Roman: Wenn Esoterik tötet

Nr. 16 –

Gerda Blees schildert in «Wir sind das Licht» einen verstörenden Todesfall aus den Niederlanden.

Kleine Warnung vorab: Wer «Wir sind das Licht» von Gerda Blees liest, braucht Gelassenheit. Dennoch wird die Geduld für die unbedingte Selbstbezogenheit ihrer Protagonist:innen, ihren watteweichen Therapiesprech strapaziert. Der Roman macht einen unduldsam gegen einen Alltag, in dem eine Nachbarin irgendwelche Yogauniversen lehrt oder die Apotheke gegenüber Globuli verkauft. Wir fragen schliesslich Menschen, die von alternativer Medizin reden, ob es zum Beispiel auch alternative Ingenieurskunst gibt und ob die einen über die Covid-Impfung mit dem 5G-Telefonnetz verbindet.

«Wir sind das Licht» arbeitet sich langsam durch die bedrohliche Dimension all der vermeintlichen Harmlosigkeit und durchmisst ihre intellektuelle Dürftigkeit; zeigt, wie Esoteriker:innen Alltagsphänomene und Herbeigeglaubtes zu einem Schmier verrühren, ihm den schutzlosen Begriff der Philosophie anmassen. Blees nimmt all das als literarische Vorlage, die sie aber nicht auskleidet: Sie drückt nie auf die Tube und enthält sich einfacher Urteile.

Ein labiler Haufen

Von vorne: In den Niederlanden wurde 2017 ein Fall breit diskutiert, vier Menschen waren in Utrecht zusammengezogen, nannten ihre Wohngruppe «Contact & Musziek» und beschlossen, sich nur noch, oder vorrangig, von Licht zu ernähren. Eine Frau starb, die anderen sassen drumherum. Auf ihrer Internetseite steht bis heute: «Kontakt, Meditieren, Singen in der Natur ist auch Essen.»

Genau hier setzt «Wir sind das Licht» an, erkundet, was zwischen diesen Leuten passiert ist. «Nichts, was man fühlte, war Melodie zufolge falsch», heisst es an einer Stelle über die selbsternannte Therapeutin, ein nüchterner Satz in diesem fast bis zur Kühle zurückhaltenden Roman, in dem ein ganzes Bündel von Beziehungen steckt. Die Hierarchie der Bewohner:innen, das antiaufklärerische Dogma, in dem das Sentiment über allem herrsche. Dazu der allzeit selbstüberzeugte Predigerton, die immer wolkige Sprache Melodies, ihre passiv-aggressive Stimmlage. Einen labilen Haufen Gläubiger habe sie um sich gesammelt, stellen mit Ermittlungen betraute Kommissar:innen fest, Melodie muss ihnen ihre Weisheiten gar nicht allzu fest aufzwingen.

Als Geschichte einer «stillen Radikalisierung» bezeichnet der Verlag den Roman. Er erscheint in Zeiten, in denen man den Eindruck haben kann, dass viele sich zwar unterschiedlich still, vor allem aber eben doch radikalisieren. Oder in Scharen vor der Banalität der Existenz in ausgestreckte Arme von Selbstbeweihräucherung und Affirmation fliehen. Blees konzentriert sich auf eine kurze Erzählzeit, sammelt zwischen dem Tod der einen bis zur Freilassung der überlebenden drei 25 Blickwinkel – die sind eher ungewöhnlich: Das Haus, Eltern, das Cello wagen karge Rückblicke, Brot, Kugelschreiber, Zigaretten fragen kurz nach Verantwortung, beobachten Zwiespalt und Selbstgewissheit, nichtstoffliche Erzähler wie die Nacht oder die kognitive Dissonanz schauen auf die WG-Hierarchie und die Machtlosigkeit der Ermittler:innen gegen selbst auferlegte Unmündigkeit.

Die Erzählperspektiven formen ein Wir, eine Gruppe, die auf die drei verbliebenen Lichtesser:innen schaut. Das ist ein kluges Mittel, die Blicke auf das Geschehen bleiben fragmentarisch, die Kraft ihrer Deutung begrenzt. Die letztlich undurchdringliche Welt der Esoterik kann man rational nur zu einem Stück begleiten, nie gänzlich begreifen.

Schwafelnd bleibt er untätig

Nebenbei kann man in der Zeitschrift «Applied Cognitive Psychology» einen Aufsatz von 2016 lesen, demzufolge Menschen mit hohem Bildungsstand zu einem geringeren Mass an Verschwörungstheorien glauben. Bildung ist nur ein formales Kriterium, anhand dessen Einstellungen gemessen werden. Wahrnehmung von sozialer Schichtung, Gefühle von Machtlosigkeit sind für den Hang zu Verschwörungstheorien und anderem esoterischen Humbug wichtig. Der Glaube an eine Weltharmonie, kosmische Energie und Verschwörungserzählungen ergänzen sich: Da verhindern Strukturen, Gruppen oder Einzelpersonen «wahres Wissen», Glück und spirituelles Fortkommen.

Wie zum Hohn hören wir dann den WG-Bewohner Petrus über «neoliberalen Kapitalismus» und die schlimme Welt schwafeln. Als es darum ging, der Sterbenden einen Arzt zu rufen, blieb er untätig. Das Cello ahnt Widersprüche, rückt seine Besitzerin in schärferes Licht: «Melodie, die an etwas Höheres glauben wollte, etwas Schöneres, etwas Besseres, und das in den gottlosen achtziger Jahren, in denen das Universum der meisten jungen Leute ein luftleerer Raum war. Melodie, die fand, es sollte nicht darum gehen, die Beste zu sein, die aber gleichzeitig doch immer besser sein wollte als alle anderen.»

Die Literaturgeschichte ist voll von Versuchen, Realitäten auszuleuchten, bei denen keine journalistischen Zeugen zugegen waren, niemand aus einer unbeteiligten Position Protokoll führte. «Wir sind Licht» ist ein sich angenehm selbst begrenzendes Unterfangen, eines, das keine voreiligen Schlüsse zieht und die eigene Ratlosigkeit nicht verhehlt, mit der wir antirationalen Ideologien gegenüberstehen.

Gerda Blees: Wir sind das Licht. Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2022. 240 Seiten. 34 Franken