China vor dem Parteitag: Führer auf Lebenszeit?

Nr. 41 –

Vom Prinzip der kollektiven Führung zur zentralisierten Herrschaft: Xi Jinping wird sich am Parteitag der Kommunistischen Partei mehr als bloss eine weitere Amtszeit als Generalsekretär sichern.

Am Sonntag ist es so weit: Am 16. Oktober beginnt in der Grossen Halle des Volkes in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Wie alle fünf Jahre kommen 2300 Delegierte aus dem ganzen Land für etwa eine Woche zusammen. Hinter verschlossenen Türen bestimmen sie das nächste Zentralkomitee mit seinen etwa 200 Mitgliedern, das 25-köpfige Politbüro, den bisher 7-köpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros und den Generalsekretär der Partei. Die Wahlen gelten jedoch als Formalität. Die Entscheidungen über neue Mitglieder dürfte die Parteispitze schon bei ihrem Sommertreffen im Küstenort Beidaihe im August gefällt haben.

Das Regime fürchtet eine Zunahme sozialer Unzufriedenheit und Proteste.

Erwartet wird insbesondere, dass Xi Jinping seine Macht weiter festigen kann. Xi hat die drei wichtigsten Posten inne: Er ist Generalsekretär der Partei, Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und Staatsoberhaupt. Bisher galt die Regelung, dass Staatsoberhäupter nach zwei Amtsperioden abtreten müssen. Eingeführt wurde sie in den 1980er Jahren auf Betreiben Deng Xiaopings, der Personenkult und politische Verkrustung verhindern wollte. 2018 wurde die Regelung vom Parlament gestrichen.

Somit kann Xi beim Parteitag seine dritte Amtszeit als Generalsekretär und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission antreten und im Frühjahr vom Parlament als Staatsoberhaupt bestätigt werden. Spekuliert wird auch, dass Xi den Titel «Führer des Volkes» erhalten wird, den seit Mao Zedong niemand mehr tragen durfte, und dass die sogenannten «Xi-Jinping-Gedanken», eine Sammlung von Xi zugesprochenen Texten, in den Parteistatuten aufgewertet werden.

Auch ein Richtungsstreit

Darüber hinaus wird erwartet, dass Xi weitere Verbündete in den höheren Parteiinstanzen unterbringen wird. Bis vor einigen Jahren galt noch das Prinzip der «kollektiven Führung», unter dem Deng Xiaoping die verschiedenen Parteifraktionen zusammenbringen wollte. Unter Xi wurde dieses Prinzip nicht mehr beachtet. Er selbst steht etlichen wichtigen Parteiinstanzen und Kommissionen vor, und viele Posten wurden mit seinen Getreuen besetzt, zuletzt auch in den Sicherheitsapparaten. Viele rivalisierende Kader in Partei, Staat und Militär fielen der seit 2013 betriebenen Antikorruptionskampagne zum Opfer, auch solche in höchsten Ämtern. Andere mussten wegen der inoffiziellen Altersgrenze von 68 Jahren ausscheiden.

Dennoch konnten sich Mitglieder anderer Fraktionen bis jetzt in oberen Parteiinstanzen halten, auch wenn sie immer weniger Einfluss hatten. Mit Spannung wird nun erwartet, wer von ihnen Platz machen muss. Vor allem Li Keqiang, Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros und Ministerpräsident, wird eventuell abtreten müssen, obwohl er mit 67 die Altersgrenze noch nicht erreicht hat. Schon bei Xis Machtantritt 2012 galt Li als sein Gegenspieler. In den folgenden Jahren vertrat er wiederholt abweichende Positionen, insbesondere in ökonomischen Fragen und zuletzt bei der Aufrechterhaltung der «Null Covid»-Strategie und der Gängelung von Privatunternehmen im IT-Sektor. Beide Politiken hatten negative Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Bei der Auseinandersetzung um Posten und Einfluss geht es also auch um politische Antworten auf die krisenhafte Entwicklung des chinesischen Kapitalismus in den letzten Jahren. Die Partei- und Staatsführung steht vor Problemen wie dem abgeschwächten Wirtschaftswachstum, der Krise der Bau- und Immobilienbranche und der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Interessanterweise hat sie «Gemeinsamen Wohlstand» zum Thema des Parteitags gemacht. Unter dieser Bezeichnung läuft seit 2020 ihre Kampagne, die angeblich die Verringerung der Einkommensungleichheit durch Umverteilung zum Ziel hat. Sie zeigt, dass das Regime eine Zunahme sozialer Unzufriedenheit und Proteste fürchtet, sollten sich die wirtschaftlichen Krisen verstetigen oder gar verschärfen.

Keine Nachfolge in Sicht

Die Parteiführung ist offenbar der Meinung, dass eine weitere Amtszeit für Xi Jinping zur Stabilisierung des Regimes in Krisenzeiten beiträgt. Aber auch wenn Xi und seine Getreuen aus diesem Parteitag gestärkt hervorgehen und Xi seine Leitungsfunktionen weiter ausübt, ist nicht sicher, dass der Parteifrieden die nächsten Jahre anhalten wird. Zum Ersten ist noch niemand als Nachfolger des 69-jährigen Xi vorgesehen. Bisher wurden diese jeweils langfristig aufgebaut und sukzessive in höhere Parteifunktionen gehievt. Zwar ist unklar, ob Xi bei den Parteitagen 2027 oder 2032 abtritt, aber hinter ihm werden in den nächsten Jahren die politischen Manöver potenzieller Nachfolger:innen zunehmen.

Zum Zweiten gab es zuletzt Gerüchte, dass Mitglieder der Parteiführung unzufrieden sind über den zunehmenden Persönlichkeitskult um Xi, die «Null Covid»-Strategie und den erhöhten Druck durch die Antikorruptionskampagne, in deren Rahmen seit neustem auch «Illoyalität gegenüber Xi Jinping» bestraft wird. Und zum Dritten ist nicht ausgemacht, dass das Regime unter Xi die zahlreichen Krisen tatsächlich in den Griff bekommt. Kritik und Unruhe in der Partei könnten also zunehmen.