Leser:innenbriefe

Nr. 21 –

Und wenn die Ukraine links wäre?

«US-Aussenpolitik: Wie weit gehen die USA bei der Hilfe für die Ukraine?», WOZ Nr. 20/2022

Angenommen, die Ukraine hätte eine linke Regierung, die weder in die Nato noch in die EU eintreten möchte. Sie wird von der reaktionären russischen Regierung angegriffen, und deren Armee dringt tief in das Land ein. Die ukrainische Armee wehrt sich heldenhaft, ist aber der russischen unterlegen. Was hätten die USA, was die westlichen kapitalistischen Staaten unternommen? In gleichem Masse Unterstützung geleistet, wie das heute passiert? Ich glaube nicht.

Peter Schöchlin, Winterthur

Es wäre interessant und auch erst relevant gewesen, wenn Lotta Suter die als «pazifistische Bedenken» bezeichneten rhetorischen Fragen konkret abgewogen und daraufhin beantwortet hätte, wie diese Beurteilung zu einer für die Ukraine akzeptablen, nachhaltigen Lösung eben für die «Zeit nach dem Krieg» führen könnte.

Das kann ja noch nachgeholt werden!

Peter Bohny, Basel

Leidtragende Bevölkerung

«Leser:innenbriefe: Anarchistische Ukraine», WOZ Nr. 15/2022

Ich schliesse mich Daniel Kuster an und ergänze gern Folgendes: Lese mich aus traurig aktuellem Anlass durch längst vergessene Buchseiten: Volin, «La Révolution inconnue» (drei Bde., 1947), und Rudolf Rocker, «Der Bankrott des russischen Staats-Kommunismus» (1921).

Wie oft ist diese Weltregion schon im letzten Jahrhundert durch schreckliche Menschheitsverbrechen heimgesucht worden. Das an Rohstoffen reiche und als Kornkammer Europas bekannte Land ist auch in der Gegenwart Zankapfel konkurrierender Machtansprüche. Leidtragende sind, wie immer, die einfache Bevölkerung, Bäuerinnen und Bauern, Frauen und Kinder, junge Männer – überhaupt die Jugend, die um ihre Zukunft betrogen wird. Immer wieder grosse Opfer zu beklagen hatten die jüdischen Gemeinden, bei Pogromen der Kommunisten, beim Massaker von Babyn Jar 1941 durch die Nazis nahe bei Kyjiw.

Konrad Siegenthaler, Zürich

Diskursive Gewalt

«Kinder im Nothilferegime: Gebrochene Menschen», WOZ Nr. 19/2022

Ich bedanke mich für den wichtigen Beitrag in der WOZ. Und möchte ergänzen: Aus eigener Erfahrung, als Tochter eines ehemaligen Saisonniers und einer – unter den rechtlosen Status dieses Saisonniers degradierten – ehemaligen Jahresaufenthalterin, denen das Menschenrecht auf ein Zusammenleben als Eheleute und als Familie in der Schweiz im Namen des Ausländer- und Integrationsgesetzes verweigert wurde, kenne ich das Narrativ der «armen Kinder» und der «schuldigen Eltern» nur zu gut. Ich erhalte als Präsidentin des Vereins Tesoro, der sich für die Interessen dieser Betroffenen einsetzt, sehr oft E-Mails mit genau dem Inhalt: Wie konnten «meine schrecklichen Eltern» nur «mir armem Kind» so etwas «Falsches» antun wie Trennung, Fremdplatzierung oder ein Aufwachsen gefangen in der eigenen Wohnung? Diese diskursive Spaltung hat unsere Familien einer weiteren, unerträglichen Zumutung ausgesetzt. Wir leiden ein Leben lang darunter. Das wird man fast nicht los, wir kämpfen tagtäglich dagegen an.

Ich kann nur dringend davor warnen, das Narrativ der «armen Kinder» und der «schuldigen Eltern» nun im Fall von Geflüchteten in Nothilfeunterkünften wieder zu bedienen. Und sei es auch nur subtil, wie hier im Titel, der einzig auf die Kinder zielt. Das Nothilferegime – das sollte man immer im Auge behalten – ist für betroffene Mütter, Väter und natürlich auch für die Kinder eine alltägliche Gewalterfahrung. Es löst in der ganzen Familie existenzielle Ängste aus. Wenn wir diskursiv schon wieder auf die «armen Kinder» fokussieren, lauern real um die Ecke die nächsten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Dann wird man den Eltern, die mit ihren Kindern geflüchtet sind und unsägliche Opfer für ein besseres Leben in Kauf nehmen mussten und die in dieser verqueren Logik etwas «falsch», «einen Fehler» gemacht haben, bald schon die Kinder wegnehmen wollen. Schön philantropisch, schön paternalistisch. Ich bitte Sie, schreiben Sie zukünftig in der WOZ, so wie nur die WOZ es kann, mit aller Vehemenz gegen diese Form von diskursiver Gewalt an.

Paola De Martin, Vereinspräsidentin Tesoro, per E-Mail