seien im Lauf der Räumung verhaftet worden, erzählt sie. Die allermeisten von ihnen hätten 24 Stunden in Polizeigewahrsam verbracht, auch weil viele ihre Identität nicht preisgegeben hätten. Es sei zu Schikanen gekommen, immer wieder sei das Licht in den Zellen angemacht, die Leute willkürlich aufgeweckt worden. «Wir müssen wegen dieser Repression viel auffangen. Es sind Zwölfjährige von Bäumen gezogen worden, am Donnerstag ist die Polizei bei einer sechzehnjährigen Aktivistin aufgetaucht, nur um einzuschüchtern.» Doch nicht nur Repression habe den Tag bestimmt: «Es gab viele Momente der Gegenwehr, wie ich sie lange nicht erlebt habe. Menschen haben spontan Bagger blockiert, sind auf Bäume geklettert und haben Bauzäune niedergerissen», so die Aktivistin und Bewegungssprecherin. Eine weitere Baustelle in der Nähe der Autobahnausfahrt Hirschstetten sei immer noch besetzt, Tausende hätten gegen die Räumung demonstriert, es gebe eine grosse Widerständigkeit, und der Kampf sei alles andere als vorbei, ist ihr wichtig zu betonen.
Lucia Steinwender wurde durch die massenhaften Aktionen von «Ende Gelände» in einem deutschen Braunkohlerevier ermutigt, zur Klimagerechtigkeitsbewegung zu stossen. «Diese Aktionen und die Idee, an den Ort der Zerstörung zu gehen, haben mich beeindruckt», sagt Steinwender, die sich heute in der Gruppe «System Change, not Climate Change!» engagiert. Lange hätten deren Aktionen in Wien einen eher symbolischen Charakter gehabt, durch den drohenden Autobahnbau werde es nun aber konkret. «Hier wird gerade eine ganze Generation junger Menschen radikalisiert. Solange die ‹Fridays for Future›-Demos nur einen symbolischen Charakter hatten, wurden sie von der Stadtregierung bekuschelt. Jetzt hat die Bewegung begonnen, sich gegen ein von der Stadt gewolltes fossiles Grossprojekt zu wehren. Und nun sehen wir, mit welcher Vehemenz wir bekämpft werden, sobald wir uns nur etwas in den Weg stellen.»
Tatsächlich waren die vergangenen Wintermonate eine intensive, teils harte Zeit für die Baustellenbesetzer:innen, die Camper:innen im legalen Basislager und deren in ganz Wien verteilte Unterstützer:innen. Das lag zum geringsten Teil an Kälte, Regen oder dem – aufgrund der Klimaerhitzung seltener gewordenen – Schnee. In der Vorweihnachtszeit verschickte die im Auftrag der Stadt Wien agierende Anwaltskanzlei des SPÖ-Justizsprechers Hannes Jarolim Klagedrohungen an Dutzende Personen, die dem Umfeld der Wiener Klimabewegung zugerechnet werden. Derartige Briefe, in denen eine «mentale Unterstützung» der Besetzungen unterstellt wurde, erhielten Aktive von Bürger:inneninitiativen, Personen, die öffentlich ihre Sympathie für die Bewegung bekundet hatten, aber auch Wissenschaftler:innen, die zu Verkehrspolitik forschen, Künstler:innen und minderjährige Jugendliche, die nun ihren Eltern erklären mussten, wieso sie mit einer potenziell millionenschweren Klage bedroht wurden. Unklar ist bis heute, nach welchen Kriterien die Empfänger:innen dieser Drohbriefe ausgewählt wurden. Die österreichische Sektion von Amnesty International protestierte jedenfalls scharf dagegen und sprach von sogenannten «Slapp-Klagen», also Klagen, die ausschliesslich der Einschüchterung einer demokratischen sozialen Bewegung dienen sollen.
Und dann, in der Nacht zum 31. Dezember 2021, ein Brandanschlag: Ein Holzturm in der Octopussys Garden getauften Baustellenbesetzung in der Hirschstettener Strasse nahe der Autobahneinfahrt brannte innerhalb weniger Minuten komplett ab. Acht Jugendliche hielten sich in der von vielen Helfer:innen errichteten Struktur auf, als das Feuer aufflackerte. Eine Aktivistin wird später in einem Gedächtnisprotokoll von einer «plötzlichen Helligkeit» schreiben: «Wir bahnen uns den Weg an den Flammen vorbei. Wir wissen, dass es Benzin ist», beschreibt sie die folgenden Momente. «Ich denke nicht, ich handle im Schock, dankbar für das Adrenalin, dass mich in dieser Situation fähig zu handeln macht. Ich bin panisch.» Ihre Schlussfolgerung: «Hätten wir geschlafen oder wären weniger aufmerksam gewesen, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben.» Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf Brandstiftung – bislang ergebnislos.
Die auf den Anschlag folgenden Reaktionen aus den Reihen der in Wien gemeinsam mit der liberalen Partei NEOS regierenden Sozialdemokratie waren gemischt. So lehnen deren Jugendorganisationen Sozialistische Jugend und Junge Generation den Autobahnbau ab. Claudia O’Brien, Bundesvorsitzende der Jungen Generation und Klubvorsitzende der SPÖ im Wiener Bezirk Alsergrund, verbrachte nach dem Brandanschlag eine Nacht unter den Besetzer:innen des inzwischen polizeilich geräumten Camps bei der U2‑Station Hausfeldstrasse. Anders die Reaktion von Bürgermeister Michael Ludwig. Der diktierte am Tag nach dem Anschlag den Medien der österreichischen Bundeshauptstadt in die Mikrofone, der Anschlag zeige vor allem, dass «rechtsfreie Räume» – er meinte die Besetzungen – «nicht vorteilhaft» seien. Noch deutlicher wurde der ehemalige SPÖ-Sektionschef der Donaustadt, Herbert Steyrer, der auf Facebook einen «Orden für den Täter» forderte.
Sehnsuchtsort der Wiener:innen
Wer die von grossen Teilen der Wiener SPÖ-Führungsriege gegenüber den Aktivist:innen zur Schau gestellte Empathielosigkeit und die Vehemenz verstehen möchte, muss von Hirschstetten aus einige Kilometer südostwärts schauen. Dort liegt, eingerahmt von Raffinerien, einem unter den Nazis durch Zwangsarbeit errichteten Zentraltanklager, dem Wiener Flughafen und dem Alberner Hafen – Umschlagplatz für jedes fünfte in Österreich verkaufte Auto – die Lobau. Die Lobau, das ist der westlichste Teil des bis vor die Tore Bratislavas reichenden Nationalparks Donau-Auen. Die Lobau, auch als «Dschungel» der Hauptstadt bezeichnet, ist ein Sehnsuchtsort vieler Wiener:innen. Vieles kommt in dieser Auenlandschaft zusammen. Da ist der im Nationalsozialismus begonnene Donau-Oder-Kanal, der nie fertiggestellt wurde und heute als Badesee dient, im Schatten der den nahen Flughafen ansteuernden Flugzeuge. Da ist der eineinhalb Kilometer lange unterirdische Ölsee, der aufgrund der Bombardierung des Zentraltanklagers im Zweiten Weltkrieg entstanden ist, eine bis heute problematische Altlast. Erst im Jahr 2009 wurden Dichtwände errichtet, die das von der Stadt Wien genutzte Trinkwasserreservoir vor einem Eindringen des Öls schützen. Und nicht zuletzt ist die bis heute bestehende ökologische Bedeutung dieser Landschaft zu erwähnen, die als Teil des Nationalparks ein einzigartiges «grünes Band» bildet, die grösste zusammenhängende, weitgehend intakte Auenlandschaft Europas, Heimat für 33 Säugetier- und rund 100 Brutvogelarten.
Und es ist eine Landschaft, die Ort sozialer Widerständigkeit war und ist. Zu Zeiten der K.-u.-k.-Monarchie wilderten hier verarmte Bevölkerungsschichten in kaiserlichen Jagdgründen. In der Zwischenkriegszeit bauten Erwerbslose in Eigeninitiative illegale Siedlungen und zeigten Ansätze einer selbstorganisierten Alternative zu den Reglementen des Roten Wien. Und in den siebziger Jahren erwachte genau hier Österreichs Umweltbewegung zum Leben, deren bisherigen Höhepunkt die Besetzung der Hainburger Au im Jahr 1984 darstellte. Hunderte blockierten damals in bitterer Winterkälte den Bau eines Wasserkraftwerks und legten damit den Grundstein für die spätere Nationalparkgründung. Heute drohen der Lobau neue Begehrlichkeiten. Der Wohnbau der Stadt Wien rückt immer näher an die Auenlandschaft heran. Austrocknung aufgrund der durch die Donauregulierung ausbleibenden Überflutungen ist ein wachsendes Problem. Und dann ist da noch die neunzehn Kilometer lange geplante Lobauautobahn, auch bezeichnet als S1-Ostumfahrung, die die Lobau von Süd nach Nord untertunneln soll.
Eine, die seit vielen Jahren gegen diese Pläne ankämpft, ist Jutta Matysek von der Initiative «Rettet die Lobau». Sie ist eine Veteranin der österreichischen Umweltbewegung, war schon bei der Hainburgbesetzung dabei. Heute ist sie aktive Unterstützerin der Baustellenbesetzungen in Hirschstetten, denn: «Die Stadtstrasse ist als Zubringer für den Lobautunnel geplant.» Und tatsächlich: Laut den von der österreichischen Autobahnbetreibergesellschaft ASFINAG veröffentlichten Plänen soll die Stadtstrasse einmal in einem Autobahnkreuz enden, das einen Knoten zur Lobauautobahn und der ebenfalls schon lange geplanten Marchfeldautobahn bilden soll. Pikantes Detail: Der Autobahntunnel soll just jene Trennwände anbohren, die seit 2009 den Ölsee einhegen. «Es droht ein Einsickern des Öls in das Grundwasser, auch weil wir uns hier im Schwechater Tief befinden, einer aktiven Erdbebenregion», so Matysek.
Autobahnprojekte gestoppt …
Nur sind seit dem vergangenen Jahr sowohl die Marchfeldautobahn als auch die Lobauautobahn eigentlich Geschichte. Denn am 1. Dezember verkündete die grüne österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler das Aus für zahlreiche vom Bund geplante Autobahnprojekte. Sie fielen einem sogenannten Klimacheck zum Opfer, seien im Zeichen der Klimakrise nicht mehr zeitgemäss und jungen Generationen nicht vermittelbar, so die Klimaministerin. Für das Erreichen der Klimaziele brauche es zwingend eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs in Österreich. Im Hinblick auf die zur Lobauautobahn führende Stadtstrasse sagte Gewessler allerdings auch, dass der Bund seinen Verpflichtungen nachkommen werde, sollte die Stadt Wien auf dem Bau der Stadtstrasse bestehen. Damit spielt Gewessler auf die Zweiteilung der Stadtstrasse an – ein Teil soll von der Stadt Wien, ein anderer vom Bund gebaut werden. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig reagierte auf die Ankündigung verärgert und sagte den Medien, er fühle sich «gepflanzt», also auf den Arm genommen, denn ohne Lobauautobahn würde die Stadtstrasse ja «mitten im Nirwana enden».
Dennoch rollen inzwischen die Bagger auf dem Gelände der ehemals besetzten Baustelle in der Hausfeldstrasse. Eine Bietergemeinschaft, bestehend aus Österreichs grössten, transnational tätigen Baukonzernen Porr und Strabag, wurde für 150 Millionen Euro mit den Bauarbeiten beauftragt. Damit dies möglich wurde, hat die Stadt Wien in den vergangenen Monaten mächtig Druck entwickelt. Auf Pressekonferenzen wurde eine Verbindung zwischen der geplanten Strasse und dem Wohnbau im Bezirk Donaustadt hergestellt. Letzteren könne es ohne Stadtstrasse nicht geben, dies sei gesetzlich festgeschrieben. «Das ist eine von der Stadt Wien künstlich geschaffene Situation, die mit einem neuen Umweltverträglichkeitsverfahren jederzeit zurückgenommen werden könnte», sagt Matysek. «Die Stadt Wien hat die Verknüpfung des Autobahnbaus mit dem Wohnbau im Umweltverträglichkeitsverfahren für die Stadtstrasse selber so hergestellt, sie kann das auch selber beenden.»
Kritisiert wird diese Zweckbindung auch von der an der Technischen Universität Wien arbeitenden Verkehrswissenschaftlerin Barbara Laa, die wie auch Matysek und Steinwender eine Klagedrohung der Stadt Wien erhalten hat, verschickt an die Adresse ihrer Mutter, an der sie seit Jahren nicht mehr gemeldet ist. «Für die Stadt Wien war das ein einziges PR-Desaster», so Laa. Die Stadtstrasse hält sie für ein Relikt aus einer Zeit «autozentrierter Verkehrspolitik». Heute brauche es «integrierte Verkehrskonzepte», was im Fall der Donaustadt und anderer Wiener Aussenbezirke auch einen Ausbau der Querverbindungen im öffentlichen Nahverkehr bedeute. Genau dies werde durch die Stadt jedoch blockiert, etwa indem der Ausbau von Strassenbahnlinien ebenfalls an den Bau der Stadtstrasse gebunden werde.
… und trotzdem nicht vom Tisch
Jutta Matysek vermutet jedenfalls, dass mit dem Bau der Stadtstrasse Fakten geschaffen werden sollen, um den Bau der Lobauautobahn doch noch zu erzwingen. Denn diese habe für die Stadt und für österreichische Wirtschaftsverbände eine strategische Bedeutung. «Mit der Lobauautobahn wird Wien an das transeuropäische Verkehrsnetz TEN 25 vom Mittelmeer nach Danzig angeschlossen. Es geht hier also nicht um eine Verkehrsentlastung für Wien oder die Donaustadt, wie immer behauptet wird, sondern darum, internationalen Schwerverkehr nach Wien zu führen.»
Eine Verschwörungstheorie ist das nicht. Offizielle Dokumente aus dem Umfeld der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer sprechen dafür eine zu deutliche Sprache. So veröffentlichten die beiden im Januar 2022 eine sogenannte Zukunftsvereinbarung. Darin wird unter der Überschrift «Stadtentwicklung und Verkehr» gleich im ersten Satz unumwunden festgehalten: «Auch Strassenprojekte bilden zentrale Adern der Stadt. Als zentrale regionale Infrastruktur für den Güterverkehr und als Anbindung der Wiener Betriebsgebiete ist der Strassenbau als vollwertige Infrastruktur weiterzuentwickeln.» Dafür seien in den nächsten Jahren Stadtstrasse und Lobauautobahn von Bedeutung, um einen «Regionenring» fertigzustellen. Dieser wäre «mit dem Abschluss des Projekts S1/Lobautunnel komplett». Der von Umweltministerin Gewessler verfügte Baustopp wird hier mit keinem Wort erwähnt.
Diese «Zukunftsvereinbarung» ist nur das jüngste Beispiel langjähriger Lobbytätigkeiten für den Autobahnausbau, organisiert auch über das Büro des bei der Wirtschaftskammer Wien angesiedelten «Standortanwalts» Alexander Biach. Im Dezember 2020 schrieb er eine Stellungnahme für das Umweltverträglichkeitsverfahren der Lobauautobahn. Darin heisst es: «Eine leistungsstarke Verkehrsinfrastruktur wie die S1 ist eine Voraussetzung für die Ansiedlung von grösseren Gewerbebetrieben, die sich ohne eine derartige Anbindung hier nicht niederlassen.»
Dazu passt, dass der Flughafen Wien, der direkt neben der Lobau liegt, Ende Dezember 2021 voller Stolz die Ansiedlung eines neuen, 70 000 Quadratmeter grossen Logistikzentrums feierte. Der Flughafen sei dafür aufgrund seiner «direkten Anbindung an die Autobahn» ein «Top-Standort». Da ist es nur folgerichtig, dass ausgerechnet der Flughafen von der Stadt Wien den Zuschlag für die Baustellenaufsicht für die Stadtstrassenbaustelle am Hausfeld in der Donaustadt bekommen hat. Die Wiener Klimagerechtigkeitsbewegung darf sich durchaus «gepflanzt» fühlen, wie Bürgermeister Ludwig wohl sagen würde.