Deutschland und China: Hanseatische Dialektik
Die Stadt Hamburg will einen Teil ihres Hafens an einen chinesischen Staatskonzern verkaufen. Der Plan sorgt für Aufruhr – auch wegen Olaf Scholz’ Unterstützung. Plötzlich steht die Hansestadt im Fokus internationaler Machtpolitik.
Die Grössen der Stadt dachten, es sei eine Selbstverständlichkeit. Ein Geschäft, dessen Vorteile auf der Hand liegen, das beiden Seiten nützt und über das dann auch nicht viel zu reden wäre. Die staatliche chinesische Reederei Cosco (Chinese Ocean Shipping Company) möchte 35 Prozent Anteile am Containerterminal Tollerort erwerben, und Hamburg möchte diese Anteile gern verkaufen. Es geht um nicht besonders viel Geld, gerade einmal 65 Millionen Euro.
Aber dann ist Hamburg in die politische Defensive geraten. Die geplante Investition des chinesischen Staatskonzerns im Hamburger Hafen ist zum Testfall geworden. Wie hält es Europas grösste Volkswirtschaft mit ihren Handelsbeziehungen zum bevölkerungsreichsten Land der Erde? Darf man kritische Infrastruktur an den Konzern eines Systemrivalen veräussern? Wiederholt Deutschland mit China dieselben Fehler, die es mit Russland begangen hat?
Es geht um alles und um nichts
Diese Fragen und die damit verbundenen Bedenken haben den Deal zwischen der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die das Terminal betreibt, und Cosco an den Rand des Scheiterns gebracht. Die Grünen und die FDP, Koalitionspartner der SPD in der Bundesregierung, sind dagegen. Sogar die deutschen Geheimdienstchefs warnten vor dem Teilverkauf. Im Zentrum des Konflikts steht Bundeskanzler Olaf Scholz, von 2011 bis 2018 Hamburger Bürgermeister. Damals suchte er die Nähe zur chinesischen Staatsreederei, jetzt möchte er den Deal retten.
Es sei «nur eine Minderheitsbeteiligung», und das am kleinsten von vier Hamburger Containerterminals, spielten die HHLA und die Stadtregierung die Investition aus China herunter. China bekäme dadurch keine Gewalt über strategische Unternehmensentscheidungen. Scholz und sein Sprecher pflichten dem bei. Andererseits heisst es jedoch von den Befürworter:innen: Würde der Deal verboten, wären Wohlstand und Wertschöpfung in Gefahr, würden Arbeitsplätze vernichtet, verlöre der Hamburger Hafen Marktanteile mit Auswirkungen auf die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Plötzlich scheint die Bedeutung des Geschäfts nicht hoch genug eingeschätzt werden zu können. Die schwerwiegendsten Folgen werden dann an sein Misslingen geknüpft.
Den eklatanten Widerspruch scheint niemand bemerkt zu haben. Was einerseits wie eine harmlose stille Teilhabe an einem kleinen Terminal klingt, soll andererseits über Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft entscheiden.
Diese hanseatische Dialektik hilft, einige Hintergründe freizulegen. Hamburg und Scholz wollen den Deal unbedingt. Der Hamburger Hafen hat Umschlagsgeschäft an die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen verloren. An der Elbe werden kaum mehr als halb so viele Container umgeschlagen wie an der Mündung von Maas und Rhein. Für die grössten Schiffe ist es keine Leichtigkeit, den hundert Kilometer im Landesinneren gelegenen Tidehafen zu erreichen. Hamburg ist dabei, den Wettlauf der Häfen zu verlieren. Die superkapitalistische norddeutsche Handelsmetropole droht ein Opfer der Globalisierung zu werden.
In diesem angeschlagenen Zustand soll die engere Bindung an China helfen. Mit einer Terminalbeteiligung und den damit verbundenen Vorteilen wie neuen Möglichkeiten der Wertschöpfung und besserer logistischer Planung sollen Cosco und damit das Chinageschäft dauerhaft nach Hamburg gelockt werden. Bereits heute geht fast jeder dritte in Hamburg umgeschlagene Container nach China oder kommt von dort.
Cosco hat angekündigt, Hamburg nach der Beteiligung an Tollerort zu einem bevorzugten Umschlagplatz zu machen. Rolf Langhammer, Experte für internationale Handelsbeziehungen vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel, sieht hier ein «gewisses Erpressungspotenzial». Wenn Cosco den Hamburger:innen sage, «im Falle unserer Beteiligung am Terminal seid ihr ein bevorzugter Hafen», impliziere das auch die Frage: «Wenn ihr nicht zustimmt, was seid ihr denn dann?»
Ein Zwerg inmitten von Titanen
Der Streit um den Hamburger Hafen muss als Ausgeburt der kapitalistischen Globalisierungs- und Konzentrationslogik betrachtet werden. Die Zahl grösserer Containerreedereien ist in fünfzehn Jahren von rund dreissig auf neun zusammengeschrumpft. Diese neun haben sich in drei Allianzen zusammengeschlossen. Sie sind Wirtschaftsgiganten. Der Weltmarktführer Maersk aus Kopenhagen rechnet in diesem Jahr mit einem Gewinn von dreissig Milliarden Euro. Cosco ist die Nummer zwei.
Gemessen daran ist ein Terminalbetreiber wie die HHLA ein Zwerg. «Die Reedereien sind deutlich mächtiger geworden», sagt Wirtschaftswissenschaftler Henning Vöpel, Direktor des Thinktanks Centrum für Europäische Politik: «Sie bestimmen zunehmend den Wettbewerb zwischen den Häfen und können diese gegeneinander ausspielen.»
Die Machtausweitung äussert sich im Aufkaufen ganzer Häfen oder Teilen davon. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, Nummer fünf in der Welt und rund fünfzehnmal grösser als der benachbarte Terminalbetreiber HHLA, hat sich etwa dieses Jahr zu dreissig Prozent am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven direkt an der Nordsee beteiligt – für den Standort Hamburg ein Schlag ins Gesicht.
Welche Reichtümer im Reedereigeschäft aufgehäuft werden, kann in der klassischen Seefahrernation Schweiz bestaunt werden. Dort haben sich, nicht sehr weit voneinander entfernt, Klaus-Michael Kühne, der dreissig Prozent an Hapag-Lloyd hält und dadurch dieses Jahr eine Dividende von rund zwei Milliarden Euro eingestrichen hat (kommendes Jahr wird es wohl doppelt so viel sein), und Gianluigi Aponte, Chef und Eigentümer der Mediterranean Shipping Company (MSC), die weltweite Nummer drei, niedergelassen.
Alle Augen auf Hamburg
Ein Aufbegehren gegen die Machtkonzentration der Linienreedereien kommt von – auf den ersten Blick – unerwarteter Seite. Die US-Regierung unter Präsident Joe Biden hat den neun Grossreedereien den Kampf angesagt. Er wirft dem Kartell vor, seine Macht zu missbrauchen und überhöhte Gewinne einzufahren. Keine der neun Grossreedereien ist US-amerikanisch. Das könnte eine mögliche Verwunderung über das harte Durchgreifen der US-Regierung mildern. In Bezug auf die acht nichtchinesischen Reedereien geht es dabei um die Bekämpfung der Auswüchse einer Kartellbildung.
In Bezug auf Cosco ist das anders. «Cosco ist in den USA bekannt», sagt Handelsexperte Langhammer. Vor drei Jahren warfen die USA der chinesischen Reederei bereits vor, mit Tankern iranisches Öl zu transportieren, und bedrohten Cosco mit Sanktionen. «Ich bin sicher, dass die USA das, was in Hamburg diskutiert wird, mit sehr viel Interesse verfolgen», meint Langhammer.
In den Augen der USA erscheint Cosco als das Werkzeug chinesischer Expansion, mit Dutzenden Terminalbeteiligungen weltweit und in Europa. So kaufte sich Cosco etwa im Hafen von Piräus ein, als Griechenland gerade von der Finanzkrise angeschlagen war. Zunehmend sehen auch Europäer:innen imperiale Hegemoniebestrebungen hinter dem Vorgehen.
Sie wirken wie eine merkwürdige Mischung aus dem Imperialismus des 19. Jahrhunderts, bei dem Strategen auf der Weltkarte Fähnchen in Häfen steckten, und einem Imperialismus des 21. Jahrhunderts, in dem ein Transportunternehmen Millionen Kund:innenendaten abgreift und auf heimischen Servern speichert. «Die digitale Seidenstrasse halte ich für wichtiger als die maritime», meint Langhammer. Die USA sähen ihre Sicherheitsinteressen berührt, weil sie befürchteten, dass Daten US-amerikanischer Kund:innen und ihrer Financiers von Cosco und seinen Partnerunternehmen abgegriffen und im eigenen Interesse genutzt werden könnten.
Wie der Streit um die chinesische Beteiligung am Hamburger Terminal Tollerort ausgeht, ist unklar. Am Mittwoch genehmigte die Bundesregierung den Teilverkauf, falls die Beteiligung von 35 auf 24,9 Prozent reduziert wird. Ob Cosco diesem neuen Angebot zustimmen wird, ist noch nicht bekannt.
Klar ist, dass sich die Hafenarbeiter:innen in Hamburg uneins sind. Während die rund 600 Beschäftigten am Terminal Tollerort den Einstieg von Cosco gutheissen, weil sie sich davon Sicherheit ihrer Arbeitsplätze versprechen, lehnen die übrigen Hafenarbeiter:innen den Verkauf überwiegend ab. Sie fürchten, dass er sich negativ auf die Arbeitsbedingungen im Hamburger Hafen auswirken wird. Die hanseatische Dialektik spaltet also nicht bloss das Bewusstsein, sondern auch das hiesige Proletariat.
Stefan Buchen ist Fernsehautor beim NDR und hat zuletzt recherchiert, wie die Hamburger Hafen und Logistik AG auf Bundeskanzler Scholz setzt, damit der Deal mit Cosco doch noch klappt.