Auf allen Kanälen: Die Gier der Chefin

Nr. 36 –

Der wohl grösste Skandal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Deutschland je hatte: Was ist los in Brandenburg?

stilisierter Logo des Senders RBB

Wer in der deutschen Medienblase zurzeit ­einen Lacher provozieren will, der macht ­einen Witz über italienisches Edelparkett. Dieses Edelparkett liegt in der Chefetage des zur ARD gehörenden Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB) und ist eines von vielen Mosaiksteinchen im wohl grössten Skandal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Deutschland je hatte.

Angefangen hat alles im Juni, als das zum Axel-Springer-Verlag gehörende Wirtschaftsmagazin «Business Insider» die ersten Vorwürfe gegen die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger veröffentlichte. Die 61-Jährige war seit 2016 Intendantin, seit 2022 auch Chefin der gesamten ARD. Davor moderierte sie unter anderem ein Investigativmagazin. Sie galt als integre Journalistin, als geradlinige Intendantin.

Nun muss man wissen, dass der Axel-Springer-Verlag gern Kampagnen gegen die Öffentlich-Rechtlichen fährt. Doch was die Recherchen von «Business Insider» zutage förderten, war viel mehr als die Scheinskandale, die die «Bild»-Zeitung sonst zum Shitstorm aufzublasen versucht. Es ging um Korruption, Vetternwirtschaft und Gier in einem öffentlich finanzierten Rundfunkhaus.

Ohne jede Kontrolle

Patricia Schlesinger hat sich wohl über Jahre aus den Kassen des Senders bedient: Sie hat sich eine satte Gehaltserhöhung samt Bonus zugestanden, hat sich einen Luxusdienstwagen von Audi sponsern lassen und ihren Chauffeur auch in der Freizeit genutzt. Sie hat offenbar private Abendessen auf RBB-Kosten abgerechnet und für 1,4 Millionen Euro ihre Chefetage renovieren lassen – samt Edelparkett. Mit ihren Kollegen in der Geschäfts­leitung hat sie ein geheimes Bonussystem eingeführt, das es in keinem anderen Sender zu geben scheint.

Möglich war all das, weil jegliche Kon­trolle ausgehebelt war. Die Compliance-­Beauftragte sollte alle kontrollieren, nur nicht die Intendantin. Mit dem, der sie kontrollieren sollte, dem Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf, machte die Intendantin gemeinsame Sache – zu zweit, ohne Protokoll. Wolf hat zudem Schlesingers Ehemann, einem ehemaligen «Spiegel»-Journalisten, einen lukrativen Beraterjob bei der Berliner Messe beschafft, wo Wolf Aufsichtsratschef war.

Deutschland hat eines der grössten Rundfunksysteme der Welt. ARD und ZDF haben 8,4 Milliarden Euro im Jahr zur Verfügung, jeder Haushalt zahlt dafür gut 18 Euro im Monat. Trotzdem heisst es immer wieder, das Geld reiche nicht. Es wird am Programm gespart, an dem, was die Sender eigentlich leisten sollen. So war es auch beim RBB. Jeden Parkschein, den die Mit­arbei­ter:in­nen auf ihren Recherchen lösten, mussten sie sich umständlich erstatten lassen – während die Intendantin sich vom Privatchauffeur in der Luxuskarosse herumfahren liess.

Schimpf und Scherben

Unter den Beschäftigten herrscht Wut und Fassungslosigkeit. Bei einer Demonstra­tion der RBB-Angestellten erzählte mir ein Kameramann, dass er beim Drehen mittlerweile den roten RBB-Aufkleber von seiner Kamera abziehe – weil er für die Gier seiner Chefin beschimpft werde. Die Journalist:innen des RBB haben ein eigenes Investigativteam gegründet, das die Skandale transparent aufarbeitet.

Der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Wolf-Dieter Wolf, ist zurückgetreten, Patricia Schlesinger wurde fristlos entlassen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Wolf, Schlesinger und ihren Ehemann wegen Untreue. Der Rundfunkrat sucht nach einer Übergangsintendanz, die den Sender aus der Krise holen soll. Das wird eine fast übermenschliche Aufgabe. Denn der RBB-Skandal hinterlässt Scherben im gesamten öffentlich-rechtlichen System. Es jubeln jene, die den Rundfunk schon lange zu mächtig und zu teuer finden. Der Schlesinger-Skandal ist für die Glaubwürdigkeit aller Medien im Land fatal.

Und doch steckt in all dem auch ein kleiner Grund zur Hoffnung: Die Zeit für eine Reform des Rundfunks war nie besser. Die Kompetenzen der Kontrollgremien müssen ausgebaut, die Macht der In­ten­dant:in­nen beschnitten werden. Denn der Journalismus der Öffentlich-Rechtlichen ist unverzichtbar – ganz im Gegensatz zum Edelparkett in ­In­ten­dant:in­nenbüros.

Anne Fromm ist Redaktorin bei der «taz» im Ressort Recherche und Investigativ.