Im Affekt: Hauptsache, eine Frau

Nr. 39 –

Über den Wahlsieg von Giorgia Meloni in Italien freuten sich viele: die rechtsextreme deutsche AfD, der Autokrat Viktor Orbán in Ungarn – und die US-Demokratin Hillary Clinton, unterlegene Widersacherin von Donald Trump. Bei Clinton war es sogar Vorfreude. Anfang September wurde sie vom «Corriere della Sera» zu gefährlichen politischen Tendenzen der Gegenwart befragt. Routiniert watschte sie Putin, Trump und Konsorten ab. Zu Meloni aber sagte sie: «Die Wahl der ersten Frau zur Premierministerin eines Landes stellt immer einen Bruch mit der Vergangenheit dar, und das ist sicher eine gute Sache.» Am Freitag vor den Wahlen wiederholte sie diese Einschätzung. Hillary Clinton freute sich also den Sieg einer Faschistin herbei. Oder wie soll man die Anführerin einer Partei nennen, die sich in ihrem Logo an einer Flamme nährt, die aus dem Sarg des faschistischen Diktators Mussolini steigt? Von wegen «Bruch mit der Vergangenheit».

Die Frage muss erlaubt sein: Wie beschränkt darf eine frühere US-Aussenministerin sein? «Ich weiss nicht viel über sie», hatte Clinton noch gesagt – und dass man Meloni an ihren politischen Taten messen müsse. «Nicht viel» bedeutet offenbar, dass sie keine Ahnung davon hat, was in Melonis Wahlprogramm steht. Und davon, dass diese reaktionäre Politik gerade für die Frauen fatal sein dürfte.

Leider hat solche Einfalt im liberalen «Feminismus» System. Nach der Ernennung von Liz Truss zur neuen Premierministerin von Grossbritannien war in der «SonntagsZeitung» ein Kommentar von Bettina Weber zu lesen, der Truss als «Vorbild» feierte: als Frau, «die nicht jammert», sich nicht als berufstätige Mutter «inszenierte», sondern einen «Do-it-Feminismus» (?) pflege und ein «diverses» Kabinett zusammengestellt habe. Ausgerechnet rechte liberale Feministinnen betreiben also eine Identitätspolitik auf der Schwundstufe: Frau = gut. Politische Inhalte? Sekundär.

Nicht nur Clinton normalisiert Meloni, wie die Schlagzeilen Anfang der Woche zeigten: «Ein Hobbit an der Macht», «Rechte Rebellin», «Zeichen des Protests».