Kost und Logis: Zu früh, zu spät oder gar nicht
Karin Hoffsten reiste im Frühling in die Lüneburger Heide
Bitte nicht schon wieder, denken Sie sicher, aber da müssen Sie jetzt durch, auch wenns die 100. Ansammlung irrer Anekdoten mit und in der Deutschen Bahn AG ist. Schliesslich ist das nördliche Nachbarland meine ursprüngliche Heimat, und es fällt mir noch immer schwer zu akzeptieren, dass sich die Fortbewegung mit dem Zug dort inzwischen anfühlt, als reise man mit Kafka durchs Land oder an der Seite des Apothekers Ringelhuth am 35. Mai in die Südsee. Verrückter kanns nicht werden.
Real begann meine Reise am 27. Mai, das Land stand in voller Blüte, und das 9-Euro-Ticket war knapp noch nicht in Kraft. Nach Basel kommt Freiburg, und kaum war der Zug dort abgefahren, hielt er wieder. «Liebe Gäste, es kommt leider zu einem kurzen Aufenthalt, es befinden sich Kinder im Gleisbereich», lautete die Durchsage. Man nennt uns jetzt nur noch «Gäste» – höflich sind sie ja in Deutschland, zumindest manche. Nach 22 Minuten dann: «Die Kinder im Gleisbereich konnten von der Polizei erfolgreich entfernt werden», mit welcher Methode, blieb meiner Fantasie überlassen.
Bei Riedstadt-Goddelau – wo immer das liegt – konnte die Strecke wegen einer Baustelle nur eingleisig befahren werden, weshalb die Verspätung vor Frankfurt schon 45 Minuten betrug. Als ich in Hannover eintraf, war der Anschlusszug längst weg. Das Wartestündchen ging auch vorüber.
Die Rückfahrt begann hoffnungsvoll. Die kleine Lokalbahn traf pünktlich in Hannover ein, mein Zug nach Zürich sollte vierzig Minuten später abfahren. Doch auf der grossen Anzeigetafel war er nicht zu finden. Ich begab mich zur Auskunft, wartete zuerst auf der falschen Seite und wurde rüde auf die andere verwiesen, wo ich endlich meine Frage stellen konnte: «Warum wird mein Zug nicht angezeigt?» Der sei heute wegen einer Baustelle eine Stunde früher gefahren, sagte die Dame, die – als sich mir ein Laut der Empörung entrang – ergänzte: «Da müssen Sie sich halt vorher informieren!»
Während der zwei Stunden im hannoverschen Hauptbahnhof stellte ich fest, dass dort kein Fernzug unter fünfzig Minuten Verspätung hatte, wenn er nicht gleich ganz ausfiel. Der spätere Zug nach Zürich war noch nicht ganz aus dem Bahnhof gefahren, als auch er wegen «Kindern im Gleisbereich» hielt. «Sie können sich die Beine vertreten oder rauchen», meldete die Stimme aus dem Lautsprecher, «wenn ich pfeife, bitte wieder einsteigen!» Auch dieser Zug sammelte unterwegs so viel Verspätung an, dass man der höhnisch lachenden Gästeschar in Basel mitteilte, wegen einer «technischen Störung» könne er nicht weiterfahren – «We apologize for this inconvenience!». Der nächste Zug nach Zürich gehe in einer halben Stunde.
Seit dieser Reise frage ich mich, wie ich eigentlich meine Freund:innen im Norden noch besuchen soll. Mit der Lufthansa? Und ich versichere Ihnen: Nie, nie mehr möchte ich ein böses Wort über die SBB hören.
Karin Hoffsten fragt sich nach kurzer Google-Recherche, wieso sich ausgerechnet deutsche Kinder haufenweise im Gleisbereich tummeln.