Grüner Kapitalismus: «Notwendig ist ein Fokus auf Gerechtigkeit»
Was bringen CO₂-Steuern und Ausgleichszahlungen zum Schutz der Biodiversität wirklich? Adrienne Buller hat die Rezepte, mit denen der freie Markt die Klimakrise regeln soll, empirisch untersucht.
WOZ: Frau Buller, Ihr Buch trägt den aussergewöhnlichen Titel «The Value of a Whale», der Wert eines Wals. Was hat es damit auf sich?
Adrienne Buller: Den Preis eines Wals haben IWF-Forschende auf zwei Millionen US-Dollar festgelegt. Es ist ein besonders auffälliges Beispiel dafür, wie die Klimakrise angegangen wird: Unser komplexes Ökosystem wird in Einzelteile zerlegt, um «Ökosystemleistungen» in Preisen abbilden zu können. So trägt der Wal nicht nur zum Ökotourismus bei, sondern bindet auch Kohlenstoff. Es werden immense Ressourcen aufgewendet, um vermeintlich angemessene Preise zu definieren, die zeigen sollen, welche Investitionen in die Tiere sich ökologisch lohnen. Doch der Nutzen davon ist gering. Denn die Tierarten müssen in dem komplexen Ökosystem verstanden werden, in das sie eingebettet sind. Man kann sie nicht herauslösen, um sie marktfähig zu machen. Für viele Entscheidungsträger:innen aber sind Markt- und Preismechanismen nach wie vor die tragenden Pfeiler, um zu handeln.
Das gleiche Denkmuster sehen Sie in der CO₂-Steuer. Ist es schlecht, Abgase zu besteuern?
Fast ein Viertel der weltweiten Kohlenstoffemissionen wird bereits besteuert oder ist in den Handel mit Zertifikaten integriert. Politische Entscheidungsträger:innen beteuern immer wieder die Wirksamkeit davon, Kohlenstoff zu bepreisen. Trotz der immensen politischen Energie, die darauf verwendet wurde, haben diese Steuern aber sehr bescheidene Auswirkungen, wie die uns vorliegenden Daten zeigen. Mainstreamökonom:innen machen für die schlechte Bilanz politische Gründe geltend. Sie sagen, man könne keine adäquaten Steuern einführen, weil sich Konsument:innen höheren Preisen verwehren würden. Diese Argumentation beisst sich aber in den Schwanz: Ein wichtiges Argument für marktbasierte Massnahmen lautet schliesslich, man könne damit politische Querelen umgehen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Klimakrise ist eine politische Krise der Verteilung, der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit.
Wird das in der Emissionsbesteuerung nicht berücksichtigt?
In der Diskussion geht es kaum darum, woher die Emissionen stammen – ob aus der produzierenden Industrie oder der Heizung einer armen Familie. Das rächt sich im Widerstand von unten, wie den massiven Protesten der Gilets jaunes gegen Benzinsteuern in Frankreich; aber auch im Widerstand von oben, von den Lobbys der emissionsintensiven Industrie. Daran sieht man: Eine politische Perspektive und ein Fokus auf Gerechtigkeit sind notwendig, um die Klimakrise anzugehen.
Auch ökologisches Investieren wird als Beitrag zur Rettung des Klimas verkauft.
An Green Finance lässt sich gut erkennen, worum es im Investitionssystem wirklich geht. Die «ökologischen» Finanzprodukte werden als Möglichkeit angepriesen, Gutes zu tun, indem in Firmen investiert wird, die sogenannten ESG-Kriterien entsprechen, also mit hohen Ansprüchen in Sachen Umwelt, Gesellschaft und Governance. Tatsächlich dienen diese Anlagen aber dazu, Investitionen abzusichern, indem sie die Renditen vor den Auswirkungen der Klimakrise schützen. Es gibt unzählige skandalöse Beispiele für diese Augenwischerei.
Können Sie eines nennen?
Der Finanzdienstleister Vanguard etwa verwaltet einen fünf Milliarden US-Dollar schweren ESG-Fonds, der mit dem Kampf gegen den Klimawandel beworben wird. Die grössten Firmen im Paket sind aber Technologiekonzerne wie Apple, Microsoft, Amazon und Facebook. Das mag überraschen, ist doch deren soziale und ökologische Bilanz teilweise höchst fragwürdig. Aber es folgt der Logik solcher Fonds: Da die Techfirmen als relativ sicher gelten, ist ihre Aufnahme für die Analyst:innen von Vanguard sinnvoll, schliesslich sind Risikostreuung und Absicherung das Ziel – nicht etwa eine grüne und nachhaltige Wirtschaft.
Das ist nicht nur Augenwischerei, sondern birgt auch Gefahren.
Ja, der ESG-Boom bestärkt die Ansicht, der Markt und das Finanzsystem könnten die Klimakrise lösen. Ganz so, als bräuchten wir keine Regulierung, sondern könnten die grüne Transformation dem Markt überlassen. Damit verzögert man wirksame, aber auch schmerzhafte Schritte. Das gilt ebenso für den Handel mit ökologischer Kompensation: Man muss sich bloss mal anschauen, wer sich prominent für die Bepreisung von Kohlenstoffdioxid einsetzt – das ist buchstäblich eine Kollaboration von Milliardär:innen.
Eine gezielte Strategie also, um staatliche Eingriffe zu verhindern?
Auf Marktmechanismen zu beharren, hat inzwischen die schlichte Leugnung des Klimawandels weitgehend abgelöst. In der Wirtschaft spielen zwei Typen von Akteur:innen eine wichtige Rolle: jene, die früher die Leugnung unterstützten und sich nun auf eine «Weigerung der Linderung« verlegt haben, wie das Klimawissenschaftler Kevin Anderson nennt. Etwa die grossen Ölkonzerne: Der Mineralriese Exxon, einst einer der grössten Förderer der Klimaleugnung, investiert mittlerweile in Algen und Biokraftstoffe und spricht über nachhaltige Energie, ohne aber sein Kerngeschäft infrage zu stellen.
Daneben gibt es noch eine viel grössere Gruppe von Akteur:innen, die die Klimakrise als Chance für ihr Geschäft begreifen: Ökologische Geschäftsideen und Marktverfahren sollen die Klimakrise bewältigen, glauben sie. Sie wollen neue Felder des Profits erschliessen und zugleich die immense Bedrohung abwenden, die den Fortbestand des Kapitalismus infrage stellt. Ihre Antwort auf die Krise ist ein grüner Kapitalismus. Deshalb tauchen Lösungen ausserhalb des Marktes gar nicht erst auf.
Gibt es denn Lösungen innerhalb des Marktes?
Klimawandel und Verlust der Biodiversität werden von Mainstreamökonom:innen als ultimatives Marktversagen beschrieben. Sie sagen im Umkehrschluss: Wenn man die externalisierten Kosten der Umweltzerstörung in die Preise einrechne, werde es der Markt schon richten. Bloss gibt es bislang kaum nachhaltige Alternativen für die bestehende Industrie. So ist der riesige Markt für Kohlenstoffkompensation entstanden, damit Firmen ihren CO₂-Ausstoss nicht reduzieren müssen. Dies hatte bereits erhebliche Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften und Subsistenzbäuer:innen, die vertrieben wurden, damit man auf ihrem Land riesige Plantagen zur Kompensation hochziehen konnte. Und die verfügbare Fläche für die Aufforstung ist irgendwann auch erschöpft.
Das verlagert die Probleme einfach kurzfristig.
Die CO₂-Kompensationssysteme und ihre Wirksamkeit sind umstritten. Jene, um die Vernichtung der biologischen Vielfalt zu kompensieren, haben eine noch schlechtere Bilanz. Der Nordische Ministerrat, ein Zusammenschluss nordeuropäischer Länder, hat eine Studie angestossen, die zeigt, dass bei Hunderten von Ausgleichsprojekten am Ende trotzdem ein Rückgang der biologischen Vielfalt um 99 Prozent zu verzeichnen war. Das liegt vor allem daran, dass der Markt stets versucht, die bequemsten Wege zu finden, um die Kosten zu senken. Es geht nicht darum, ob Massnahmen tatsächlich ökologisch sinnvoll sind. Der Kapitalismus ist eine gigantische «Externalisierungsmaschine», wie der Ökonom Servaas Storm aufzeigte. Er findet geschickt Wege, um neue Kosten zu minimieren – und das nimmt selbst oftmals destruktive Züge an.
Ihr Befund ist eindeutig: Einen grünen Kapitalismus wird es nicht geben. Was sollte man denn tun?
Eine wichtige Frage lautet: Sind marktbasierte Mechanismen besser als gar nichts? Ich habe diese Mechanismen in meinem Buch empirisch untersucht und bin zu einem klaren Schluss gekommen: Die Ansätze reduzieren weder die Emissionen entscheidend, noch verhindern sie den Verlust der Biodiversität. Im Gegenteil, man muss sie als ein gefährliches Ablenkungsmanöver verstehen.
Wenn Beweise gegen Massnahmen sprechen, ist es Zeit, nach Alternativen zu suchen. Diese simple Logik müsste selbst Marktanhänger:innen einleuchten. Die Klima- und Umweltkrise ist mit systematischen Ungleichheiten in Sachen Wohlstand und Emissionen verknüpft. Wir müssen uns über eine grundsätzlich andere Gesellschaft jenseits eines ständigen Kampfes um mehr Geld unterhalten. Es geht nicht nur um einen bewohnbaren Planeten, sondern um eine lebenswerte Welt.
Die Klimakrise und die Systemfrage sind also nicht nur moralisch, sondern auch empirisch zwingend eng verbunden.
Ja, und wenn wir das nicht zusammendenken, werden schon kleine Massnahmen grossen Widerstand hervorrufen. Wenn ein armer Mensch plötzlich viel mehr für den Treibstoff seines Autos bezahlen muss, das er für seinen Arbeitsweg braucht, ist eine wütende Reaktion gerechtfertigt. Ein unpolitischer Emissionsmarkt erzeugt Ungerechtigkeiten, die politisch durchgesetzt werden müssen.
Die Ursache der Klimakrise liegt letztlich in der ungleichen Nutzung von Ressourcen und der ungleichen Verteilung von Reichtum und Macht. In dieser Erkenntnis liegt zugleich die Chance, das Problem systematisch anzugehen. Die Idee einer anderen Welt mag zurzeit nicht en vogue sein, und ihr stehen mächtige Interessen gegenüber, die den Status quo zementieren wollen. Aber die Vorstellung einer anderen Welt zurückzugewinnen, ist für unsere Zukunft entscheidend.
Die Klimaökonomin
Die kanadische Autorin Adrienne Buller (28) hat einen Bachelor in Umweltwissenschaften sowie einen Master in Global Governance und Ethik. Als leitende Forschungsbeauftragte des Thinktanks Common Wealth in London untersucht sie die Zusammenhänge von Klimakrise und Finanzsystem. Ihr Buch «The Value of a Whale. On the illusions of green capitalism» ist Ende Juli bei Manchester University Press erschienen.