Kost und Logis: Todgeweihte Helden

Nr. 13 –

Karin Hoffsten über die Rückkehr eines entsetzlichen Weltbilds

Bis jetzt habe ich nie bewusst darüber nachgedacht, dass der Titel dieser Rubrik – «Kost und Logis» – die Grundlagen menschlicher Existenz benennt: Ohne Essen und einen geschützten Schlafplatz ist alles nichts.

Ich gehöre zur privilegierten Generation, die immer beides hatte und ernsthaft glaubte, selbst keinen Krieg mehr erleben zu müssen. In meiner Kindheit war der Zweite Weltkrieg noch sehr präsent – dieser Mann war «gefallen», jene Familie wurde «ausgebombt» –, doch für die Erwachsenen schien er abgeschlossen und für immer vorbei.

Wenn überhaupt, erzählten sie Anekdoten, die eher abenteuerlich als beängstigend klangen, Aufklärung gab es nicht, nirgends, mein Geschichtsunterricht endete vor dem Ersten Weltkrieg. Dass meine Mutter auf einem Foto im Familienalbum mitten im Zweiten Weltkrieg als Teil eines deutschen medizinischen Teams gut gelaunt vor den Trümmern von Kiew stand, war für mich einfach so. Meine Familie gehörte nicht zu den Opfern.

Ein Krieg sei vermutlich die grösste Katastrophe, die in einem Menschenleben passieren könne, sagte Nils Melzer im «Club», und Krieg war und ist ja immer irgendwo. Die Frage, wie man eine solche Traumatisierung jemals verarbeiten kann, verfolgt mich, seit ich meiner jugendlichen Unbedarftheit entwachsen konnte. Und sie stellt sich ebenso bei Menschen, die vielleicht nicht direkt aus einem Kriegsgebiet kommen, aber seit Jahren unter furchtbaren Bedingungen hinter Stacheldraht eingepfercht werden, weil ihnen zum Vorwurf gemacht wird, dass sie es wagten, prekären Lebensumständen entfliehen zu wollen.

Mein kindliches Weltbild bevölkerten vorrangig heldenhaft kämpfende Männer, die Naturkatastrophen oder Feinden trotzten; auch ich wäre gern männlich und mutig gewesen, befürchtete aber, dass ich – unsportlich und kurzsichtig – noch nicht mal eine Flucht erfolgreich hingekriegt hätte.

Heute droht allen Ernstes die Rückkehr dieser Sicht auf die Welt. Plötzlich gehts wieder um Waffensysteme und militärische Stellungen, wie damals, als Opa auf dem Wohnzimmertisch Zinnsoldaten aufbaute. Der männliche Held ist wieder wer, und die Frage, ob er für sein Vaterland zu sterben bereit sei, darf wieder gestellt werden. Politiker:innen werden höhnisch aufgefordert, ihren Pazifismus zu erklären, und im «Spiegel» fragte ein Kommentator: «Männlichkeit in Zeiten des Krieges: zu weich für die neue Wirklichkeit?»

Gegen ein Machtsystem wie das putinsche helfe doch das woke, vegane und nachhaltige Getue nichts – jetzt brauche man wieder «echte» Männer; dabei entspringt ja das aktuelle Abschlachten genau diesem enthemmten Wahn. Dass sich jetzt ukrainische Väter von Frau und Kindern, Söhne von ihren Eltern unter Tränen verabschieden müssen, zeigt nur, dass auf Dauer kein Weg an der Erkenntnis vorbeiführen wird: Die sogenannt toxische Männlichkeit tötet alle. Frauen und Männer.

Karin Hoffsten hätte ihre Mutter gern über deren Rolle im Krieg befragt, doch für ein solches Gespräch starb diese zu früh.