Rebell:innenrätsel: Der lästige Kriegsversehrte

Nr. 11 –

Er hatte Tuberkulose und wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit für seine Vision von einem Bündnis freier Völker, vom Ende des Weltimperialismus blieb. Die Schwarzen – er benutzte das Wort «Nègres» stolz mit grossem N – hätten lange geschlafen, erklärte er, aber einmal aufgewacht, schliefen sie nicht wieder ein. Er rüttelte viele wach. Für den Geheimdienst war er schnell ein «krimineller Propagandist».

1889 im senegalesischen Küstenort Joal geboren, besuchte der Bauernsohn nie eine reguläre Schule. Französisch lernte er wohl erst, als er nach Dakar, in die Hauptstadt Französisch-Westafrikas, aufbrach und sich bei einer französischen Handelsgesellschaft als Laufbursche verdingte. Damals glaubte er noch, dass die Kolonialherren die Zivilisation brächten, zog – wie Hunderttausende Westafrikaner – für das «Mutterland» in den Weltkrieg. Vor Verdun verätzte Giftgas seine Lungen.

Danach wurde ihm allmählich klar, dass die Schwarzen nur Kanonenfutter waren, dass sie keine gleichen Rechte erlangen und von der «Zivilisierungsmission» Frankreichs nicht profitieren würden. Er liess sich in Paris nieder, arbeitete als Postbote und engagierte sich in der noch jungen kommunistischen Partei PCF. Bis er merkte, dass die Genoss:innen nur das französische Proletariat im Fokus hatten. Dabei war die Ausbeutung von Menschen doch nirgendwo offensichtlicher als in den Kolonien.

1926 gründete er das Comité de défense de la race nègre, tourte durch französische Häfen, wo er an die Solidarität aller Unterdrückten appellierte und für ein selbstbewusstes Auftreten der «race nègre» warb. Bei seiner Agitation war der als «Befreier vom kolonialen Joch» Gefeierte so erfolgreich, dass sich auch in Westafrika etliche «comités de défense» gründeten. Die französischen Behörden wussten nicht mehr, ob sie ihn auf dem Kontinent im Auge behalten oder nach Senegal abschieben sollten.

Den letzten grossen Auftritt hatte er 1927 am Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus, der unter der Schirmherrschaft Albert Einsteins in Brüssel stattfand und Delegierte aus 37 Staaten und Kolonien versammelte. Acht Monate später starb er mit nur 38 Jahren.

Wer war der erst Anfang der achtziger Jahre wiederentdeckte Politaktivist, der im Kampf gegen den internationalen Kapitalismus dem Klassenbewusstsein ein Schwarzes Bewusstsein an die Seite stellte?

Wir fragten nach dem senegalesischen Politaktivisten Lamine Senghor (1889–1927). Er schrieb für die von Ho Chi Minh gegründete Monatszeitschrift «Le Paria» in Paris und gab später «La Voix des Nègres» heraus sowie «La Race Nègre», die meistgelesene und -vorgelesene Zeitung unter den afrikanischen Arbeiter:innen Frankreichs und des Senegal. 1927 erschien sein viel beachtetes Buch «La violation d’un pays« («Die Vergewaltigung eines Landes»), in dem er die Geschichte des europäischen Kapitalismus in Afrika skizzierte, vom Sklavenhandel bis zum Kolonialismus. Mit Léopold Senghor, dem ersten Präsidenten des seit 1960 unabhängigen Senegal, ist er nicht verwandt.