Kino-Film «Semret»: Mutter, warum verstummst du?

Nr. 34 –

Wenn im Film ein Kind geboren wird, ist das in den meisten Fällen ein Moment des Glücks und der Hoffnung. Die Geburtsszene in einem Zürcher Spital, mit der das Regiedebüt der Schweizerin Caterina Mona einsetzt, macht noch einen anderen Aspekt deutlich: Eine Geburt ist mit Schmerzen und Anstrengung verbunden und kann auch schwierig verlaufen. Dennoch ist die Pflegehelferin Semret (Lula Mebrahtu) mit ihrer ruhigen, beherrschten Art hier sichtlich in ihrem Element. Das Foto, das sie von sich und der Mutter aufnimmt, heftet sie dann bei sich zu Hause an den Kühlschrank – zu vielen anderen mit ähnlichen Motiven.

Semret, vor Jahren aus Eritrea geflohen, ist in der Schweiz angekommen, das suggerieren diese ersten Szenen. Die Wohnung, die sie mit ihrer siebzehnjährigen Tochter Joe (Hermela Tekleab) teilt, ist zwar klein, und ob Semret an der Hebammenschule aufgenommen wird, ist noch in der Schwebe – aber sie scheint ihr Leben im Griff zu haben. Joe würde da wohl widersprechen. Nicht nur, weil sie als Einzige weiss, dass ihre Mutter nachts oft von Panikanfällen heimgesucht wird und zu ihr ins Bett flüchtet. Die Teenagerin leidet auch zunehmend darunter, dass Semret ihren Umgang mit Schulfreundinnen stark reglementiert und sich weigert, mehr über ihren Vater zu erzählen, als dass er auf der Flucht im Meer ertrunken sei. Joe wechselt fliessend zwischen Schweizerdeutsch und ihrer Muttersprache Tigrinya und sucht ausserdem den Anschluss an die Kultur, die ihre Mutter zurückliess. Semret dagegen meidet misstrauisch jeden Kontakt; als im Spital ein Landsmann (Tedros Teddy Teclebrhan) auftaucht, der das Lied weitersingt, das sie vor sich hin summt, verstummt sie sofort.

Im Lauf des Films nimmt das Geburtsmotiv eine weitere Bedeutung an. Semret, so zeigt sich, muss selbst neu zur Welt kommen, unter Schmerzen und Anstrengungen. Caterina Monas Inszenierung wirkt mitunter etwas schwerfällig, hat aber unbedingt für sich, dass sie konsequent empathisch auf der Seite ihrer Heldinnen steht.

«Semret». Regie und Drehbuch: Caterina Mona. Schweiz 2022. Jetzt im Kino.