Literatur: Warum schreien nur so wenige?

Nr. 11 –

Vom glühenden Krieger zum Friedensaktivisten, den niemand hören will: Yigal Ben Dror steht im Zentrum von «Was wäre wenn», dem neuen Roman der israelischen Autorin Lizzie Doron. Yigal ist die Jugendliebe der Ich-Erzählerin Lizzie. Als sie ihn besucht, sehen sie sich erstmals wieder seit vierzig Jahren, zugleich wird es das letzte Mal sein: Yigal liegt todkrank in einem Sterbehospiz.

Bei Lizzie löst der Besuch Erinnerungen an den Sinai-Krieg aus, den sie 1956 als Dreijährige erlebt. Gut zehn Jahre später schwänzt sie mit Yigal die Schule, um in Jerusalem den Sieg im Sechstagekrieg zu feiern: «Wie Tempelritter laufen wir dort herum, hoch erhobenen Hauptes und stolz, durch die Gassen der gerade eroberten Stadt.» Nach der Militärausbildung kämpft Yigal im Jom-Kippur-Krieg, 1974 gerät er in Kriegsgefangenschaft. Bei der ersten Begegnung danach weist er Lizzies Umarmung zurück: «Das geht nicht, wegen der Narben, die haben mir die Haut abgeschält.» Zwischen diesen Erinnerungen kehrt die Erzählerin immer wieder in die Gegenwart zurück.

Die zweite zentrale Figur neben Yigal, die in Lizzies Erinnerungen auftaucht, ist ihre Mutter. Sie kritisiert die Kriegslust der Jüngeren und verkündet, dass auch der Sieg nach Tod rieche. Als Holocaust-Überlebende trägt sie schreckliche Erinnerungen mit sich herum, denen Lizzie als junge Frau jedoch mit Spott begegnet. Dies ändert sich erst später: «Zum ersten Mal kommt mir in den Sinn, dass mein ganzes Leben lang viele Menschen um mich waren, die etwas Schreckliches über diese Welt wussten. Aber nur sehr wenige von ihnen haben sich entschieden zu schreien.» Eine davon ist Lizzies Mutter. Und auch Yigal schreit, in unzähligen Antikriegsbotschaften, die später in Lizzies Briefkasten landen.

Wie zuletzt schon in «Who the Fuck Is Kafka» (2015) und «Sweet Occupation» (2017) erzählt Lizzie Doron auch hier von einer Existenz in Israel zwischen Frieden und Krieg – in schlichter, einfühlsamer Sprache, angelehnt an ihre eigene Biografie.

Lizzie Doron: Was wäre wenn. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. dtv Verlag. München 2021. 144 Seiten. 28 Franken