Im Affekt: Freiwillige Selbstzerstörung

Nr. 28 –

Noch bevor die «documenta fifteen» eröffnet wurde, schrieb die Künstlerin Hito Steyerl einen Text zur Kunstschau, der sich als prophetisch erweisen sollte. Sie beharrt darin auf zwei einfachen Wahrheiten: Deutschland ist ein Einwanderungsland, das ein Rassismusproblem hat. Und Deutschland ist unwiderruflich geprägt von der NS-Zeit und vom Völkermord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden. Auch nicht unwichtig: Erst vor einem Jahr wurde ein Documenta-Gründer als Nazi und Kriegsverbrecher entlarvt, was das Bild, die seit 1955 stattfindende Schau sei der leuchtende Beweis eines Neuanfangs nach 1945, empfindlich stört.

Wenn nun in der aktuellen Documenta postkolonial befeuerten Kollektiven die inhaltliche Leitung übertragen wird, die Presse sie daraufhin unter Generalverdacht stellt und schliesslich auf einem der von ihnen ausgestellten Banner antisemitische Hetzfiguren entdeckt werden, kollidieren diese Wahrheiten unter viel Getöse (siehe WOZ Nr. 22/2026 ). Dabei zeigt die mediale Debatte einmal mehr: Gegenseitig herrscht viel Ignoranz; deutschen Antisemitismuskritikerinnen wie auch manchen postkolonialen Kurator:innen mangelt es an Selbstkritik. Es hätte also kaum einen besseren Ort gegeben als die «d15», um diese blinden Flecken zu diskutieren – und um die eigene, gerade entdeckte NS-Verstrickung zu thematisieren. Zumal manche Kommentator:innen bald den Eindruck vermittelten, Antisemitismus komme heute einzig aus Ländern des Globalen Südens.

Das antisemitische Corpus Delicti wurde in Windeseile abgebaut. Daneben wirkt die Fahrlässigkeit, mit der man die Gelegenheit zur Reflexion verpasste, geradezu grotesk. Nun ziehen Künstler:innen, auch Hito Steyerl, ihre Werke zurück. Der herbeigerufene Antisemitismusberater Meron Mendel ist bereits wieder abgetreten: Die Generaldirektorin Sabine Schormann habe seine Anrufe ignoriert. Viel Gratisfutter für die rechte Presse, die seit jeher postkoloniale Kritik und kollektive Arbeitsformen unmöglich machen will. Wird die Documenta zum Dokument ihrer eigenen mutwilligen Selbstzerstörung?

«Vielleicht hat sie sich aber auch einfach überlebt»: Sogar das mögliche Ende der Kunstschau hat Steyerl vorausgesagt.