Sri Lanka: Für alle einen Regenschirm

Nr. 34 –

Die Situation der Kriegsvertriebenen ist noch prekärer geworden. Heftiger Regen hat letzte Woche einen Teil der militärisch abgeriegelten Internierungslager überschwemmt. Dabei hat der Monsun noch nicht einmal begonnen.


Am Samstagnachmittag goss es um die sri-lankische Stadt Vavuniya während Stunden wie aus Kübeln: Schon bald standen die Tausende von Zelten in den mit Stacheldraht umzäunten Internierungslagern im Matsch. Hier sind gemäss Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR über 246 000 Kriegsvertriebene untergebracht. Die Toiletten quollen über, fast 2000 Behausungen wurden beschädigt oder zerstört, Tausende Menschen mussten umplatziert werden. «Wenn s chon drei oder vier Stunden Regen so ein Chaos verursachen, ist kaum auszudenken, was beim Eintreffen des Monsuns geschehen wird», sagte David White, Sri-Lanka-Verantwortlicher der Hilfsorganisation Oxfam gegenüber der «New York Times».

Regierung drückt sich

Seit Wochen warnen internationale Hilfswerke vor den Monsunregen. Die provisorischen Flüchtlingsunterkünfte seien nicht darauf ausgerichtet. In Sri Lanka startet der Monsun normalerweise Mitte September. Die schwersten Niederschläge gibt es zumeist im Oktober und November. Das Risiko von Wirbelstürmen ist im November und Dezember am grössten.

Um Platz für die Internierungslager zu schaffen, hatte die Regierung Teile eines Regenwaldes roden lassen. Der Boden wird bei Regen sofort zu Schlamm. Die Zufahrtswege sind nicht asphaltiert, das wird in der Regenzeit die Versorgung mit Nahrungsmitteln wohl noch weiter erschweren. Ursprünglich plante die Regierung ein Drainagesystem zu bauen, damit das Regenwasser abfliessen kann. Im Juni liess sie jedoch das UNHCR wissen, dass sie dazu nicht in der Lage sei und auf dessen Unterstützung zähle. In einem der WOZ vorliegenden Arbeitspapier des UNHCR heisst es dazu, «die internationale Gemeinschaft war nicht darauf vorbereitet, eine so grosse Verantwortung zu übernehmen». Die jetzt von den Hilfswerken begonnenen Drainagearbeiten könnten bei grossen Regenfällen den Schaden allenfalls etwas verringern. Das UNHCR will jeder Familie in den Lagern einen oder zwei Plastikbehälter zur trockenen Essensaufbewahrung abgeben, und – «falls das nötige Geld zur Verfügung steht» – je einen Regenschirm.

Wie Kriegsverbrecher behandelt

Die Regierung hatte im Frühling, gegen Ende des Krieges mit der tamilischen Befreiungsorganisation LTTE, einen grossen Teil der Bevölkerung im Norden des Landes evakuiert. Viele wurden in die Lager um Vavumya gesperrt. Sie werden dort, so sagt es die sri-lankische Menschenrechtlerin und Rechtsanwältin Nimalka Fernando, «nicht wie Kriegsopfer, sondern wie Kriegsverbrecher behandelt». Medien haben keinen Zutritt zu den Lagern.

Über die Lebensumstände der mehreren Tausend gefangenen LTTE-KämpferInnen und ihrer angeblichen UnterstützerInnen ist kaum etwas bekannt. Sie sollen in «Speziallagern» unter Plastikplanen leben und nur mit Wasser und Brot ernährt werden, ist aus Hilfswerkskreisen zu vernehmen, die dort jedoch keinen Zugang haben.

Doch auch die Lager von Vavumya sind für die nicht frei zugänglich. HilfswerksmitarbeiterInnen, die mit einem Passierschein beim Wachpersonal erscheinen, seien deren Willkür ausgesetzt und werden gelegentlich abgewiesen, ist zu hören. Dem Kinderhilfswerk Terre des hommes (Tdh) blieb bislang der Zugang zu den Internierten verwehrt. Es konnte lediglich Latrinen für neue Lager erstellen. Eine Bewilligung, um in den Lagern mit den Kindern zu spielen, damit diese ihre Kriegstraumata verarbeiten könnten, steht immer noch aus. «Der Grund liegt wohl darin, dass wir vor allem Tamilen bei der Kinderbetreuung beschäftigen», sagt der Tdh-Delegierte Marcel Reymond. Die Organisation hatte die TamilInnen nach der Tsunami-Katastrophe von 2004 ausgebildet und in den damaligen Auffanglagern eingesetzt.

Frühstück am Abend

Die Ärztehilfsorganisation Médecins Sans Frontières (MSF) kann ihre Notspitäler nur ausserhalb der umzäunten Lager betreiben. Innerhalb der Lager praktizieren meist Ärzte aus Sri Lanka selber. Diese seien, so Reymond, zumeist keine TamilInnen, sondern stammten aus der singalesischen Bevölkerungsgruppe. Viele verstünden kein Tamilisch und hätten oft Mühe, diejenigen, die einen Spitalaufenthalt benötigten, in eine Klinik zu überweisen. Ein Team von MSF aus den Niederlanden hat dagegen Zugang zu elf Lagern und kann dort Kindern unter fünf Jahren, Schwangeren, stillenden Müttern und älteren Menschen täglich eine energiereiche Mahlzeit abgeben. Diejenigen, die von der MSF-Hilfe nicht profitieren könnten, müssten teilweise den ganzen Tag ohne Essen auskommen, schreibt MSF auf ihrer Website. In einigen Lagern gebe es manchmal erst um zehn Uhr abends eine Mahlzeit.

Auch das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) hat beschränkten Zugang zu den Internierungslagern. Es versorgt rund 10000 Familien mit Hygyiene- und Küchenartikeln und hat auch Notunterkünfte erstellt. «Die Hilfswerke wollen in den Lagern keine festen Strukturen schaffen», sagt Zoltan Dòka vom SAH. Für die Hilfsorganisationen, aber auch Regierungen wie die der Schweiz hat die Rückkehr der Vertriebenen «höchste Priorität», wie es Pressesprecher Andreas Stauffer vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten formuliert.

Die sri-lankische Regierung hat versprochen, dass alle Vertriebenen innerhalb eines halben Jahres zurückkehren könnten. Die Einhaltung dieses Versprechens wird aber von vielen angezweifelt. Die Säuberung der Kriegsgebiete von Minen und Blindgängern hat erst in einer fünfzig Quadratkilometer grossen, hochproduktiven Landwirtsschaftszone begonnen (siehe unten). In vielen Gebieten des Nordens haben nur Armeeangehörige und Beauftragte der Regierung Zugang. Viele befürchten, dass die Bevölkerung im bislang tamilisch dominierten Norden neu zusammengesetzt werden soll. Statt alle an ihre Heimatorte zurückkehren zu lassen, drohen gesteuerte Ansiedlungen. Die vertriebenen TamilInnen könnten so über das ganze Land verteilt werden, während man SingalesInnen aus dem Süden Sri Lankas dazu bewegt, in den Norden zu ziehen.

Minen und Blindgänger

Am Wochenende hat die Schweizer Minenräumungsorganisation Fondation Suisse de Déminage (FSD) einen Vertrag mit der sri-lankischen Regierung unterzeichnet. Die FSD wird ab sofort in der nördlichen Provinz Mannar mit den Arbeiten zur Säuberung einer hochproduktiven Landwirtschaftszone von Minen und Blindgängern beginnen. Die sri-lankische Armee hatte im Mai die letzten von der tamilischen Befreiungsbewegung LTTE kontrollierten Gebiete im Norden des Landes zurückerobert. Seither werden rund 280 000 kriegsvertriebene TamilInnen in militärisch abgeriegelten Internierungslagern festgehalten. Ihre Lebensumstände sind äusserst prekär. Die Regierung hatte versprochen, die Vertriebenen könnten binnen eines halben Jahres zurück an ihre Wohnorte kehren. Voraussetzung sei die Säuberung der Gebiete von Explosionsgeschossen. Doch lange geschah gar nichts. Erst vor vierzehn Tagen haben erste Teams aus Indien und Britannien die Bewilligung für die entsprechenden Räumungsarbeiten erhalten.

Die FSD solle die gesamten Minensäuberungsaktionen koordinieren, sagt ihr Sprecher Benedikt Truniger: «Wir mussten mit der sri-lankischen Regierung sehr hart verhandeln.» Entscheidend für die FSD sei, dass sie unabhängig arbeiten und selber Prioritäten setzen könne. «Wir werden der Regierung nicht Hand zu Aktivitäten und Plänen bieten, die klar gegen das internationale, humanitäre Recht verstossen.» Die FSD steht vor einer schwierigen Gratwanderung: Einen von Explosionsgeschossen befreiten Norden könnte die Regierung für die Neuansiedelung von regimetreuen SinghalesInnen nutzen – auf Kosten der vertriebenen TamilInnen.